Odd Beholder - Feel better
Sinnbus / Rough TradeVÖ: 01.12.2023
Alles dazwischen
Die Schweiz gilt vielleicht nicht in allzu vielen Bereichen als besonders progressives Land. Was den Einwohner*innen der schweizerischen Eidgenossenschaft jedoch enorm wichtig ist: die Autonomie jeder einzelnen Person. Das ist unter anderem ein Grund dafür, dass die Alpenrepublik eines der liberalsten Länder im Zusammenhang mit assistierter Sterbehilfe geworden ist. Was hat das jetzt mit "Feel better", dem dritten Album von Daniela Weinmanns künstlerischem Alter Ego Odd Beholder, zu tun? Darauf verarbeitet die Musikerin den Tod ihres Großvaters, der hierfür das EXIT-Programm – das den Schweizern medizinisch geschulte Sterbebegleitung anbietet – zur Unterstützung in Anspruch genommen hat.
Was Weinmann dazu brachte, über familiäre Zusammenhänge zu reflektieren und gedanklich in ihre Vergangenheit zurückzureisen. Nach der modernen (Online-)Welt auf dem Debüt "All reality is virtual" und der nahenden Klimakatastrophe auf dem Nachfolger "Sunny bay" geht die Reise dieses Mal zurück in die Neunziger. Ein vertonter Episodenroman über das Erwachsenwerden in der Kleinstadt. Mit jugendlichen Schlägern, Ausgrenzung innerhalb und außerhalb der Familie, Adoleszenzdramen und allem, was dazugehört. Und im Hintergrund schwebt immer der Tod des Großvaters im Heute. Das muss ja ein äußerst schwerer Brocken von einer Platte sein, mag man da denken.
Doch die Ton-Text-Schere beherrschte Weinmann schon auf den beiden Vorgängern meisterlich, so auch hier. Wer die Inhalte ab und zu beiseitelässt – und der deutschsprachige Hörer kann das bekanntlich bei englischen Lyrics ganz gut –, der darf sich an leichtfüßig klingendem Elektropop erfreuen. Und warum auch nicht? Gleich beim coolen Sound von "Then you forgive me" denkt man an Yeah But No, was kein Wunder ist, hat doch deren eine Hälfte – Douglas Greed – hier mit Weinmann an den Produktionsreglern gesessen. Mit dem herrlich nostalgischen New Wave von "Rifle club" wird es gleich danach sogar noch besser, bevor das berührende "Woolen sweater" das herausragende Eröffnungstrio abschließt. Hier muss man dann doch einige Tränen herunterschlucken – oder fließen lassen. Der finale Tag wurde festgelegt, die Familie sitzt zusammen und wartet auf das Unvermeidliche. Traurig, aber voller Würde.
Durchpusten, ruhig mal vor die Tür gehen, beim nächsten Song verpasst man eh nicht viel. Doch das von zu vielen Stimmmodulationen anstrengend zerhackte "Patchwork girl" bleibt zum Glück der einzige Ausfall, mit dem zart dahinblubbernden "Insecurities" ist die Platte sofort wieder in die Spur. Bei "Dogs like me" funktionieren die Stimmeffekte viel besser, hier kommt Weinmanns Landsfrau Sophie Hunger in den Sinn, keine üble Referenz. Und mit "Just because I regret it" gibt es kurz vor dem akustischen Abschluss noch einen satt tanzbaren Hit dieses mutigen, zum Nachdenken anregenden, aber auch erfreulich zugänglichen Albums.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Then you forgive me
- Rifle club
- Woolen sweater
- Just because I regret it
Tracklist
- Then you forgive me
- Rifle club
- Woolen sweater
- Patchwork girl
- Insecurities
- Dirty secrets
- Dogs like me
- Just because I regret it
- A stupid walk
Im Forum kommentieren
myx
2023-12-11 19:01:11
Mal schauen, ob ich auch noch den richtigen Draht zum Album finde.
musie
2023-12-11 15:54:28
Gestern live gesehen zur Plattentaufe, das Album hat wirklich was. Auch von mir gibts eine 8/10. Das Album wird weit vorne bei meinen Lieblingsalben des Jahres landen.
jaylilovic
2023-12-10 14:04:50
Erster Gedanke: Hmm das ist langweilig, da spüre ich gar nix, das hab ich so in letzter Zeit zu oft gehört.
...und jetzt höre ich zum dritten mal hintereinander Rifle Club.
Schon irgendwie ganz zauberhaft, das bekommt nochmal eine dicke Chance.
Cayit
2023-12-10 11:47:57
Zum jahres ende so ein Album!!!
Höre Odd Beholder zum ersten mal und gefällt schon beim ersten durchgang.
Auf jeden fall hat es sich die ADW auszeichnung verdient!
musie
2023-12-09 23:18:31
gefällt mir sehr gut
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