Maggie Rogers - Don't forget me
Capitol / UniversalVÖ: 12.04.2024
Außer Atem
Nicht vergessen zu werden ist eines der höchsten Ziele vieler künstlerischer Sehnsüchte. Lana Del Rey nutzte die Metapher eines versiegelten Tunnels, um diesen Wunsch auszusprechen. Maggie Rogers ist da nicht nur im Albumtitel direkter: "Don't forget me" heißt die dritte Platte der Musikerin aus Maryland, die sie gemeinsam mit Produzent Ian Fitchuk in nur fünf Tagen aufnahm und auf der teilweise sogar First Takes zu hören sind. Nachdem die einstige Musterschülerin von Pharrell Williams vor allem auf ihrem Debüt "Heard it in a past life" durch Überproduktion auffiel, setzt sie nun auf erdige Reduktion – was jedoch keineswegs mit einsam geklampften Folk-Klageliedern einhergeht. Ganz im Gegenteil: "Don't forget me" ist ein klanggewordener Roadtrip zwischen Country-nahem Pop-Rock der 2000er-Jahre und Laurel-Canyon-Hommage, der die von Rogers selbst erwähnte Referenz "Thelma & Louise" mit aufbrausendem Vorwärtsdrang spiegelt.
"Maggie, slow your roll", warnt daher gleich das von verhallten Gitarren und Synths aufgefangene "It was coming all along", damit das Auto nicht schon im ersten Song über die Klippe rast. Rogers kommt dieser Selbstaufforderung allerdings nicht nach: "Drunk" ist ein wahnsinnig kraftvoller Uptempo-Strudel aus rastlosen Drums und Saiten-Arpeggios, der mit sich überschlagender Stimme den Hedonismus einfängt, jedoch auch um dessen selbstzerstörerische Kraft weiß: "Time is up / You've had your fun." Ambivalenzen stehen auch im Fokus des gleichsam von einem leichten New-Wave-Schleier umhüllten "The kill". "Remember the days we used to drive upstate / Singing indie rock songs in the car", erinnert sich Rogers, doch war die gemeinsame Zeit nicht nur glücklich: "I was all the way in, you were halfway out the door / Oh, I was an animal making my way up the hill / And you were going in for the kill." Im zweiten Refrain switcht die clevere Songwriterin die Pronomen, verteilt das Beziehungsscheitern damit gerecht auf beide Schulterpaare.
Nicht nur hier verpackt Rogers Zwischenmenschliches in plastische Sprachbilder – ein "jacket the same color as the seats in your car" wird etwa zum emotionalen Fixpunkt von "Never going home", das alle Autofenster in einem Radius von 100 Metern automatisch herunterkurbelt. Die greifbare Textur wird der selbstgenannten Inspiration durch Linda McCartneys Fotografie gerecht, spielt aber auch der vergleichbar textenden Taylor Swift eine Woche vor deren Album-Release von "The tortured poets department" den Ball zu. Ihren Humor beweist Rogers indes vor allem in "So sick of dreaming", einem Stück Fleetwood-Mac-Soft-Rocks, das in bewusstem Shania-Twain-Style einen oder mehrere Verehrer abserviert: "There ain't no diamond ring you could buy me to take me home." Am Ende berichtet die Erzählerin schadenfroh, wie sie ein Typ für ein Basketballspiel sitzen lassen hat, nur um die Knicks verlieren zu sehen. Wehmütig denkt "If now was then" an schönere New Yorker Dating-Erfahrungen zurück, hat aber zumindest in seinem Demo-ähnlichen Arrangement samt Stolper-Rhythmus Spaß inne Backen.
2022 schloss Rogers ein Masterstudium in "Religion & public life" ab – laut eigener Aussage, weil viele ihrer Fans inzwischen mehr als nur musikalischen Beistand von ihr suchen und sie in diesem geradezu spirituellen Verhältnis zwischen öffentlicher Person und Publikum geschult werden wollte. Manchmal neigt "Don't forget me" durchaus zum Predigen: "One day you'll be looking back / And maybe wish that you were kinder / But it ain't always the truth / That hindsight makes you softer", heißt es etwa in "On & on & on". Die emotionale Rohheit des Vortrags bewahrt solche Momente jedoch vor der steifen Priestergeste, was auch für die beiden Ruhepole der Platte gilt, die Pianoballade "I still do" sowie die Americana-Intimität "All the same". All die auf dem Highway gesammelte und entladene Energie kulminiert im abschließenden Titeltrack, der beinahe verzweifelt nicht die ewige Liebe, sondern deren sich nie verflüchtigenden Rückstände zum Ideal erklärt: "Take my money, wreck my Sundays / Love me till your next somebody / Oh, but promise me that when it's time to leave / Don't forget me." Wie könnte das angesichts solcher Instant-Klassiker wie diesem Song je passieren?
Highlights & Tracklist
Highlights
- It was coming all along
- Drunk
- The kill
- Don't forget me
Tracklist
- It was coming all along
- Drunk
- So sick of dreaming
- The kill
- If now was then
- I still do
- On & on & on
- Never going home
- All the same
- Don't forget me
Im Forum kommentieren
MickHead
2024-10-08 19:21:06
Neuer Song "In The Living Room"
https://youtu.be/nD3G3j0VEwM?si=XRms6Sgc7djVZ6tF
“I wrote ‘In The Living Room’ in March 2023, a few months after writing Don’t Forget Me,” Rogers said.
kovacs
2024-07-12 08:35:36
ein schönes album, dem ein bisschen die einzigartigkeit fehlt. „the kill“ ist das highlight, danach kommen „so sick of dreaming“ und „never going home“.
dass hier michelle branch unter den referenzen steht, hat mich gefreut, musste beim hören vor allem der zweiten albumhälfte oft an „the spirit room“ denken.
Armin
2024-04-17 20:09:51- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
bender
2024-04-12 15:13:41
sorry, danke für die Info ;-)
Mir ist noch was aufgefallen: Der Beginn von "On & On & On" ist ja voll von Christina Aguilera's "Genie In A Bottle" geklaut!
MopedTobias (Marvin)
2024-04-12 12:25:14
Wir werden oft mit einiger Vorlaufzeit vor Album-Release bemustert, aber nicht immer. Maggie Rogers gehört in die letztere Kategorie. Ich kann das erst seit vorgestern hören, von daher bitte ich, zumindest das erste Update nach VÖ abzuwarten, bevor man sich über die fehlende Rezension wundert. :)
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