Dool - The shape of fluidity

Prophecy / Soulfood
VÖ: 19.04.2024
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Wer bin ich?

Natürlich soll die Musik, die wir so gerne hören, in erster Linie unterhalten. Den teils erbitterten, teils lächerlichen Kampf um die Deutungshoheit zwischen E und U lassen wir an dieser Stelle geflissentlich beiseite. Musik kann aber auch gleichzeitig Fluch und Segen sein, sowohl beim Konsum- als auch im Schaffensprozess. Beispielhaft dafür stehen The Devil's Blood und ihr Kopf Selim Lemouchi. Als jener 2014 seinem Leben ein Ende setzte, wurde endgültig deutlich, dass der zur Schau getragene Okkultismus keine Show war, sondern Ausdruck einer tiefen seelischen Zerrissenheit. Als ein Jahr später der Bassist und der Schlagzeuger von The Devil's Blood dann Dool mitbegründeten, haftete den Niederländer*innen schnell das Klischee der Nachfolgeband an, zumal der Gesang große Nähe zu den entrückten Vocals von Lemouchis Schwester Farida aufwies. Weit gefehlt, wie sich später zeigen sollte, denn mit den Alben "Here now, there then" und "Summerland" erwies sich der Sound des Fünfers aus Rotterdam schnell als einzigartige Mischung aus Progressive-, Post- und Dark Rock.

Angetrieben wird diese Mixtur durch den überaus charismatischen Gesang von Raven van Dorst, intersexuell geboren und als Mädchen beziehungsweise Frau erzogen. Und die daraus resultierenden seelischen Konflikte, die vermutlich kaum jemand nachvollziehen kann, der nicht selbst in dieser Situation war oder ist, sind immer wieder Antrieb für die bisweilen höchst intimen und kathartischen Lyrics. Wenn es bei der ersten Single "Hermagorgon" heißt "For I am my father's daughter / And my mother's son", dann kondensiert van Dorst in diesen wenigen Worten die Suche nach der eigenen Identität – blickt dabei aber auch nach vorne, denn diese Erkenntnis zu akzeptieren, dürfte einer der wichtigsten Schritte sein.

"The shape of fluidity" zeigt aber auch eine Band auf der Suche nach der eigenen Identität, da van Dorst erstmals nicht alleine für das Songwriting verantwortlich zeichnet. Und das Experiment gelingt in beeindruckender Manier. Schon der Opener "Venus in flames" hypnotisiert zunächst, reißt dann unwiederstehlich mit, zusammengehalten von der großartigen Gitarrenarbeit von Nick Polak und Omar Iskandr. Allerspätestens jedoch beim Titeltrack ist das Gespinst aus Atmosphäre, Stil und packendem Songwriting vollkommen, van Dorsts Gesang schmeichelt – jedoch nur, um immer weiter in den Abgrund zu ziehen, wo ein krachendes Riff schon darauf wartet, in den Refrain hineinzueskalieren.

Womit wir beim Stichwort für den Mittelteil der Platte wären. Natürlich sind auch die Rotterdamer nicht frei von äußeren Einflüssen, und vor allem Sprachrohr van Dorst hat nie einen Hehl aus der Verehrung für The Sisters Of Mercy gemacht. "Evil in you" ist die passende Hommage dazu und dürfte live neben der sensationellen Coverversion von Killing Jokes "Love like blood" schnell zum Klassiker avancieren, und wer die passende Fantasie hat, darf sich im Refrain gerne den Gesang von Andrew Eldritch hinzudenken. Und wenn beim folgenden "House of a thousand dreams" van Dorst und Gastsänger Kim Larsen von der dänischen Neofolk-Band :Of The Wand & The Moon: einander bezirzen, wird vermutlich auch Nick Cave blass vor Neid. Diese Variabilität, diese Atmosphäre, dieses Malen von Stimmungsbildern ist wohl die größte Stärke der Band. Ja, der textliche Überbau ist wichtig. Doch am Ende zählt nur die Musik, und die ist auf "The shape of fluidity" vielleicht noch dichter, noch schlüssiger als auf den Vorgängern. Dool haben ihre Identität spätestens mit dieser Platte gefunden. Und mal eben ein starkes, zutiefst berührendes Album erschaffen.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Venus in flames
  • The shape of fluidity
  • House of a thousand dreams
  • Hermagorgon

Tracklist

  1. Venus in flames
  2. Self-dissect
  3. The shape of fluidity
  4. Currents
  5. Evil in you
  6. House of a thousand dreams
  7. Hermagorgon
  8. Hymn for a memory lost
  9. The hand of creation
Gesamtspielzeit: 49:38 min

Im Forum kommentieren

regger

2025-01-09 13:01:38

Wunderbare Platte, wundert mich noch immer dass Dool kein breiteres Publikum erreicht mit ihrem atmosphärischen, teilweise auch sehr treibenden Sound.

9/10 von mir.

Mann 50 Wampe

2024-08-31 14:34:54

Beste Platte dieses Jahr, jedenfalls bisher.

Armin

2024-05-05 21:16:40- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?



regger

2024-04-17 15:17:20

Full Album Stream:
https://www.youtube.com/watch?v=BSPzeNB9OLk&ab_channel=ProphecyProductions

regger

2024-04-03 15:50:17

https://www.youtube.com/watch?v=KEzAosB1oC4&ab_channel=ProphecyProductions

Titeltrack nun auch online.

Nach den bereits veröffentlichten Venus in Flames und Hermagorgon der dritte vielversprechende Track.

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