Sleater-Kinney - Little rope

Concord / Universal
VÖ: 19.01.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Im Angesicht des Unsagbaren

Ob Janet Weiss ihren Ausstieg bei Sleater-Kinney mittlerweile bereut? Nun lassen sich eventuelle innere Spannungen aus der Außenperspektive nicht hinreichend beurteilen, doch ist zumindest der Punkt mit der von Weiss öffentlich kommentierten stilistischen Kehrtwende ihrer Ex-Band endgültig hinfällig. Nachdem bereits "Path of wellness" den halbgaren Nicht-wirklich-Art-Pop von "The center won't hold" mit viel Schwung aus dem Fenster schmiss, setzt "Little rope" die Rückbesinnung auf alte Riot-Grrrl-Tugenden fort. Während des Entstehungsprozesses des Albums starben Carrie Brownsteins Mutter und Stiefvater bei einem Autounfall, und in der Trauerarbeit entdeckte sie das Ausdrucksvermögen ihres Gitarrenspiels wieder. So entlockt sie ihrem Instrument eine präzise, aber eloquente Sprache, Corin Tucker kontert mit gleichsam leidenschaftlichen Gesangsperformances und Produzent John Congleton wickelt alles in grobkörnigstes Sandpapier. Die elfte Platte der zum Duo geschrumpften Band kracht, scheppert und zerrt an allen Ecken – und findet damit eine tumultöse, nach draußen drängelnde Textur, die den chaotischen Emotionen im Angesicht des Unsagbaren gerecht wird.

"Hell needs no invitation / Hell don't make no fuss / Hell is desperation / And a young man with a gun." Das Album beginnt mit einer reduzierten Totenklage, ehe sich das im Hintergrund brodelnde Unheil in donnernden Anti-Refrains samt verzerrten Sirenen entlädt. "Needlessly wild" rumpelt gleich mit gewetzten Zähnen los, zieht in der Bridge zum keineswegs unnötig wilden Punk-Sprint an und lässt Brownsteins Gitarre so charismatische Licks ausspucken, dass es nicht wundern würde, wenn sie tatsächlich zu sprechen begänne. Sleater-Kinney knüpfen ihr "Little rope" nahtlos an den Vorgänger sowie das späte Karriere-Meisterstück "No cities to love" an, auch wenn immer wieder Reste des dazwischenstehenden Kontroversentriggers durchscheinen. So schmettert Tucker die unheimlich eingängige Chorusmelodie der Achtziger-inspirierten Single "Say it like you mean it" mit so einer Überzeugung aus sich heraus, dass die Band den Eindruck erweckt, dem Pop noch nicht alles gesagt zu haben. Gast-Drummerin Angie Boylan gibt nicht nur hier eine gute, songdienliche Figur ab, ohne dabei an Weiss' Raffinesse heranzureichen. Doch wer zu lange im Geschehenen verharrt, wird vom Vorwärtsstrom der zwei US-Amerikanerinnen rigoros mitgerissen.

Manchmal wirkt es so, als wollten sie vor den Wunden der Vergangenheit davonlaufen: "The thing you fear the most / Will hunt you down", heißt es vielsagend in einem angebluesten Stampfer. Doch die meiste Zeit über nehmen Sleater-Kinney jede Heimsuchung vorweg, indem sie selbst voll in die Offensive gehen. Der aus heißem Draht gezwirbelte Post-Punk von "Small finds" zuckt und zappelt wie ein einziger Kurzschluss, "Six mistakes" verschränkt die harschesten Noise-Bohrungen der Platte mit bedrohlichem Piano und wieder einmal sofort zündenden Hooks. "I need to slow down", kündigt dazwischen das luftiger janglende "Don't feel right" an, ehe das letzte Albumdrittel tatsächlich die Intensität runterfährt. Erst koppelt "Crusader" unruhige Strophen mit weiteren neonfarbenen Pop-Momenten, dann zeigt auch das schöne "Dress yourself", dass Sleater-Kinney mit Drumcomputer und Synths funktionieren können. "You built a cage, but your measurement's wrong / I'll find a way and I'll pick your lock", droht schließlich "Untidy creature" als letztes Testament zweier Frauen, die sich von nichts auf der Welt die Flügel stutzen lassen. Brownstein schwebt wie auf dem Albumcover, Tucker zieht mit entfesselten Schreien nach und der Riot-Grrrl-Sternenhimmel strahlt auch 2024 noch so hell wie am ersten Tag.

(Marvin Tyczkowski)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Hell
  • Small finds
  • Six mistakes

Tracklist

  1. Hell
  2. Needlessly wild
  3. Say it like you mean it
  4. Hunt you down
  5. Small finds
  6. Don't feel right
  7. Six mistakes
  8. Crusader
  9. Dress yourself
  10. Untidy creature
Gesamtspielzeit: 34:10 min

Im Forum kommentieren

fakeboy

2024-02-16 10:05:06

Tickets gekauft. Kosten sogar nur 37 Franken. Sehr schön, freu mich.

fuzzmyass

2024-02-14 02:22:16

Freu mich auch sehr... war eines meiner letzten Konzerte vor Corona damals, musste aber nach Frankfurt fahren weil sie nicht in München spielten

fakeboy

2024-02-14 00:13:37

Ach Mist, Blonde Redhead sind gar nicht auf der ganzen Tour dabei. Leider nur in Oslo und Antwerpen... Anyway, freu mich trotzdem aufs Konzert. Und Tickets sind mit 42 Franken sogar ein einem sehr erträglichen Bereich.

fakeboy

2024-02-13 15:58:21

Hurra, Lausanne am 23.8.! Und dann noch mit Blonde Redhead als Support. Sehr geil!

fuzzmyass

2024-02-13 15:40:49

Yes, München bin ich am Start! Super cool! Live sind die super... Album ist okay, ohne umzuhauen...

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum