Cabaret Contemporain - Club sensible
Jazz-O-TechVÖ: 31.05.2024
Vive la trance
Dass Inseln möglich sind, ist nicht erst seit Michel Houellebecq bekannt. Seitdem es Satelliten gibt, können sich Inseln auch nicht mehr verstecken, erst recht nicht, wenn man ihnen den Meeresspiegel vorhält. "Wandel durch Annäherung" hätte das ein ehemaliger Bundeskanzler wahrscheinlich genannt. Erst wenn die Hotels unter Wasser sind, werden die Menschen lernen, dass Bagger nicht schwimmen können. Aber all das liegt in der Zukunft und bekanntlich interessiert diese erst, sobald man Urlaubstage beantragen kann. Bis dahin kann man sich die Zeit vertreiben, beispielsweise mit Einleitungen, die nicht zum Punkt kommen. Es geht um Musik, natürlich. Immer noch. Den Ausgangspunkt für die vorhergehenden Worte markierte eine simple Idee: Was ist eine Insel im musikalischen Sinne? Eine mögliche Antwort liefert das französische Quintett Cabaret Contemporain mit seinem neuen Album "Club sensible".
Die Musiker kommen allesamt aus dem Jazz, im Rahmen von Cabaret Contemporain erkunden sie allerdings fremde Gewässer. Vereinfacht gesagt machen sie elektronische Musik mit akustischen Instrumenten, wobei sie nicht davor zurückschrecken, auch mal die Synthesizer und Computer anzuwerfen, wenn es nötig erscheint. Im Fokus stehen allerdings immer die Instrumente: Klavier, Schlagzeug, Kontrabass, Gitarre, Streicher. Die Elektronik kommt an zweiter Stelle, sie ist wie eine Glasur. Die Musik, die dabei herauskommt, wirkt angenehm ortlos, sie kreist meist um einige simple Motive, welche im Verlauf der Tracks variiert und modifiziert werden. Dynamik spielt dabei eine wichtige Rolle: Immer wieder beginnen die Tracks ruhig, bevor sie sich sukzessive in große Höhen aufschwingen.
Herausragend fällt die Produktion aus: Das Album besitzt einen ebenso glasklaren wie warmen Klang, sodass man sich mühelos in Details versenken kann. Geradlinige Rhythmen geben die Marschrichtung vor, wobei primär das Zusammenspiel zwischen Drums und Bass hervorzuheben ist. Einflüsse aus dem Krautrock schimmern ebenfalls durch, vor allem im meditativen "Levante". Das forsche "Barbara" erinnert hingegen dank seiner Funk-Anleihen ein wenig an Daft Punk, wenngleich Cabaret Contemporain deutlich psychedelischer unterwegs sind als ihre Landsmänner. Großartig ist auch das um eine fiese Synthesizer-Figur arrangierte "Bora", das so manche Wendung nimmt, bevor es in ein tolles Finale mündet.
Wassermetaphern drängen sich ohnehin auf, wenn man die Musik des Quintetts beschreiben möchte. Alles fließt, alles findet seinen Weg. Auch in beschwingteren Momenten wie etwa "Charpentier" verlieren die Franzosen nie die Kontrolle. Das Schöne liegt freilich im Auge des Betrachters, jedoch lässt sich nicht abstreiten, dass es so etwas wie einen gemeinsamen Nenner gibt: wenn Sound, Arrangement und Melodien eine Einheit ergeben, wenn der ganze Unsinn, der den Verstand benebelt, für einen kurzen Moment vergessen ist. "Polaris" ist so ein Moment. Die Stille, die folgt, hallt lange nach und die Gedanken kehren zurück zur Inselfrage. "Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt", sprach Zarathustra. Wenn die Bagger anrollen und aus Paradiesen Ziele machen, werden Inseln zu Fabriken, welche die Idee von Freiheit verkaufen. Man kann viel davon halten, aber leider niemanden davon ab.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Charpentier
- Barbara
- Bora
- Levante
Tracklist
- Cheval
- Charpentier
- Arc
- Barbara
- Club sensible
- Ballast
- Bora
- Velour
- Levante
- Polaris
Im Forum kommentieren
Kamm
2024-05-31 09:34:51
"Wenn die Bagger anrollen und aus Paradiesen Ziele machen, werden Inseln zu Fabriken, welche die Idee von Freiheit verkaufen. Man kann viel davon halten, aber leider niemanden davon ab."
Die zwei schönsten Schlusssätze, die ich seit längerem gelesen habe. :)
Armin
2024-05-29 21:18:42- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Threads im Forum
- Cabaret Contemporain - Club sensible (2 Beiträge / Letzter am 31.05.2024 - 09:34 Uhr)
