Thief - Bleed, memory

Prophecy / Soulfood
VÖ: 19.04.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Gedanken reimt sich auf erkranken

Demenz ist ein Arschloch. Das weiß jeder, der schon einmal miterleben musste, wie ältliche Familienangehörige in verwirrtem Zustand nur mit Jogginghose und T-Shirt bekleidet durch die winterliche Stadt spazieren, vom gestrigen Gespräch mit längst verstorbenen Verwandten berichten oder andere besorgniserregende Symptome geistigen Verfalls zeigen. Zum Beispiel Thief-Mastermind Dylan Neal, dessen Vater ebenfalls an der heimtückischen Krankheit leidet. Nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für alle ihnen Nahestehenden ein ziemliches Grauen, das erst einmal verarbeitet sein will. Da trifft es sich gut, dass Neal "Cinderland", den ersten Vorabtrack zum vierten Thief-Longplayer, mit Bildern aus dem japanischen Horrorfilm "Onibaba - Die Töterinnen" unterlegt und sich mit unruhig wummernder Rhythmusspur, Klargesang und weit ausholenden Gitarren-Drones ebenso unwägbar gibt wie der schwarzweiße Klassiker aus den 1960er-Jahren. Verwirrend? Das muss so – erst recht im Kontext dieser Dreiviertelstunde.

"Bleed, memory" funktioniert nämlich genauso als Illustration einer durcheinandergeratenen Psyche wie als Spiegelbild von Neals musikalischem Werdegang von geisterhaftem TripHop über düstere Elektro-Pop-Exerzitien bis hin zu Atmospheric Black Metal. Auch wenn der Mann aus Los Angeles allzu klar umrissene Genregrenzen schon auf dem Vorgänger "The 16 deaths of my master" weitestgehend hinter sich ließ und für unrunde Breakbeat-Grooves ebenso empfänglich ist wie für Vocal-Extremfälle und sakrales Brimborium per durch den Effekt-Häcksler geschleuster Kirchenchöre. Diese schleichen sich auch hier immer wieder ein – neben dem Hackbrett, das Neal während seiner Zeit bei Botanist bediente. Sicher nicht gerade das Black-Metal-typischste Instrument, aber ein willkommener Ruhepol inmitten einer Musik, die mitunter so unberechenbar durcheinanderblubbert und -morpht, dass sich Beats, tiefschwebende Synthie-Wölkchen und Anrufungen aus dem Sampling-Teilchenbeschleuniger gegenseitig überholen.

Besonders dynamisch: "Paramnesia", das im Titel zwar vermeintliche Erinnerungen an Dinge verhandelt, die nie passiert sind, aber dank sanfter elektronischer Umpuschelung, Breakbeat-Rollkommando und tröstlicher Ansprache umso hartnäckiger im Gedächtnis bleibt: "And I swear to you it is not true / Whatever your mind might lie to you." Fluffiger wird's nicht. Vor allem nicht bei "Pneuma enthusiastikon", einer knirschenden Reminiszenz an Neals schwarzmetallische Vergangenheit: Heisere Screams fegen durch den Gedankenpalast, während sich schmurgelnder Bass und tieffrequenzige Saiten um die Distorto-Vorherrschaft beharken. Das Titelstück könnte wiederum auch ein abgemagerter Massive-Attack-Song sein, ehe "Dead coyote dreams" es vertrauter im Gebälk kreischen lässt und "Bleed, memory" ab "Dulcinea" immer fragmentierter wird. Ein treffliches Sinnbild für die kognitiven Bruchkanten eines Albums, das gleichermaßen beunruhigt und fasziniert. Und alles andere als vergessen gehört – solange der Körper mitspielt.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Cinderland
  • Paramnesia
  • Pneuma enthusiastikon
  • Dead coyote dreams

Tracklist

  1. Apparitions
  2. Cinderland
  3. Paramnesia
  4. Pneuma enthusiastikon
  5. Prankquean
  6. Bleed, memory
  7. Dead coyote dreams
  8. Dulcinea
  9. Behemouth
  10. Hexproof
  11. Pissing
  12. To whom it may concern
Gesamtspielzeit: 44:04 min

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Armin

2024-04-25 19:51:11- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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