The Jesus And Mary Chain - Glasgow eyes

Fuzz Club / Indigo
VÖ: 22.03.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Eintracht Glasgow

Paradiesische Zustände bei The Jesus And Mary Chain. Herrschte bei den Reid-Brüdern früher oft die Gefahr, dass sie neben ihrem Bühnen-Equipment auch sich gegenseitig zerdepperten, bezeichnen sie sich nun als Beinahe-Zwillinge, die telepathisch die Sätze des jeweils Anderen beenden können. Wer Angst hat, die neue Eintracht könnte das kreative Mojo der beiden ersticken, hat wahrscheinlich nie "Damage and joy" gehört – immerhin bewies dieses grandiose Comeback nach 19 Jahren, dass die Shoegaze- und Noise-Pop-Visionäre auch mit reservierten Erwartungshaltungen beladen abliefern können. In der Promo zu "Glasgow eyes" fallen nun Wörter wie "Kraftwerk", "Suicide" (die Band) und "Jazz", und auch, wenn The Jesus And Mary Chain nichts anderes als ein The-Jesus-And-Mary-Chain-Album gemacht haben, gehen sie tatsächlich etwas experimenteller und freiförmiger als auf dem Vorgänger zu Werke. Passenderweise sieht selbst die verwaschene Cover-Fratze noch ein bisschen unheimlicher aus als die nicht gerade einladende Buchstabensuppe von "Damage and joy".

So präsentiert sich die Lead-Single "Jamcod" zwar als Band-Hymne, doch spannen sich unter der vorwärtstreibenden Coolness Abgründe auf. Feuermelder-Synths und auffallend harsche Gitarren-Ausbrüche begraben den locker verschraubten Industrial-Beat, während Jim Reid von der Nacht erzählt, als Drogen- und Alkoholexzesse die Schotten zur vorübergehenden Auflösung zwangen: "Breaking up and then falling down / And my heart beats much too slow / Best notify the other brother / There's no place to go." Im Jahr 2024 überhaupt neue Musik von The Jesus And Mary Chain hören zu können, lässt sich gar nicht hoch genug wertschätzen – noch besser, dass "Glasgow eyes" sogar die erste Platte seit der Reunion mit komplett originärem Material ist, nachdem "Damage and joy" etwa noch einige Songs von Jims Nebenprojekt Freeheat wiederverwertete. Der Opener "Venal joy" liefert daher nicht nur wertvolle Ratschläge wie "Don't piss on fire", sondern entwickelt mit weiblicher Gesangsunterstützung einen so mitreißenden Drive, dass er jeden Ballast von früher gleich wegspült.

Der Rest der Platte fällt allerdings weniger mit der Feedback-verzogenen Tür ins Haus, schleicht sich stattdessen aus einer dunklen Nebengasse heraus an. "Mediterranean X film" beginnt mit verlorenen Anrufungen einer unbekannten Frauenstimme – nein, es ist nicht Sky Ferreira – und endet genauso mysteriös mit Jims Flüstern über einem schwachen Instrumentalpuls. Mit Streichern und allerlei Schaltkreis-Glitzer bohrt sich "Silver strings" immer näher, ehe sich das zwischen Slowcore und Tremolo-Rave zerrissene "Chemical animal" zu weiteren Drogen-Geständnissen schleppt: "I fill myself with chemicals / To hide the dark shit I don't show." Schwere Kost – doch wenn ein Track namens "The Eagles and The Beatles" vornehmlich den Rolling Stones huldigt, muss sich niemand darum sorgen, dass die Reids inzwischen ihren speziellen Humor eingebüßt hätten.

Ganz im Gegenteil tragen sie das schmerzvolle Grinsen so stolz auf den Lippen, dass "Glasgow smile" der passendere Albumtitel gewesen wäre. Unter den apathischen Beschwörungen von "Body heat and beat and sex" im seltsamen "Discotheque" wartet wahrscheinlich die gleiche ironische Falltür wie in "Girl 71": "We got wine / But that wouldn't last a day / Well, nothing does, so that's okay", heißt es da zu naivem Gute-Laune-Pop, bei dem die Schattenseiten des Hedonismus als Elefant im Raum stehen. Zum Abschluss darf "Hey Lou Reid" (kein Tippfehler) zwei Minuten lang im Geiste The Velvet Undergrounds rumpeln, bevor sich der Song zwischen schwebenden Strophen und Midtempo-Orgel-Grooves auflöst. "Damage and joy" mag insgesamt mehr Wucht entwickelt haben, doch mit "Glasgow eyes" unterstreichen The Jesus And Mary Chain fett, dass sie auch 40 Jahre nach ihrer Gründung künstlerisch noch einiges zu sagen haben. Und das ganz ohne, dass irgendwelche Brüder zu Schaden kommen mussten.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Venal joy
  • Silver strings
  • Girl 71

Tracklist

  1. Venal joy
  2. American born
  3. Mediterranean X film
  4. Jamcod
  5. Discotheque
  6. Pure poor
  7. The Eagles and The Beatles
  8. Silver strings
  9. Chemical animal
  10. Second of June
  11. Girl 71
  12. Hey Lou Reid
Gesamtspielzeit: 49:10 min

Im Forum kommentieren

Lordran

2024-03-30 12:27:47

„Mediterranean X“ sollte es heißen.

Lordran

2024-03-30 12:23:55

Werde mit dem Album nicht warm. Sehr schwacher Start. „Mediterraen X“ ist sogar furchtbar schlecht.
„Jamcod“ kickt endlich wie JAMC kicken sollte.
Danach wird es wieder experimentell bis albern (Eagles and Beatles). „Chemical Animal“ finde ich absolut öde.
„Girl 71“ ist absolut großartig, aber leider die Ausnahme.
Nichts für mich die Platte. 5/10.

Immermusik

2024-03-30 12:16:57

The Eagles and the Beatles schlimmster JAMC song ever.

fuzzmyass

2024-03-29 20:44:27

Seltsames Album, aber schon auch ganz gut... muss es öfter hören

MickHead

2024-03-29 19:43:43

Ganz aktuell:

UK Official Albums Chart # 7
UK Physical Albums Chart # 2
UK Independent Albums Chart # 1
UK Vinyl Albums Chart # 2
Scottish Albums Chart # 1



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