Big Special - Postindustrial hometown blues

SO / Rough Trade
VÖ: 10.05.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Poesie der Arbeiterklasse

Neuer Trend oder purer Zufall: Derzeit stehen Tierporträts auf Albumcovern hoch im Kurs. Princess Thailands "Golden frames" ziert eine haarlose Sphynx-Katze, bei Enno Bungers "Der beste Verlierer" ist es seine Hundedame Emma. Wie Bunger entscheiden sich auch Big Special für den besten Freund des Menschen und packen einen Dobermann aufs Albumfoto. Weitere Gemeinsamkeiten zwischen dem hanseatischen Liedermacher und den zwei kernigen Kerlen von der Insel kann man sich mühevoll an den Haaren herbeiziehen. Auch Bunger singt über soziale Missstände und mentale Gesundheit. Big Special verarbeiten diese Themen musikalisch aber deutlich spannender. Auf "Post industrial hometown blues" präsentieren sie eine dunkle Melange aus Country-, Folk- und Postpunk.

Kennengelernt haben sich Sänger Joe Hicklin und Drummer Callum Moloney bereits im zarten Alter von 17 Jahren, irgendwann trennten sich ihre Wege für mehrere Jahre. Mehr als eine Dekade später klopfte Hicklin bei seinem alten Freund an und überzeugte ihn von einer musikalischen Zusammenarbeit. Die beiden durften in ihrer kurzen gemeinsamen Karriere bereits einige Shows für Sleaford Mods eröffnen. Deren Sänger Jason Williamson seziert den Zustand der britischen Gesellschaft mit grimmigen Kommentaren. Hicklins' Spoken-Word-Vorträge bei Songs wie dem treibenden, impulsiven Opener "Black country gothic" sind den bitterbösen Tiraden von Williamson nicht unähnlich. Den großen Unterschied macht der Sänger von Big Special jedoch mit seiner außergewöhnlichen, souligen Stimme. "Desperate breakfast" eröffnet er mit einem erhabenen Gesang, um im Anschluss den zeternden Straßenprediger zu geben. Der Song beschreibt die Verzweiflung, sich jeden Morgen auf ein Neues in das Hamsterrad zu begeben und in einem belanglosen Job zu funktionieren. Die beiden Musiker können hier von eigenen Erfahrungen zehren, malochten bereits als Berufskraftfahrer oder in Call-Centern. Sie repräsentieren die englische Arbeiterklasse, die seit Jahren mit finanziellen Einschnitten zu kämpfen hat, und verarbeiten ihre Frustration in Songs wie "Shithouse" oder "Dust off/start again".

Big Special legen sich nicht auf einen Stil fest. Das schwarzhumorige "I mock joggers" ist mit schrägen Keyboardklängen versehener Bluesrock, bei "Butcher's bin" und "Trees" nutzen sie elektronische Sounds. Das zerbrechliche "For the birds" hingegen wird lediglich von einem Piano getragen. Der schwarze Hund vom Coverfoto kann auch als Metapher für die Depressionen verstanden werden, von denen Hicklin in vielen Phasen seines Lebens gebeutelt wurde. Der tieftraurige Song "Black dog/white horse" erzählt davon in sehr poetischen Worten: "My heart's a hollow town / The leaves are turning brown / There's a hard rule coming down / And I'll see you, oh, I'll see you." Unbedingt empfehlenswert ist das eigens produzierte Musikvideo mit der schottischen Schauspielerin Kate Dickie, bekannt als Lysa Arryn aus "Game Of Thrones", in der Hauptrolle. Big Special legen großen Wert auf Ästhetik. Alle Videos sind in schwarz-weiß gehalten, so auch der Clip zu "This here ain't water". Mit einer Demo dieses Tracks konnte Songwriter Hicklin übrigens seinen alten Schlagzeugerfreund Moloney für Big Special gewinnen. So kam am Ende mit Verspätung zusammen, was zusammengehört.

(Andreas Rodach)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Black country gothic
  • Black dog/white horse
  • Butcher's bin
  • Trees

Tracklist

  1. Black country gothic
  2. I mock joggers
  3. Desperate breakfast
  4. Shithouse
  5. This here ain't water
  6. My shape (blocking the light)
  7. Black dog/white horse
  8. Broadcast: time away
  9. ill.
  10. Mongrel
  11. Butcher's bin
  12. Dust off/start again
  13. For the birds
  14. Trees
  15. Dig!
Gesamtspielzeit: 47:25 min

Im Forum kommentieren

Immermusik

2024-06-24 18:44:39

Super Album. Durch den Sänger stechen sie aus dem Meer der derzeitigen Menge an Postpunkbands heraus. Mal Haldern abwarten, ob die ähnlich wie Deadletter live zünden.
8/10

foe

2024-05-18 11:18:18

Das müsste hier doch definitiv grösser sein? Kann mich gerade nicht satthören. Top-Album!

foe

2024-05-17 14:25:53

Erster Gedanke nach Durchlauf Nr. 1: The Sleaford Streets Of Idles.

Samuel Herring

2024-05-10 22:30:38

Über die Rezi bei Spiegel Online gekommen.
Hat nicht unbedingt die größte Schnittmenge mit dem was ich sonst höre, klingt aber spannend und gefällt nach jetzt 3 Durchläufen.

Armin

2024-05-05 21:15:52- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum