Die Sterne - Grandezza

PIAS / Rough Trade
VÖ: 09.02.2024
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Machen's besser

War es das für Die Sterne? Konnte man sich fragen Mitte der Zehnerjahre. Zwar erschien mit "Flucht in die Flucht" 2014 ein vorzüglicher neunter Longplayer, der aber auch eine Art letztes Aufbäumen des damaligen Line-Ups markierte. Kaum vorstellbar, dass ausgerechnet die Band in den Sack hauen würde, die nach der sechsten Stunde in der Hamburger Schule noch Funk- und HipHop-AGs belegte und ihre Auftritte oft so freidrehend und verorgelt beendete, bis sich das Publikum von selbst zu verziehen begann. Doch Die Sterne existieren immer noch, statt Thomas Wenzel und Christoph Leich musizieren nun Leute von Urlaub In Polen und The Blood Arm mit, sodass das Weltall oder vielmehr Mastermind Frank Spilker nicht zu, äh, eint sein muss. Und auch in neuer Besetzung gerieten die Alben "Die Sterne" oder "Hallo Euphoria" exquisit. Aber fehlt da nicht noch was?

Genau: ein aktualisiertes Best-of, für welche der "Mach's besser"-Tribute zum 25-Jährigen kein gleichwertiger Ersatz sein konnte. Und "Die Interessanten" verstand sich 2004 eher als Anhängsel einer Videoclip-Sammlung auf DVD denn als musikalischer Karriere-Rundumschlag. Auf "Grandezza" vereinen sich nun endlich drei Jahrzehnte Die Sterne mit allem, was dazugehört: die nervöse, fehlfarbige Frühphase, die jedem gefallenden Clubhits zwischen Tanz- und Diskurs ab Mitte der Neunziger, knörmelige bis knackige Elektrifizierung im neuen Jahrtausend – bis hin zum Status als staatstragende Indie-Rocker, denen auch Alexander Hacke keine Tricks mehr beizubringen vermag. Das Duett "Ihr wollt mich töten" ist trotzdem eine wahre Wonne: blendend arrangiert und lakonisch-selbstironisch auch angesichts womöglich gewalttätiger letzter Dinge.

Die ersten und alles Folgende sind natürlich genauso gut – ein Grand mit 19, den der Evergreen "Was hat Dich bloß so ruiniert" standesgemäß eröffnet. Danach geht es nicht ganz chronologisch, aber immer erstklassig weiter: "Fickt das System" brilliert als angejazzter Groove-Brocken mit Rap-Flair in den Reimen, der "Universal Tellerwäscher" könnte ewig schrubben, "Trrrmmer" scharwenzelt durch den Schuppen, wo sonst nur Sly & The Family Stone läuft und jubiliert lauthals. Hinreißend zudem, wie nicht zu schade sich Die Sterne von jeher sind, Pop-Götter zu referenzieren: Der tosende Space-Rocker "Die Interessanten" kam live nie ohne Verbeugung vor Hawkwinds "Silver machine" aus, "Nur Flug" und die rührende Kiezklage "Wenn Dir St. Pauli auf den Geist fällt" ehren "Black is black" von Los Bravos respektive "Sloop John B" von – na, Sie wissen schon.

Und so ist "Grandezza" zumindest im ersten Teil eine Nummernrevue im allerbesten Sinne. Da wird selbst der "Big in Berlin"-Remix von Sophisti-Pop-Legende Edwyn Collins fast zur Fußnote. Wer etwas zu meckern haben möchte, kann sich gerne beschweren, dass Die Sterne ihr Dance-Meisterstück "24 / 7" mit nur einem Song abfrühstücken, soll das leider abwesende "Die Welt wird knusprig" für das beschauliche "Wir wissen nichts" einwechseln oder die dezent sinnfreie Mandarin-Version von "In diesem Sinn" belächeln. Widerstand ist jedoch zwecklos: Etwaige Schwachheiten während dieser wunderbaren 75 Minuten sitzt beziehungsweise tanzt spätestens der weltgewandt den Streicher-Po schwenkende Disco-Knüller "Der Sommer in die Stadt wird fahren" platt. Und nein: Das war es hoffentlich noch lange nicht für Die Sterne. Und wenn doch? Dann war es toll.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Was hat Dich bloß so ruiniert
  • Fickt das System
  • Trrrmmer
  • Die Interessanten
  • Ihr wollt mich töten (feat. Alexander Hacke)
  • Der Sommer in die Stadt wird fahren

Tracklist

  1. Was hat Dich bloß so ruiniert
  2. Wichtig
  3. Fickt das System
  4. Universal Tellerwäscher (Radio Edit)
  5. Unter Geiern II
  6. Trrrmmer
  7. Die Interessanten
  8. Big in Berlin (Edwyn Collins Remix)
  9. Nur Flug (Single Version)
  10. Wenn Dir St. Pauli auf den Geist fällt (Single Version)
  11. Nach fest kommt lose
  12. Aber andererseits:
  13. Ihr wollt mich töten (feat. Alexander Hacke)
  14. Mein Sonnenschirm umspannt die Welt
  15. Hey Dealer
  16. Der Sommer in die Stadt wird fahren
  17. Hallo Euphoria
  18. Wir wissen nichts
  19. In diesem Sinn (auf Mandarin)
Gesamtspielzeit: 74:57 min

Im Forum kommentieren

Rochen

2024-01-31 23:51:01

Erstaunlich, dass ausgerechnet der größte Hit ihrer Spätphase, "Du musst gar nix", zu fehlen scheint. Aber man kann es Fans bei Best-of-Alben ja sowieso nie recht machen. Solange es eine dazugehörige Tour gibt, passt das schon. Ich halte "24 / 7" übrigens auch für unterbewertet.

Thomas

2024-01-31 23:24:23

Korrigiert, schönen Dank.

qwertz

2024-01-31 23:10:35

Die Verlinkung zu "Flucht in die Flucht" gleich zu Beginn führt ans falsche Ziel.

Armin

2024-01-31 22:09:57- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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