
Kamasi Washington - Fearless movement
Young / XL / Beggars / IndigoVÖ: 03.05.2024
Hinterm Jazz-Horizont geht's weiter
Mit Blick auf die enorme Komplexität seiner Musik war es 2018 überaus verblüffend, dass Kamasi Washington nur drei Jahre nach seinem ersten monumentalen Meisterwerk "The epic" gleich das nächste folgen ließ: "Heaven and earth" hieß das, und es untermauerte den Status des Künstlers als einer der herausragenden Jazzinterpreten unserer Zeit. Beide Alben sprengten inhaltlich, formal und zeitlich den Rahmen und verlangten der geneigten Zuhörerschaft einiges ab: Nicht alle vermochten sich darauf einzulassen, allerdings holte er Menschen ins Jazzboot, die um dessen Anleger bislang einen großen Bogen gemacht haben. Bis heute gilt: Wer in die beiden Veröffentlichungen im XXL-Format eintaucht, wird überreich belohnt. 2020 lieferte der Ausnahme-Saxofonist zwischendurch zwar den Soundtrack "Becoming", doch der nächste reguläre Streich ließ lange sechs Jahre auf sich warten. "Fearless movement" heißt dieser, knackt locker die 80-Minuten-Marke und bietet weitere Argumente in Richtung Legendenbildung. Kleiner Spoiler vorweg: Dass sich Washington in den zwölf Stücken auch dezidiert auf neues Terrain begibt, tut der ganzen Angelegenheit ausgesprochen gut.
Der Ausnahmemusiker stellt ein Gebet an den Anfang, wenn er in "Lesanu" zur altäthiopischen Sprache Ge'ez greift. Langsam baut sich dieser gewaltige Opener auf: ein Stück, in dem Washington sich an einen verstorbenen Freund erinnert. Er hatte bei der Konzeption von "Fearless movement" zwangsläufig viel Zeit für Rückblicke, zum Ausprobieren, für Dinge, die im fortwährenden Strom des Alltags plötzlich mehr Raum einnahmen, denn die Pandemie bremste die Welt Stück für Stück aus. Genau in dieser Phase wurde außerdem seine Tochter Asha geboren, die der frisch gebackene Familienvater von Anfang an mit der Musik beschenkte, die seinen kreativen Kosmos bestimmt. Als sie rund zwei Jahre alt war, probierte sie sich nach seiner Auskunft zunehmend selbst spielerisch am Piano aus und wiederholte, wie Washington sich erinnert, eines Tages eine bestimmte Tonfolge immer und immer wieder. Eine Geschichte, die so schön ist, dass man sie zwingend glauben möchte. Daraus entstand in der Folge die Idee zu "Asha the first", einem frühen Höhepunkt dieses Albums. Hier unterstützen die Gäste Thundercat sowie Taj und Ras Austin den 1981 geborenen Klangkünstler.
Überhaupt die Gäste. Bei seinen vorherigen Alben setzte Washington oft und gerne auf vielköpfige Unterstützung, buchte Orchester und Chöre hinzu. "Fearless movement" ist in dieser Hinsicht schlanker, fokussierter, weniger opulent. Dass es dabei aber nicht weniger spannend zugeht, verdankt die ganze Angelegenheit auch den vielen versierten Musiker*innen, die während der Aufnahmen durch sein Studio kamen. Die Rückgriffe zum Rap und HipHop können diejenigen, die sein Schaffen schon länger verfolgen, nicht überraschen. Aber die Präsenz, die einige Figuren aus diesen musikalischen Spielarten einnehmen, ist deutlicher vernehmbar als je zuvor. Eine große Bereicherung ist das, wenn Terrace Martin in "The visionary" seine Qualitäten ins Feld führt oder André 3000 ein Sammelsurium an Flöten aus der Tasche packt und "Dream state" veredelt. Dann erkennt man die offenkundige Überzeugung von Kamasi Washington, dass die Schönheit der Musik eben auch und gerade im gemeinsamen Schaffen und in der gegenseitigen Bereicherung liegt. Daraus kann dann auch eine funkig-beschwingte Nummer wie "Get lit" entstehen, bei der George Clinton und D Smoke den Horizont erweitern. Die Gäste kommen und gehen, alles ist im Fluss, zwischendurch wird das alles sogar entschlossen tanzbar.
