Justice - Hyperdrama

Ed Banger / Because / Virgin / Universal
VÖ: 26.04.2024
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Zwischen Demut und Disco

Das waren Zeiten, als Justice noch die Pferde scheu machten. Mit dem Video zu "Stress", das in seiner dokumentarischen Darstellung von Gewalt in den Pariser Vorstädten verschreckte, oder mit einem Brecher wie "Waters of Nazareth", dessen bösartige Distortion einen prompt in ein neondurchflutetes Walzwerk versetzte, wo Daft Punk messerscharfe Helme tragen und ihre Geräte auf Gnadenlos-Modus gestellt haben. Über 15 Jahre später ist das Vorzeige-Duo des French House Geschichte, was Justice gewissermaßen zu seinen legitimen Nachfolgern macht. Da kommt es wie gerufen, dass Gaspard Augé und Xavier de Rosnay sich inzwischen friedfertiger geben und ihre Musik durch Prog-Rock, Disco oder Soul filtern. Auf "Audio, video, disco." und "Woman" kein "Hyperdrama", aber das Ende für allzu ruinöse Dancefloor-Bomben.

Und auf Album Nummer vier? Da machen Justice nicht mal mehr ein Tame Impala scheu, denn deren Mastermind Kevin Parker gastiert direkt doppelt. Die Stimme des Australiers fügt sich vorzüglich ein, wenn sie im Auftakt "Neverender" leicht psychedelisch durch wogende Synthies weht, während die Rhythmen vollmundig schmatzen und die Percussion aufgeregt klingelt und klappert. Wenn das Musik mit dem Holzhammer sein soll, dann mit einem flauschig wattierten, der auch beim zweiten Parker-Feature "One night / All night" zum Einsatz kommt. Was eingangs ein Club-Mix von Mando Diaos "Dance with somebody" sein könnte, schlägt schnell in eine Disco-Hymne an eine Angebetete um – betont anschmiegsam statt mit der groben Kelle aufgetischt. Sollte Subtilität dem Duo am Ende doch nicht ganz so fern liegen wie früher verschiedentlich kolportiert?

Ein Gedanke, der sich auch gegen Ende von "Hyperdrama" aufdrängt: Soul-Mann Miguel veredelt zu bimmelnden Breaks, knackigem Funk und langgezogenen Orchester-Shots das zarte "Saturnine" beinahe so, als habe jemand zu hart auf seinem Schoß Platz genommen, und Stephen Bruner alias Thundercat macht aus dem programmatisch betitelten "The end" nicht etwa einen verqueren Batzen Future-Jazz, sondern hält den zuweilen hektisch durchs Stereopanorama kabelnden Electronics einen beseelt demütigen Vortrag entgegen, der mit sämtlichen vorangegangenen Rüpeleien versöhnt – hätte es denn welche gegeben. Auch der von einer prominenten Sequenz nur mäßig aufgeraute Shuffle "Afterimage" erfährt durch die Amsterdamer R'n'B-Sängerin Rimon nämlich genau die Portion Lieblichkeit, die man bei den Franzosen bisher oft vergeblich suchte.

Doch die Club-Power lässt nicht lange auf sich warten: Das pumpende "Generator" übersteht dank reingeschnittenen Chorfetzen, einem mutierten House-Piano und emuliertem Streicherarrangement auch die unverhofftesten Drops, "Incognito" holt nach cheesy Eröffnung nur die großkariertesten Basslinien und Arpeggio-Lichtblitze raus. "Mannequin love" hingegen wirkt, als wären Kraftwerk schon immer eine Synthwave-Band gewesen, und "Dear Alan" verschneidet das Gitarren-Sample aus Stardusts "Music sounds better with you" mit einem "Die Roboter"-Flackern. Würde "Hyperdrama" ab "Moonlight rendez-vous" weniger beiläufig vor sich hindudeln, ehe das soulige Finale die Sache rund macht, hätten wir es sogar mit dem besten Justice-Album seit "†" zu tun. Aber schlucken wir erst mal eine Ladung Discokugeln und hören nächste Woche noch mal rein. Soll helfen.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Neverender (starring Tame Impala)
  • Generator
  • Incognito
  • Saturnine (starring Miguel)

Tracklist

  1. Neverender (starring Tame Impala)
  2. Generator
  3. Afterimage (starring Rimon)
  4. One night / All night (starring Tame Impala)
  5. Dear Alan
  6. Incognito
  7. Mannequin love
  8. Moonlight rendez-vous
  9. Explorer (starring Connan Mockasin)
  10. Muscle memory
  11. Harpy dream
  12. Saturnine (starring Miguel)
  13. The end (starring Thundercat)
Gesamtspielzeit: 49:19 min

Im Forum kommentieren

sizeofanocean

2025-07-22 16:40:04

die komplette Remix-EP zu dem Track ist fein geworden

Lordran

2025-07-22 09:18:53

Sehr stark! Alan Braxe liefert aber immer ab.

sizeofanocean

2025-07-21 22:15:53

https://youtu.be/Rgg-H-cG6wA?si=yQ7XBPo7HA1VmwMt

Bonzo

2024-04-29 21:05:31

Hat einen tollen Flow. Hab jetzt Bock auf Hamburg im September. Sind die in Deutschland echt noch so groß, dass sie solche Hallen füllen können?

Jonas

2024-04-27 02:32:26

Taugte mir sehr, nachdem mein Interesse mit der Soundästhetik des zweiten Albums nachgelassen hatte. :-)

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