Young Jesus - The fool

Saddle Creek / Rough Trade
VÖ: 24.05.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Schmerz lass nach

Wir beginnen diesen Text mit einem Servicehinweis: Wer auf der Suche nach einer gemütlichen Platte zum Nebenbeihören ist, der kann guten Gewissens gleich zur nächsten Rezension klicken – das wird nämlich nichts mit dem neuen Album von Young Jesus. Warum? Nun, die Herren hinter dem Album "The fool" sind mit einer derartigen Intensität unterwegs, dass es die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuhörer*innen braucht, um nichts zu verpassen. Und diese Intensität ist ja fast schon Markenkern des Saddle-Creek-Labels, man denke nur an Conor Oberst / Bright Eyes oder auch Two Gallants, die mit einer vergleichbar hochemotionalen Musik sowie stets überraschendem Songwriting aufwarten.

So ist es auch bei Young Jesus. Das fängt schon bei John Rossiters Stimme an, die eine nachgerade unerhörte Wandlungsfähigkeit und auch Bandbreite hat. Wenn er in mittlerer Lage und eher gutgelaunt singt, wie beim Opener "Brenda and Diane", klingt er fast nach Bruce Hornsby. In tiefen Lagen und bei dramatischen Stücken – zum Beispiel bei der Ballade "Dancer" - geht's schon eher Richtung Nick Cave oder auch Bill Callahan. Und dann wäre da noch die bluesige Seite, in der Rossiter jegliche Komfortzone hinter sich lässt und dermaßen losbrüllt, dass man ihm aus Sorge um seine Stimmbänder am liebsten sofort einen Kamillentee einflößen möchte. Musikalisch bewegt sich "The fool" irgendwo zwischen Singer-Songwriter, Soul, Bluesrock und Folk. Die Instrumentierung ist über weite Strecken (elektro-)akustisch, es überwiegen getragene und Midtempo-Stücke. Dass das am Ende aber nicht zu betulich und eindimensional wirkt, weiß die Band dadurch zu verhindern, dass sie zum einen unglaublich dynamisch aufspielt – von flüsterleise bis brüllend laut – und die Musik mit dem einen oder anderen Synthesizer-Einsprengsel und einem atmosphärisch dichten Gemisch aus akustischen und elektrischen Gitarren würzt.

Auch die Dramaturgie des Albums ist geschickt gesetzt: Die ersten beiden Tracks klingen noch recht versöhnlich und mild, danach geht's mit "Rabbit" urplötzlich in eine tiefschwarze Bluesnummer, die brutale Dynamikwechsel zwischen "kurz vorm Verschwinden" und "Volumepedal bis zum Anschlag niedergetreten" mitbringt – und in der sich Rossiter seinen gesamten Schmerz von der Seele schreit. Und in "Rich" überraschen folkige Chorgesänge à la Fleet Foxes ebenso wie die Coda, in der einem eine Vielzahl von Stimmen ins Ohr flüstert – fast schon psychedelisch. Der Schlusstrack "God's plan" wiederum wird leiser und leiser, bis er buchstäblich versiegt. Wenn dann nach rund 45 Minuten der Tonabnehmer in der Auslaufrille knackst oder der CD-Spieler verstummt, sitzt man herrlich emotional durchgeorgelt, insgesamt aber sehr gestählt im Hörzimmer – und wird nur langsam und mühselig wieder in die Fährnisse des Alltags zurückfinden.

(Jochen Reinecke)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Brenda and Diane
  • Rabbit
  • Dancer

Tracklist

  1. Brenda and Diane
  2. Two brothers
  3. Rabbit
  4. Rich
  5. Moonlight
  6. Moty
  7. The weasel
  8. Am I the only one
  9. Sunrise
  10. Dancer
  11. God's plan
Gesamtspielzeit: 45:57 min

Im Forum kommentieren

gawain

2024-06-01 16:54:27

Wer lesen kann ist klar im Vorteil. ;-) Aber man kann ja auf gute Musik nicht oft genug hinweisen.

Jochen Reinecke

2024-06-01 15:02:18

Deswegen steht ja auch An(t)hony and the Johnsons in den Referenzen :-). Freut mich, dass dir das Album auch so gefällt, gawain.

gawain

2024-05-31 20:13:44

Wie großartig ist das denn bitte? Diese Stimme, die in der Rezension schon treffend beschrieben wurde, kann fast alles - in "Dancer" schleichen sich sogar Nuancen von Antony/ANOHNI oder The Irrepressibles dazu. Ein ganz und gar fantastisches Album.

saihttam

2024-05-30 21:35:38

Ich war auch ganz überrascht, dass das hier die erste Review und der erste Foreneintrag zu Young Jesus ist. Fantastisches Projekt, von dem mir fast alles sehr gut gefällt. Am besten die Band-Alben von 2017 bis 2020, aber auch Shepherd Head hatte meiner Meinung nach seinen Reiz. Das neue Album ist tatsächlich wieder ganz anders. Viel direkter und unmittelbarer, was vor allem durch den sehr weit im Vordergrund stehenden emotionalen Gesangsvortrag deutlich wird. Das zeigt zwar Wirkung, geht aber für mich auch etwas auf Kosten der bisher immer sehr tollen instrumentalen Parts. Aber da lässt sich bestimmt noch einiges entdecken.

Yndi

2024-05-30 11:49:56

Wahnsinn, gab tatsächlich noch keinen einzigen Thread zu Young Jesus. Das neue Album ist wieder ganz anders als der Vorgänger, der mir nicht so gut gefallen hat, aber wieder ganz anders als die Alben davor war. MOTY ist mein Highlight der Platte.

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