Zach Bryan - Zach Bryan
WarnerVÖ: 25.08.2023
Unsere rauchende Farm
Was war los im mal mehr, mal weniger guten alten Country im Jahr 2023? In den Billboard Hot 100, den offiziellen US-Single-Charts, gingen gleich vier Songs aus dem Genre auf die Spitzenposition. Und dabei handelte es sich nicht, wie in vergangenen Jahren, um Eigentlich-eh-Popstars wie Taylor Swift oder Genre-Crossovers wie Lil Nas Xs "Old town road", sondern um waschechte Countrysongs, von dort angesiedelten Interpreten. Morgan Wallen, dessen N-Wort-"Vorfall" vom Januar 2021 ihn offenbar nur noch größer gemacht hat, zeigte nicht nur, wie massentauglich Country auf der anderen Atlantikseite ist, sondern auch, dass man mit einer scheißlangweiligen Komposition wie "Last night" in der Jahresrechnung ganz oben stehen kann. Jene 16 Wochen auf Platz eins schafften die anderen Songs bei weitem nicht, aber selbst eine Woche war zu viel für Jason Aldeans Redneck-Republikaner-Statement "Try that in a small town". Oliver Anthonys "Rich men north of Richmond" schlug mit Schüssen gegen Sozialhilfe-Empfänger ins gleiche Kontor, obgleich sich der völlige Nobody mit dem Viral-Hit sofort von jeglichen politischen Lagern distanzierte.
Bleibt noch der Vierte im Bunde: Zach Bryan. Der den Polit-Zirkus aus seiner Musik lieber raushält. Dessen Profil mit jedem Album, jeder EP, jeder Single größer wurde. Dessen raue Produktionen dem Glanz verschiedener Nashville-Produktionen diametral entgegenstehen. Der schon 2022 mit "American heartbreak" und "Summertime blues" zeigte, wie viele tolle Songs er in kurzer Zeit schreiben kann. Und in 2023 mit seinem vierten, nun selbstbetitelten Album sein erstes Top-Doppel in Longplay- und Single-Charts erklimmen konnte – zusammen mit dem hier enthaltenen Kacey-Musgraves-Duett "I remember everything". Es ist zwar nicht der beste Song der Platte, zeigt aber, was Bryans Charme ausmacht: eine grundsätzliche Aura von Nostalgie, die auf harsche Realitäten und ungekünstelte Performance trifft. Siehe das grobkörnige Bild mit Fluppe auf dem Cover, gefühlt mit dem iPhone 3 geschossen, dazu mit WordArt straight from 1996 veredelt.
Selten driftet das in etwas flache Sentimentalität ab wie in "Hey driver" mit dem Duo The War And Treaty, in dem man sich nach Orten sehnt, "where the people still put sugar in their iced tea." (Wie eklig, sorry.) Meist trifft er aber den Nerv mit Songs, die zwischen Springsteen'schen Rocksongs wie dem drängelnden "Overtime" und – direkt im Anschluss – akustisch reduzierten Stücken wie "Summertime's close" wechseln. Das ist nichts Neues, "Zach Bryan" macht keine Schritte nach vorne, sondern konzentriert sich seinem Titel entsprechend auf das Wesentliche. Das darf auch schon mal ein "Smaller acts" sein, das offenbar mit Klampfe draußen an einem Lagerfeuer aufgenommen wurde und die Lead Vocals zeitweise an einen sehr lauten Frosch abgibt. Was sein Livealbum mit dem Titel "All my homies hate Ticketmaster" vermuten ließ, bestätigt sich: Bryan ist trotz des Erfolgs nicht von der Industrie vereinnahmt.
Da mag die Spielzeit wieder marktgerechter sein, die Namen auf der Gästeliste größer, aber Bryan bleibt sich treu und Features wie The Lumineers – trotz des durch "Hey ho" eigentlich nötigen Berufsverbots – immer nur songdienlich. "And everyone thinks they know me now / In these close-minded leave-me-towns / But I'm too young to even know myself", singt er im sehnsüchtig gefidelten "Ticking". Mehr denn je ist sein eigenes Leben Fokus der Texte und sein neu gefundener Ruhm oft Teil genau dessen. Wenn dabei aber Perlen wie das zweigeteilte "Jack's piano – Long Island" oder das darauffolgende "El Dorado", der wohl melodischste Hit, den die Platte gerade so preisgibt, herausspringen – wer will's verübeln? Höchstens möchte man anmahnen, dass er mal wieder einige der potentesten Songs auf einer EP verbuddelt hat: "Boys of faith" erschien nur vier Wochen später. Den großartig sphärischen Titeltrack mit Bon Iver oder das launige "Sarah's place" sollte man gehört haben. Aber der Mann macht ja eh so gut wie nix falsch. Jetzt ist er wenigstens kommerziell da, wo andere gar nicht erst hingehören.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Fear and Friday's (Poem)
- Overtime
- Jake's piano – Long Island
- El Dorado
- Tradesman
Tracklist
- Fear and Friday's (Poem)
- Overtime
- Summertime's close
- East side of sorrow
- Hey driver (feat. The War And Treaty)
- Fear and Friday's
- Ticking
- Holy roller (feat. Sierra Ferrell)
- Jake's piano – Long Island
- El Dorado
- I remember everything (feat. Kacey Musgraves)
- Tourniquet
- Spotless (feat. The Lumineers)
- Tradesman
- Smaller acts
- Oklahoma son
Im Forum kommentieren
joseon
2024-05-24 22:56:13
Gibt nach vergleichsweise langer Zeit endlich einen neuen Song, "Pink Skies". Album coming soon ließ er bei Instagram verlauten. :)
https://www.youtube.com/watch?v=fs49xFmmHCo
Euroboy
2024-01-29 19:57:22
Dieses „All my Homies hate Ticketmaster ( Live from Red Rocks)“ gibt es ja komplett als Livekonzert bei YouTube. Der Opener Country Roads singt nicht Zach Bryan sondern irgend ein anderer Dude. Schön auch wie es teilweise mitten in dem Open Air Konzert schneit.
berti
2024-01-12 10:52:18
Charterfolg hin oder her. Auch nach jahrzehntelangem Hören von Country abseits des Mainstreams ist Zach Bryan für mich ne Ausnahmeerscheinung. Hoffe der legt rechtzeitig ne kleine Pause ein bevor er anfängt beliebig zu werden. Haut ja alle Nase lang was raus
DerMeister
2024-01-12 06:17:28
Ja definitiv gut, auch wenn mir jetzt diesen ganzen Hype um seinen Charterfolg in den Rezis auf den Sack geht. Ich meine ja, ist schön für ihn, aber ich wüsste nicht warum dass jetzt meine Hörerlebnis beinflussen soll. Country abseits vom Mainstreams gibt es jedes Jahr, egal ob im Plattenladen oder auf Bandcamp. Die Musik ist was zählt.
Von der American Heartbreak review: "Country kann einfach so viel mehr sein"
Stimmt und wenn man nicht erst darauf wartet dass ein gutes Country Album in den modernen Charts auftaucht, sollte man das schon lange wissen. Ist schließlich ein mehrere Jahrzehnte altes Genre mit mehr als genug Sub Genres/Abwechslung.
berti
2024-01-11 22:02:06
Der Opener hat mich anfangs das Album tatsächlich direkt wieder aus machen lassen. Aber echt n Bombenalbum. Vinyl aktuell leider unbezahlbar:(
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