Der abschließende respektive alles krönende Epilog von "Fearless movement" kommt im Titel dem Namen nach als Auftakt daher: "Prologue", im Original von Astor Piazzolla kaum zwei Minuten kurz, setzt in seinen knapp mehr als acht Minuten einen herausragenden Schlusspunkt. Washington ruft noch einmal alle Qualitäten ab, sein Saxofon durchdringt diese famose Klangwelt aus rhythmischen Beats und mitreißendem Tempo und bringt ein exzellentes Album zu einem überaus stimmigen Ende. Der aufregendste Jazzmusiker der Gegenwart scheint hier unmittelbar vor uns zu stehen, wenn er alles aus seinem Instrument herausholt und einen laustarken, selbstbewussten und ausufernden Vortrag hin zum Finale furioso treibt. Und vielleicht ist dieser "Prologue" ja auch als Überleitung zu dem zu verstehen, was als nächstes Projekt aus Los Angeles in die Welt entlassen wird. Etwaige längere Wartezeiten planen wir bei diesem Künstler, der nicht nur ein großer Saxofonist, sondern ein echter musikalischer Visionär und Grenzgänger ist, nur allzu gern ein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Asha the first (feat. Thundercat, Taj Austin, Ras Austin)
- Get lit (feat. George Clinton, D Smoke)
- Road to self
- Prologue
Tracklist
- Lesanu
- Asha the first (feat. Thundercat, Taj Austin & Ras Austin)
- Computer love (feat. Patrice Quinn, DJ Battlecat & Brandon Coleman)
- The visionary (feat. Terrace Martin)
- Get lit (feat. George Clinton & D Smoke)
- Dream state (feat. André 3000)
- Together (feat. BJ The Chicago Kid)
- The garden path
- Interstellar peace
- Road to self
- Lines in the sand
- Prologue
Im Forum kommentieren
fuzzmyass
2024-12-05 20:11:13
Muss auch mal wieder hören... freu mich schon aufs Konzert nächstes Jahr
nagolny
2024-12-05 19:56:16
Es wächst und wächst und wächst und wächst...
Deaf
2024-09-13 08:35:16
Gesamte Europa-Tour aufgrund einer Rückenverletzung verschoben auf Frühling 2025.
Neue Daten unter anderem:
21.03.25 München
30.03.25 Zürich
31.03.25 Lausanne
17.04.25 Köln
19.04.25 Frankfurt
embele
2024-05-09 10:18:13
Erster Durchgang ist erfolgt und es bleibt der sehr guter Eindruck. Ich werde natürlich wieder eintauchen, um mir diese Platte zu erarbeiten, kann die Punkte der Plattenkritik aber voll unterstreichen:
Schlanker in den Arrangements und sehr rhythmisch, tolles Album.
Ich freue mich schon sehr auf das Konzert in Köln, diese Tour sollte man nicht verpassen...
Hierkannmanparken
2024-05-06 19:57:06
Asha the First ist ja ne Welt für sich, Wahnsinn
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Kamasi Washington - The epic (111 Beiträge / Letzter am 03.03.2025 - 20:50 Uhr)
- Kamasi Washington - Fearless Movement (15 Beiträge / Letzter am 05.12.2024 - 20:11 Uhr)
- Kamasi Washington - The garden path (1 Beiträge / Letzter am 03.02.2022 - 19:08 Uhr)
- Kamasi Washington - Becoming (Music from the Netflix original documentary) (1 Beiträge / Letzter am 30.11.2020 - 22:46 Uhr)
- Kamasi Washington - Heaven and Earth (37 Beiträge / Letzter am 06.02.2020 - 22:11 Uhr)
- Kamasi Washington - Harmony of difference (10 Beiträge / Letzter am 15.10.2017 - 13:26 Uhr)