
Brittany Howard - What now
Island / UniversalVÖ: 09.02.2024
Everything now
Eine Blume zu sein. Davon träumt Brittany Howard in "To be still", einer zärtlichen Meditation im Zentrum ihres zweiten Soloalbums. Der damit einhergehende Stillstand passt eigentlich so gar nicht zu der Künstlerin. Nach nur zwei Platten war vorläufig wieder Schluss mit ihrer gefeierten Soul-Rock-Band Alabama Shakes, danach tobte sie sie sich im Punk-nahen Projekt Thunderbitch aus, sang mit zwei anderen Wunderstimmen im Nashville-Trio Bermuda Triangle und machte es schließlich ganz alleine. Jenes Solo-Debüt "Jaime" bildete diesen rastlosen Geist stilistisch ab, und sein Nachfolger füllt die Palette mit sogar noch mehr Farben auf. Zwischen Brainfeeder-tauglichem Future-Funk und Vintage-Hommage, zwischen polyrhythmischem Jazz und Four-to-the-floor-Einfachheit, zwischen dämmriger Gospel-Klage und explodierender Tanzfläche kann sich Howard nicht entscheiden und beantwortet die im Albumtitel gestellte Frage gleich selbst. "What now"? Alles auf einmal.
Die ganzen Auswucherungen zusammenhalten sollen kleine Outros mit Klangschalen und dronigen Synths, welche die meisten Songs zu sphärischer Ruhe kommen lassen. Der Opener "Earth sign" beginnt mit einer solchen Passage, was seiner Aura angemessen ist: Wenn die synkopierten Drums einsetzen, der Track ein gleichzeitig mitreißendes wie dezent dissonantes Crescendo aufbaut und Howard "There's a love waiting for me!" in die Welt herausschreit, ist das eine wahrlich spirituelle Erfahrung. "I don't" bleibt gleich in Paradiesnähe, samtweich croont sich die Künstlerin aus Alabama durch einen geschmeidig gebassten, idyllischen Retro-Soul-Groove. Erst der Titeltrack kommt wieder auf dem Boden an: So poppig klang Howard noch nie, mit zitterndem Rhythmus und messerscharfen Gitarren verbiegt sie jedoch den Pop nach ihrem Gusto statt umgekehrt. Die gemeinsam mit Shawn Everett ausgearbeitete Produktion, die jedem Instrument seinen Raum lässt, kommt hier besonders gut zur Geltung.
Dennoch ist "What now" ein Album, das es seinem Publikum nicht immer einfach macht. "Another day" klingt fast wie die Britanny-Howard-Version von Hyper-Pop, und während man überlegt, ob irgendwo nicht doch noch ein anderer Audio-Tab offen ist, hört der Spuk nach gut zwei Minuten schon wieder auf. Generell hat man manchmal das Gefühl, Howard würde ihr Genie nicht mit letzter Konsequenz formvollenden. Was dahingegen erstaunlich reibungslos funktioniert, sind die teilweise betonharten Stimmungswechsel. Das vollelektronische "Prove it to you" pumpt als kompromissloser Dancefloor-Banger nach vorne, nur um im Mitternachts-Seufzer von "Samson" jede Energie wieder zu verlieren. "I'm trying to avoid you / I'm living in the future / I'm trying to get along with you / I'm split in two", hadert Howard in leiser Verzweiflung, ehe Keyboard und Trompete aus ihrer Umlaufbahn driften und nach etwas suchen, das sich schon längst aufgelöst hat.
Howards jüngste Scheidung bildet das thematische Herz der Platte, deren emotionale Antworten darauf vielfältig sind. Über einem TripHop-artigen Beat von der Textur kalter Knochen ärgert sich "Red flags" darüber, immer in die titelgebenden Fallen zu tappen. "Power to undo" probiert's im Kontrast dazu mit Selbstermächtigung, schnellzündende Hooks prallen auf Starkstrom-durchsetztes Chaos, Howard demonstriert lässig ihre Hochklasse als Gitarristin und kanalisiert Prince mit einer Bravour wie wenig andere nach seinem Tod. Der Song ist die erste Hälfte eines wahnsinnig starken Schlussdoppels. "Every color in blue" macht's sogar noch besser: Saiten, Tasten, Bläser und Stimme fließen hier so virtuos und wunderschön ineinander, dass auch das Smile in Thom Yorkes Gesicht breiter werden dürfte. Wer so ein Album beendet, weckt die Hoffnung, in Zukunft noch das eine oder andere Meisterwerk aus dem Ärmel schütteln zu können. What next?
Highlights & Tracklist
Highlights
- Earth sign
- What now
- Power to undo
- Every color in blue
Tracklist
- Earth sign
- I don't
- What now
- Red flags
- To be still
- Interlude
- Another day
- Prove it to you
- Samson
- Patience
- Power to undo
- Every color in blue
Im Forum kommentieren
Perfect Day
2024-03-03 21:47:27
Mich überzeugt sie nicht, obwohl sie eine tolle Stimme hat. Ich würde sie und ihr Album gerne ganz innig lieben, muss aber feststellen: sie packt mich nicht über die ganze Distanz.
ichreitepferd
2024-03-03 20:51:23
Wer hier nicht reinhört, ist selber Schuld.
Grizzly Adams
2024-02-17 02:13:58
Die kannte ich nicht vorab. Mir war sie nur von Alabama Shakes ein Begriff. Hab da aber weniger der Band als ihrer Stimme wegen reingehört.
Du bemerkst aber auch hier mein Unentschieden. Da ist was, das mich triggert. Bin nur nicht sicher, wie sehr und wie lange. Trotzdem schön: es gibt eine weitere Stimme zur Künstlerin. Diese hat sie auf jeden Fall verdient.
dreckskerl
2024-02-17 02:06:33
Ich bin nach den 3 famosen Vorabsongs etwas enttäuscht.
Grizzly Adams
2024-02-17 01:28:07
Höre da tatsächlich so unterschiedliche Acts und Referenzen wie Prince, Algiers und Everything But The Girl in den Songs. Weiß noch nicht, wie ich dieses Album einordnen soll. Und ob es häufiger bei mir läuft.
Meine erste Assoziation war - nicht unbedingt musikalisch, aber vom Eindruck des zu viel Wollens - das Album von Allison Russell aus dem letzten Jahr. Da brauchte ich auch eine Weile, um das wertschätzen zu können. Kann gut sein, dass ich dieses hier ebenso ins Herz schließen werde. Kann aber auch ausbleiben.
Brittany Howard hat hier auf jeden Fall ein Album vorgelegt, das mehr als nur meinen Meinung verdient hat. Mein Aufruf daher: Hört mal rein.
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