Bat For Lashes - The dream of Delphi

Decca / Universal
VÖ: 31.05.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Allmutter

Trieb der Erfolg ihrer ersten beiden Alben Natasha Khan fast dazu, mit der Musik aufzuhören, erlebte sie rund zehn Jahre später ein gegenteiliges Phänomen. Eigentlich dachte die als Bat For Lashes bekannte Frau, die Geburt ihrer Tochter Delphi würde sie für eine Weile vom Kunstschaffen abhalten – stattdessen sprudelten ihre Kreativströme laut eigener Aussage so lebendig wie nie, weswegen "The dream of Delphi" den Hauptgrund seiner Existenz gleich im Namen trägt. Nun wäre Natasha Khan natürlich nicht Natasha Khan, würde sie die Mutterschaft ohne multimedial aufgezogenes Konzept zelebrieren. Platte Nummer sechs kommt mit einem Begleitfilm daher, kreist um ein mythisches Alter Ego namens "Motherwitch" und sei inspiriert von japanischem Ambient und französischen Film-Soundtracks. In einer guten halben Stunde fügen sich sogenannte "song poems" mit noch abstrakteren Instrumentals zu einem Werk zusammen, das Mutter und Kind zu einer Einheit verschmilzt und dabei das Publikum von sich abstößt.

"Breezes, breezes, on your fingers / Touching thin air / Playing, playing with angels / Breathing a new transmission." Gleich die ersten Zeilen des Titeltracks grenzen das Metaphernfeld ein, aus denen Khan ihre Liebeserklärungen schöpft. Wenn in jenem Opener ein locker verschraubter Beat in bester Björk-Manier durch die ätherischen Beschwörungen von Synths, Streichern und Harfe bricht, ist das der einzige handfeste Ausbruchsmoment eines Albums, das sonst freiförmig durch den Raum gleitet. Die elektronische Ästhetik von "Lost girls" behält "The dream of Delphi" zum größten Teil bei, leitet daraus jedoch keine Achtziger-Pop-Hommagen, sondern Tasten- und Orchesterflächen ohne klare Songstrukturen ab. Sofern man die richtige Stimmung dafür findet, ist die von dieser Mechanik erzeugte Schönheit stellenweise atemberaubend.

Das gilt vor allem dann, wenn die Tracks am Ende ihre Intensität steigern, wie es sowohl "Letter to my daughter" als auch das Klaviergedicht "At your feet" tun. Khans Worte drängen sich gegenüber der ohnehin schon ausdrucksstarken Musik nie in den Vordergrund, weswegen rein instrumentale Stücke wie das Ryuichi Sakamoto würdigende "Breaking up" keineswegs wie Fremdkörper wirken. Khan denkt die Mutterschaft universal, schließt damit dezidiert auch die stumme Natur ein: Schon auf dem Cover reckt die Motherwitch auf einer Klippe stehend die Arme in Richtung eines bewölkten Himmels, wie eine Göttin, die das Wetter kontrolliert – oder wie eine Frau, welche die größten Wunder auf unserem Planeten als Bezugspunkt braucht, um ihr persönliches Glück fassen zu können. Die Spiritualität, die die visuelle Inszenierung von Bat For Lashes schon immer geprägt hat, bricht sich zum ersten Mal vollumfänglich in der Musik Bahn.

Der Dance-Pop von "Home" holt "The dream of Delphi" zwischenzeitlich ins Weltliche zurück, Zeilen wie "I'm on my way so don't change your pain" implizieren auch textlich den Wunsch nach dem Körperlichen. Tatsächlich steckt hinter diesem Ausreißer eine Insider-Geschichte: Es ist ein Cover eines von Special Request geremixten Bauuer-Tracks, der Baby Delphi ihrer Reaktion nach besonders zu gefallen schien. "Delphi dancing" heißt es später zu geschmackvollerem, zwischen Synth-Zerren und Piano-Klarheit aufgespanntem Dream-Pop, ehe "Waking up" Xylofon-unterstützt die Sonne begrüßt. Das letzte Aufbäumen eines nicht einfach zu erschließenden, aber außergewöhnlichen Albums, dessen Geheimnisse auf ewig zwischen der Künstlerin und ihrer einzigen direkten Adressatin verborgen bleiben werden – und das dennoch so viel Liebe zu geben hat, dass auch das verschmähte Publikum noch genug davon abbekommt.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The dream of Delphi
  • At your feet
  • Delphi dancing

Tracklist

  1. The dream of Delphi
  2. Christmas day
  3. Letter to my daughter
  4. At your feet
  5. The midwives have left
  6. Home
  7. Breaking up
  8. Delphi dancing
  9. Her first morning
  10. Waking up
Gesamtspielzeit: 30:31 min

Im Forum kommentieren

Yndi

2024-06-01 09:09:43

Und bei den drei Songs hab ich auch noch das Gefühl, dass ich die von Bat For Lashes schon gehört habe.

NeoMath

2024-06-01 08:12:26

Bin bei cargo.
Dieses Album kann man umblättern.
Klingt wie die Ansammlung von losen Ideen, aus denen dann halt irgendwas zusammengebastelt wurde; ohne Herz und Seele.
Total schade.

cargo

2024-05-31 10:51:22

Konzeptalbum hin oder her, das ist ziemlich furchtbar geworden. Eine Ansammlung aus Interludes und drei "normalen" Songs. Da ist keinerlei Substanz dahinter.

OMalley

2024-05-29 21:47:37

Die gibt es noch? Ich war auf der Two suns-Tour in der Kölner Kulturkirche. Wunderbarer Abend, tolle Band, tolle Frau und eine tolle Location.
Mal reinhören die Tage. Hab den Draht zu ihr kurz danach verloren.

Armin

2024-05-29 21:18:33- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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