
Slash - Orgy of the damned
Gibson / SonyVÖ: 17.05.2024
Eins, zwei, drei, Stampede!
Slash – die Jüngeren unter uns werden sich erinnern – ist der Typ, der bei der Oscar-Verleihung dieses Jahr neben Ryan Gosling ein Gitarrensolo hinzauberte, dass es selbst hartgesottenen Barbie-Fans den Atem verschlug. Plötzlich verwandelte sich der bereits schmissige Musical-Track "I'm just Ken" in eine Rocknummer, auf der Gosling zum absoluten Triumph surfen konnte. Slashs altbekannte Gibson Les Paul war die magische Zutat, der er in gewohnt lässiger Weise ein paar Bendings und noch mehr Triolen abrang und damit zeigte, wo seine Kernkompetenz liegt: Slash kann herausragende Songs durch sein Spiel noch aufregender klingen lassen, sei es Michael Jacksons "Black or white" oder Ozzy Osbornes "Ordinary man", und hat sich damit zu einem der angesehensten Gäste auf anderen Alben gemausert.
Jetzt ist Slash selbst in die Rolle des Gastgebers geschlüpft und hat sich für "Orgy of the damned" hochkarätige Unterstützung ins Studio geladen, um eine Reihe klassischer Bluesrock-Stücke neu zu interpretieren. Tatsächlich stammt nur das letzte Instrumental-Stück "Metal chestnut" aus der Feder des gebürtigen Briten. Alle anderen gehören mehr oder weniger zum traditionellen Blues-Kanon amerikanischer Lesart, von Jonhsons "Crossroads" (zusammen mit Gary Clark Jr.) über Dixons "Hoochie coochie man" (mit dem selbst schon zur Bluesrock-Legende gereiften Billy F. Gibbons) bis Greens "Oh well" (gesungen von Chris Stapleton). Gestartet wird mit "The pusher", einem Song, bei dem die schwarze Krähe Chris Robertson sich die Seele aus dem Leib brüllt, bevor besagte Sologitarre des Hausherren vertraut losgniedelt. Dieses Muster kann man sich schon mal für die kommenden Songs merken. Das Staraufgebot ist so dicht, dass bei Howlin' Wolfs "Killing floor" nicht nur AC/DC-Barde Brian Johnson singt, sondern eigens für die Mundharmonika Aerothsmiths Steven Tyler angerauscht kam. Aber auch einige ungewöhnliche Titel finden sich in der Sammlung, wie Stevie Wonders "Living for the city" zusammen mit dem Session-Gitarrist Tash Neal und der Temptations-Klassiker "Papa was a rolling stone", bei dem keine Geringere als Demi Lovato dem Song den nötigen Soul verpasst.
Was sich aber auf dem Papier als Spitzenidee präsentiert, wird in der Umsetzung dann problematisch. Die Songauswahl geriert sich recht einseitig, laut eigener Aussage alles seine Lieblingsstücke, was zu einer gewissen Monotonie führt. Dies wird dann noch verstärkt durch die Backing-Band, die wiederbelebten Slash's Blues Ball, mit denen er schon in den Neunzigern unterwegs war. Und diese Band kennt nur eine Richtung: volle Pulle sofort bis zum Anschlag und das dann den ganzen Song hindurch – bei jedem Track. Diese Elefantenherde hält nichts mehr auf, wenn sie sich erst einmal in Bewegung gesetzt hat. Da bleibt wenig Raum für die brüchige Slide-Gitarre von ZZ-Top-Legende Gibbons oder dem Versuch Chris Stapletons, eine gewisse Dynamik in den Gesang zu bekommen. Es wird alles gnadenlos zerrockt, die Baumwollfelder des ursprünglichen Blues sind meilenweit entfernt. Trotzdem sind die Lieder natürlich dem Blues-Standard verhaftet, was zu einer unweigerlichen Ermüdung führt; teilweise acht Minuten Vollgas sind schwer auszuhalten, wenn auch das Gitarrensolo in jenem Grundschema bleibt. Es wird an keiner Weggabelung angehalten, sondern mit durchgetretenem Pedal den "Key to the highway" hinuntergebrettert. Iggy Pop zwingt die Band wenigstens mit "Awful dream" an die Akustikgitarre, eine kleine Verschnaufpause für die Ohren. Und auch "Stormy monday" mit Beth Hart kann man genießen, einfach weil es nicht dem sonstigen Zweiviertel-Wumm-Zack folgt, sondern durch seine Langsamkeit den Gastgeber in Regionen führt, die bis dato Gary Moore vorbehalten waren. Und es bringt den ihn dazu, über einzelne Töne nachzudenken, davon hätte man sich mehr auf diesem Album gewünscht.
Dass Slash und alle hier versammelten ihr Handwerk meisterhaft beherrschen, steht völlig außer Frage. Doch es beschleicht einen der Verdacht, dass die Gäste untereinander nichts vom jeweils anderen wussten und jede*r dachte, er oder sie habe den Powertrack auf dem Album abbekommen! Dass dies in seiner Gesamtheit einfach etwas drüber sein könnte und einige Songs mehr Luft vertragen hätten, hätte der Produzent berücksichtigen müssen. Und dass Slash dazu neigt, über das Ziel hinauszuschießen, weil er mit seiner Gitarrenenergie einfach nicht weiß, wohin vor Kraft, hat er schon mit Snakepit und Myles Kennedy gezeigt. Dabei ist Slash mit Coverversionen unsterblich geworden. Ganze Generationen Gitarrenschüler*innen spielen seine Solos von "Knockin' on heavens door" oder "Live and let die" Note für Note nach. Und vielleicht liegt hier das eigentliche Geheimnis: Sobald eine Midtempo- oder Blues-Ballade ein Solo benötigt, ist es das perfekte Habitat des Ausnahmegitarristen, und er schafft eine Intensität, der Hunderttausende nachjagen. Sobald es an die schnelleren Stücke geht, verliert sich dieser Ausdruck. Und wenn man nicht mehr hört, ob es Slash ist oder jeder beliebige Sechssaiten-Akrobat sein könnte, dann ist "Orgy of the damned" mit den Blues Balls einfach eine verdammt teure Coverband-Aufnahme geworden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The pusher
- Awful dream
- Stormy monday
- Metal chestnut
Tracklist
- The pusher
- Crossroads
- Hoochie coochie man
- Oh well
- Key to the highway
- Awful dream
- Born under a bad sign
- Papa was a rolling stone
- Killing floor
- Living for the city
- Stormy monday
- Metal chestnut
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Armin
2024-05-13 20:14:54- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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