
Mannequin Pussy - I got heaven
Epitaph / IndigoVÖ: 01.03.2024
Kontraste, Kontraste
"Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust": Wo es den ollen Faust aber in die schiere Verzweiflung treibt, sich nicht zwischen A und B entscheiden zu können, gehen Mannequin Pussy mit all dem Yin und Yang wesentlich entspannter um. Der Punk-Vierer aus Pennsylvania steht nämlich weiterhin mit einem Bein im Hardcore und mit dem anderen, traurigeren im Neunziger-Alternative. Und das jeweils bis dick zu den Oberschenkeln – wenn Mannequin Pussy etwas machen, dann machen sie es schließlich richtig. Schon der Titeltrack ihres vierten Albums "I got heaven" bastelt am Hardcore geschulte Verse und einen Dreampop-artigen Chorus derart schlüssig aneinander, dass es so wirkt, als seien beide Musikrichtungen bei ihrer Geburt voneinander getrennt worden. "I'm stuck inside my loneliness / I'm stuck inside my grief" – einen Ausbruch aus dem Dilemma verspricht nur der direkte Weg durch die Wand. Schon "Patience" hat das vorgemacht, "I got heaven" verfeinert diese Herangehensweise nun noch ein Stückchen mehr.
Wägt Euch bloß niemals in Sicherheit: In "I don't know you" mit seinem verspielten, geloopten Jingle tobt im Hintergrund die Feedback-Walze des Todes, welche die aufkommende poppige Leichtigkeit mit aller Gewalt am Boden hält. Fronterin Missy Dabice klingt nicht nur hier wie der bösartige, zähnefletschende Klon von Kate Nash. Auch "Loud bark" schleicht sich behutsam von hinten an, packt dann aber immer fester zu – ein Paradebeispiel in Sachen Dynamik und ein herausragender Song. "I got heaven" treibt ein ganzes Rudel solcher Wölfe in Schafspelzen zusammen, lässt sie mitunter aber auch einfach schlicht Wölfe sein: "Of her" ist ein Riff-Brecher der unkaputtbaren Motörhead-Schule, kippt zwischendrin in brutalen Noise, fängt sich aber wieder und brettert ungestört weiter. In "Ok? Ok! Ok? Ok!" unterstützen die passgenauen Shouts von Basser Colins Regisford Dabice am Mic, es gibt Tempowechsel und Moshpits für die ganze Szene-Familie.
Und wie war das noch mal mit dem Grunge? Straighte Rocker samt Laut-Leise-Dynamik wie "Sometimes" haben die Aufgabenstellung völlig begriffen. Auch "Tell me softly" hat die verwaschene Neunziger-Ästhetik so dermaßen raus, dass Courtney Love und Billy Corgan allein über diesen Song wieder Freund*innen werden könnten – vor allem bei diesem fiesen kleinen Hole-artigen Ausbruch zum Schluss. "What if one day I don't love you anymore?" Öl und Wasser gehen nicht zusammen, Milch und Bier bei Mannequin Pussy hingegen schon: Der, ähem, Bollo-Hardcore von "Aching" beißt sich nämlich schrecklich schön mit dem irren Closer "Split me open", der erst dreamy durch den zertrümmerten Club schwebt, dann einen waschechten Singalong liefert, schließlich doch wieder die Punk-Grätsche hinlegt. Aber die Gegensätze ziehen sich hier magisch an, im besten Sinne des Sprichworts, auch ganz ohne einen Pakt mit finsteren Mächten. Mannequin Pussy loten ihre Grenzen aus und wachsen darüber hinaus. Grade gegenüber den ersten beiden Alben, die in unter 20 Minuten runtergeknüppelt werden, gilt: "I got heaven" ist das Epos der Band. Und bislang das Highlight in ihrer Diskografie.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Loud bark
- Tell me softly
- Split me open
Tracklist
- I got heaven
- Loud bark
- Nothing like
- I don't know you
- Sometimes
- Ok? Ok! Ok? Ok!
- Tell me softly
- Of her
- Aching
- Split me open
Im Forum kommentieren
tjsifi
2024-03-19 17:32:17
@Kamm: Stimmt schon. ;-) Muss man drüber stehen.
Kamm
2024-03-18 17:26:23
Definitiv ein Fall für den "Höre ich nicht, weil Bandname doof"-Thread. :/
tjsifi
2024-03-18 14:14:13
Schönes Album! Der Pop Appeal tut der Band echt gut finde ich.
myx
2024-03-01 21:25:59
Gutes Album, Kontraste triffts genau, mal schnurren sie handzahm, dann bricht plötzlich die Bestie hervor, dass man schier das Weite suchen möchte.^^ Live ist das sicher auch faszinierend.
Z4
2024-03-01 19:29:06
9/10 bei pitschie, ich hör mal rein.
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