Bill Ryder-Jones - Iechyd da

Domino / GoodToGo
VÖ: 12.01.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Der Wind dreht sich

Raus aus dem Bett und direkt an den Tresen. Nachdem Bill Ryder-Jones auf "Yawn" noch das Gähnen per Albumtitel würdigte, stößt er nun zum walisischen Trinkspruch "Iechyd da" an, was übersetzt so viel wie "gute Gesundheit" bedeutet. Natürlich lud jenes 2018er-Werk ebenso wenig zum Wegnicken ein, wie sein gut fünf Jahre später erscheinender Nachfolger kneipentaugliche Singalongs anstimmt – auch wenn die Saufgesellschaft sich diesmal zumindest keine Sorgen machen müsste, von plötzlichen Dissonanzen oder Shoegaze-Fluten überwältigt zu werden. Ryder-Jones, der in der Zeit zwischen den Platten sein Profil als Produzent schärfte, wollte bewusst wieder positiver klingen als zuletzt, weshalb er seine zarten Folk-Songs mit feierlichem Orchesterschwung und sogar Kinderchören ausstattet. All das geschieht unter dem Motto einer Liebeserklärung an Wales, aus dem ein Teil der Verwandtschaft des Engländers stammt und mit dem er eine Reihe eindrücklicher Erinnerungen verbindet.

Der Opener findet seinen ersten geografischen Bezugspunkt allerdings mehrere Tausend Kilometer südwestlich. Ein Sample des Songs "Baby" von der brasilianischen Sängerin Gal Costa geistert durch "I know that it's like this", das seinen sachten Rhythmus unter Akustik-Perlen anzieht, um am Ende im Streicher-Drama zu landen. "A bad wind blows through my heart pt. 3" schreibt nicht nur Ryder-Jones' Lieblingsalbum von sich selbst fort, sondern brilliert mit einem weiteren Tempowechsel: Im mittelschweren Sturm von Piano und Drums wischt die finale "How I loved you"-Beschwörung mal eben die Herzkanäle durch. Der The-Coral-Mitgründer spielt in den Schlussakten seiner Stücke so manchen Trumpf aus, was nicht immer nur durch Intensivierung, sondern zuweilen auch durch Reduktion geschieht. In den letzten 40 Sekunden von "It's today again" ziehen sich die Instrumente bar einer leisen Akustikgitarre komplett zurück, um die Kinderstimmen ganz für sich stehen zu lassen.

Die in diesen Songs zum Ausdruck kommende Dynamik trägt dazu bei, dass all der ungebrochene Wohlklang nicht in naheliegende Kitsch-Krater stürzt, was "We don't need them" allerdings wirklich nur um Haaresbreite zu verhindern weiß. Manche Tracks wirbeln gleich zu Beginn schon los. "If tomorrow starts without me" zitiert mit seinen aufgeregten Streichern Lou Reeds "Street hassle" und kontert die grauen Assoziationen seines Titels mit wolkenlösendem Folk-Rock. Noch glücklicher macht "Christinha", wenn es der auf der Platte nur selten vernommenen E-Gitarre ein paar Jangle-Schlingereien abringt, eine Refrain-Melodie zum Niederknien kalligrafiert und am Schluss sogar noch die ans Fenster klopfenden Bläser reinlässt. Ryder-Jones' einziges Verbrechen auf "Iechyd da": den großartigen Michael Head als Gast einzuladen, damit dieser in "…And the sea…" nicht mehr als kaum verständliche Zeilen aus "Ulysses" über ein zielloses Instrumental nuscheln darf.

Angesichts der dieses Interlude umrahmenden Großtaten lässt sich das aber schnell verzeihen. Das vorab ausgekoppelte "This can't go on" samplet Disco-Streicher, um sie in einen neuen sakralen Kontext zu setzen, und entwickelt dabei eine Wucht wie ein einstürzendes Kirchenschiff. Das ebenso famose "Nothing to be done" klingt ein wenig so, als würde sich Arab Straps Aidan Moffat durch einen verschollenen Nullerjahre-Hit von Arcade Fire schlängeln. Ryder-Jones mag es eigentlich nicht, wenn Leute nach der kathartischen Wirkung seiner Musik fragen, muss hier aber selbst zugeben, dass das Album genau eine solche bei ihm freigesetzt hat – und der Rezeptionsseite geht es kaum anders. Zu aufwühlend zum Gähnen, zu erhaben, um dazu mit lockerem Handgelenk die Biergläser klirren zu lassen: "Iechyd da" ist ein weiteres eigentümlich-faszinierendes Werk eines Künstlers, der den knorrigen Ast namens Folk nach seinen Vorstellungen verbiegt.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • This can't go on
  • Nothing to be done
  • Christinha

Tracklist

  1. I know that it's like this (Baby)
  2. A bad wind blows through my heart pt. 3
  3. If tomorrow starts without me
  4. We don't need them
  5. I hold something in my hand
  6. This can't go on
  7. ...And the sea...
  8. Nothing to be done
  9. It's today again
  10. Christinha
  11. How beautiful I am
  12. Thankfully for Anthony
  13. Nos da
Gesamtspielzeit: 48:48 min

Im Forum kommentieren

Arne L.

2024-04-04 16:05:22

Finde das Album auch gut und höre es gerne, obwohl ich nicht zu 100 % mit seiner Stimme warm werde. Manchmal hat die im hauchigen Unterton was, bei dem ich zwar nicht genau den Finger drauflegen kann, aber das mich von vollständiger Hingabe abhält.

Francois

2024-03-11 09:28:44

"This cant go on" hat richtig was von den früheren Arcade Fire

carpi

2024-03-09 18:19:23

Wieder gelungen und ziemlich opulent das Ganze, Kinderchöre, Glockenspiel, Streicher, Ryder-Jones flüstert wie eh mit seiner angenehmen Stimme, mit dem fetten Sound scheint er ja gerade ziemlich erfolgreich zu sein in GB und selbst rym vermeldet über 1000 Bewertungen. Für mich hätten es auch ein paar Kinderchöre weniger sein können, z.B. bei How beautiful I am, einem wunderschönen Song, bin aber erst beim dritten Durchgang und wie oben erwähnt, brauche ich stets eine Weile, um in seine Alben reinzukommen.

Pepe

2024-01-20 23:00:35

Schönes Album.
Kommt jemandem bei „Thankfully For Anthony“ auch das großartige „Holes“ von Mercury Rev in den Sinn?

Martinus

2024-01-17 19:22:32

Mir kommt auch auf angenehme Art immer wieder Typhoon in den Sinn.
Wächst und wächst, mal schauen wo das endet.

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