Frustration - Our decisions

Born Bad / Cargo
VÖ: 29.03.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Auf der Deponie

Die Menschheit steht auf der Kippe. Oder vielmehr auf der Müllkippe. Als wäre das nicht schon sattsam bekannt, weisen Frustration vorsichtshalber noch einmal darauf hin – im Artwork ihres fünften Longplayers, wo sich der Plastikabfall so flächendeckend auftürmt, dass der Bagger inmitten der Massen von Unrat ziemlich verloren wirkt. Ein Blick aufs Innencover zeigt hingegen Insekten und Käfer – Lebewesen, die dank ihrer Widerstandsfähigkeit unsereins womöglich überleben werden. "Our decisions" können also nicht die richtigen gewesen sein, wie auch der saftige Einstieg "Path of extinction" bekräftigt, laut dem die Erde samt Bewohnern geradewegs auf die Vernichtung zusteuert. Kein Wunder, dass Fabrice Gilbert zu einem drahtigen Basslauf missmutig über Fischsterben und verdorrte Bäume bellt und näselt, während sich ein vorwitziges Keyboard und blecherne Gitarrenschläge gegenseitig in den Abgrund zerren. Den Bio-Lärm – neudeutsch für Vogelzwitschern – ganz zu Anfang also lieber genau einprägen, solange es ihn noch gibt.

Doch die Franzosen sind nicht nur pessimistische Propheten des Untergangs von Zivilisation und Umwelt, sondern in erster Linie Punks. Allerdings solche, denen der Zusatz "Post" gut zu Gesicht steht und die geschickt mit Details aus Cold Wave, Indie-Rock und Gründerzeit-Elektro hantieren. Ein musikalischer Ethos, den Gilbert und Kollegen vor allem in kurzen, speckigen Uptempo-Stücken wie dem von Stakkato-Passagen und kehligem Background-Chor durchwirkten "State of alert" oder dem noise-rockig hetzenden "Pale lights" aufrechterhalten. Und bei "Omerta" sowie dem eingangs mit einem Ohr auf das Grummel-Intro von Dead Kennedys' "Holiday in Cambodia" schielenden "Consumés" lassen sie es sich sogar erstmals nicht nehmen, das Französische als untypisch harte Sprache zu etablieren. In "Pawns on the game" hingegen pflügen "assholes full of money" die Schwachen der Gesellschaft unter – zu schriller Synth-Sirene und dekorativem New-Order-Plöng, das die unwirtliche Realität jedoch allenfalls kurz übertüncht.

Erst wenn sich Frustration mit rasanter Punk-Energie halb durch die Deponie der streng riechenden Existenz gearbeitet haben, öffnen sie sich allmählich den stilfremden Elementen, die schon auf dem Vorgänger präsent waren. Das groß auftrumpfende "Riptide" tritt mit stählerner Sequenz, Tribal-Drums und Industrial-Geschepper die Nachfolge des "So cold streams"-Openers "Insane" an, ehe das Quintett mit seinem bisher sanftesten Moment verblüfft: Zusammen mit Anne Dig von den Cold-Wave-Landsleuten Hammershøi intoniert Gilbert beim geknickten Entliebungslied "Vorbei" in radebrechendem Deutsch ein "Gib mir mehr Zeit, mein Liebling" – ungelenk, desolat und trotzdem ein rührendes Stück schwereloser Dream-Pop zwischen schnüff und hach. Da wirkt es fast beruhigend, wenn der Frontmann im Closer "Secular prayer" seinem inneren Ian Curtis Zucker gibt und die Band das Finale anschließend krachend gegen die Wand fährt. Recht so: Wenn es schon ein unsanftes Weltenende sein muss, dann wenigstens mit diesem Album.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Path of extinction
  • Riptide
  • Vorbei (feat. Anne Hammershøi)
  • Secular prayer

Tracklist

  1. Path of extinction
  2. State of alert
  3. Omerta
  4. Catching your eye
  5. Pawns on the game
  6. Riptide
  7. Pale lights
  8. Vorbei (feat. Anne Hammershøi)
  9. Consumés
  10. Secular prayer
Gesamtspielzeit: 37:30 min

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Armin

2024-05-05 21:16:51- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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