Neil Young - Before and after

Reprise / Warner
VÖ: 08.12.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Neils Version

Einmal mehr spaziert Neil Young durch die Flure und Hallen seiner musikalischen Vergangenheit, nimmt Songs aus den Regalen – manche lange nicht mehr angefasst –, pustet den Staub von ihnen, fügt sie zu etwas Neuem zusammen. Die unglaubliche Fülle an Stoff, die sich hier mittlerweile angesammelt hat, harrt dennoch weiterer Ergänzung: Young brachte in den vergangenen Jahren Regalbrett um Regalbrett in Form neuer Studiowerke an, lud zum munteren Austausch zwischen lange erwarteten Archivplatten wie "Toast" und "Chrome dreams" und seinem aktuellen Material. In mancher Hinsicht kann "Before and after" nun als der Brückenschlag zwischen beiden Tätigkeiten gelten: Offiziell Youngs 45. Studioalbum, führt diese Kategorisierung ein wenig in die Irre. Zu finden sind darauf nämlich 13 eher unbekanntere Stücke aus seinem Œuvre, die sämtliche Schaffensphasen Youngs abdecken, allesamt in reduzierten Akustikversionen live eingespielt. Young gibt aber noch einen anderen Gedanken mit auf den Weg: "Before and after" könne auch als eine einzige, dekadenumspannende Suite oder Montage verstanden werden. Ihre Elemente gehen fließend ineinander über und stammen aus disparaten Kontexten, vier – "Homefires", "Burned", "On the way home", "Mr. Soul" – sogar noch aus Buffalo-Springfield-Zeiten, die jüngsten – das bislang unveröffentlichte "If you got love" sowie sein thematischer Widerpart "Don't forget love" – aus den vergangenen Monaten und Jahren. Das Erstaunliche: Gemeinsam erzeugen sie ein überaus kohärentes und häufig berührendes Set. Die Basis für die Auswahl liefern dabei Youngs Solo-Gigs aus diesem Jahr.

Die episch weiten Akkorde des siebenminütigen, aus der Totale blickenden "I'm the ocean" eröffnen "Before and after", im Original verdichteten Pearl Jam sie als Backing-Band zum Grunge-Gewitter. Der resümierende Blick der Lyrics darf nun aufscheinen und die Direktive vorgeben: "Voicemail numbers on an old computer screen / Rows of lovers parked forever in a dream." Jene Falltüren in die Vergangenheit offenbaren in der Folge drei Songs, die Young dereinst für Buffalo Springfield schrieb und die nun von einem transepochalen Strudel emporgespült werden. "Now I'm finding out that it's so confusin', no time left and I know I'm losin'", schrieb Young im Alter von 20 Jahren, als nun 78-Jähriger strotzen die Zeilen vor beklemmender Gravitas – es gibt selten einfache Lösungen in existenziellen Fragen. Mal wieder entpuppt er sich als bester Mundharmonika-Spieler diesseits von Bob Dylan, dann erklingt das wehmütige und doch dezente Urlaubsgefühle verbreitende Riff von "On the way home". Leises Gewisper, Rascheln und die Anmutung von Applaus im Hintergrund tragen ebenso zur Live-Atmosphäre bei wie die Patina auf Youngs Stimme und seinen freundlich knarzenden Instrumenten.

Durch das neue, Harmonium-geprägte "If you got love" verändert das Album sacht seinen thematischen und musikalischen Charakter, ist nun ätherisch instrumentiert, besänftigt zugleich den Schmerz alter Wunden. "A dream that can last", das in den Neunzigern noch die vom Verzerrer aufgerissenen Abgründe von "Sleeps with angels" kittete, wird zur hauchzarten Ballade aus Klavier und Harfe. Es folgen die ökologisch angelegten "When I hold you in my arms" – garniert mit der einzigen, beinahe getupften E-Gitarre des Albums – und "Mother Earth", das aus Harmonium und Mundharmonika ein überraschend droniges Fundament erzeugt. Erst mit "Comes a time" kehrt die Akustikgitarre kurzzeitig zurück, bevor "Don't forget love" vom 2021er-Release "Barn" mit ergreifender Schlichtheit schließt: "When the wind blows through the crime scene and the TV man starts talking fast, don't forget love."

Würde man in Youngs Korpus nach Verwandten von "Before and after" suchen, käme man bei allen frisch gesetzten Akzenten vermutlich auf zwei Antworten. Zum einen wäre da der ähnlich intime akustische One-Take von "Hitchhiker", zum anderen gar der Soundtrack zu "Dead man", an dessen einnehmende Atmosphäre "Before and after" stellenweise erinnert. In jedem Fall zieht Young aber auch diesmal die kreative Herausforderung der Verlockung vor, alte Errungenschaften bloß zu verwalten. "The cupboards are bare, but the streets are paved with gold", heißt es in "A dream that can last" – es gilt also, weiterzuziehen. Wie gerne kommen wir mit.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • I'm the ocean
  • A dream that can last
  • Don't forget love

Tracklist

  1. I'm the ocean
  2. Homefires
  3. Burned
  4. On the way home
  5. If you got love
  6. A dream that can last
  7. Birds
  8. My heart
  9. When I hold you in my arms
  10. Mother Earth
  11. Mr. Soul
  12. Comes a time
  13. Don't forget love
Gesamtspielzeit: 47:49 min

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Armin

2023-12-09 21:55:20- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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