Klotzs - Sucht

Major / Broken Silence
VÖ: 17.11.2023

Kein Licht für niemand

Was manche Menschen wohl gegen Siegen haben? Knapp über 100.000 Einwohner, Sitz einer Universität, laut Satellitenstudie der Berliner Morgenpost die grünste Großstadt Deutschlands – dort wird es sich doch einigermaßen leben lassen, zumindest im "Woanders is auch scheiße"-Sinne? Klotzs vertreten in der sarkastisch benannten Single "Lokalpatriot" eine, sagen wir, differenziertere Meinung: "Die Häuser, die Straßen / So trist und verlassen / Passagen und Plätze / Nichts, was ich hier schätze / Die Menschen so bieder / Sie sind mir zuwider / Das alles lebt ganz tief in mir / Zähl mich dazu, ich bin von hier." Dennoch würden Ingo Frevel und Sascha Pech ihre Homebase vermutlich gegen nichts eintauschen. Hauptsache, sie können mit tief gestimmter Bariton-Gitarre und reduziertem Drum-Kit so rabiaten Dark-Punk spielen wie EA80 oder Duesenjaeger.

Einen ähnlich langen oder sogar weitaus längeren Atem als diese Genre-Urgesteine und Kollegen haben Klotzs auf ihrem vierten Longplayer auf jeden Fall. "Sucht" ist nämlich ein klassisches Doppelalbum: wahlweise zwei Vinylplatten oder CDs im kunstvollen Artwork, zu jedem Tonträger ein Booklet, kleine bedeutungstragende Elemente und Zitate auf dem Cover. Sieht nicht gerade nach Punk aus, auch weil sich "Sand" zu Beginn eine International-Music-artige Shoegaze-Figur zusammenruckelt. Danach jedoch ist erst mal Schluss mit gemütlich, in jeder nur erdenklichen Hinsicht. Schon "Tristesse" ist ein so wortreiches, beinahe plattwalzendes Stück Weltekel, das auch den Stuttgartern Fliehende Stürme gut zu Gesicht stünde und präzises Riffing vor gelegentliche Larmoyanz stellt. Ein imposanter Schweinsgalopp durchs Lichtlose – und Punkrock wie nur was.

Auch "Generalprobe, kleiner Saal" geht musikalisch zügig voran, windet sich inhaltlich hingegen qualvoll durch das Grau-Ungefähre eines Daseins, das sich wie in einem großen Bottich warmer Marmelade anfühlen muss: "Weil wir uns so gern selbst belügen / Klammern wir uns daran fest / Wir sind doch immer nur am Üben / Das hier ist noch nicht das Leben." Da kann man als "Lokalpatriot" auch mal ganz schön sauer werden und denkt beim flammenden Rocker "Kennzeichen D" nicht an D, D und R, sondern vielmehr an A, f und D. Klotzs enttarnen Dummheit und diagnostizieren gesellschaftlichen Verfall – und das ist weitaus mehr Punk als eine Albumverpackung. Zauberhaft, dass auch Platz für die vergleichsweise wohlige Slacker-Hymne "Tagträumer" bleibt. Sozialamt bezahlt doch, wie einst das charmante Plattenmeister-Label zu bedenken gab. Kann man so machen.

Denn schon bald übernehmen wieder Gestalten wie die "Helden der Bedeutungslosigkeit", die durch das "Museum der gestrandeten Ideen" stromern und sich in "Filibuster" mit jenen herumschlagen müssen, die alles in Grund und Boden reden. Und so gerät das entsprechend betitelte Stück schnell aus den noisigen Fugen, während "Nur zur Erinnerung" genauso lärmig mit erzkonservativen Betonköpfen Schiltten fährt und dem Gegenüber eine rabiate Warnung zubellt. Mehr Tricks hingegen versuchen "Geist" mit feiner Note von Bohren & Der Club Of Gore per reinwehender Trompete oder die Mundharmonika in "Erwachen" – willkommene Auflockerungen in einem dicken Ding fürs gute schlechte Gewissen. Wo waren die noch mal her? Ist auch nicht so wichtig . Schließlich hieß das 2017er-Album schon "Eine Stadt / Keine Stadt". Muss bei so viel Wucht einfach mal reichen.

(Thomas Pilgrim)