King Gizzard & The Lizard Wizard - Live at Red Rocks '22
KGLWVÖ: 24.01.2023
Very much, thank you
Die Frage, ob man gerade die Geburt eines Klassikers erlebt, begleitet einen immer etwas unterschwellig durch die Jahre. Blickt man auf dieses oder jenes Album in ein paar Jahrzehnten und sagt, dass hier ein Stück Musikgeschichte vorliegt? Oder ist es am Ende ein vielleicht sehr tolles Werk, aber eben nur eines unter mehreren? Wenn der Staub sich gelegt hat, wird man sehen, ob "Live at Red Rocks '22" ein solcher Meilenstein sein wird. Aus nicht allzu langer zeitlicher Distanz hilft nur, prätentiöse Einleitungen daherzuschwafeln, um davon abzulenken, wie schlecht sich in Worten beschreiben lässt, was hier eigentlich abgeht. King Gizzard & The Lizard Wizard haben ein Livealbum gemacht, nicht ihr erstes, aber eines, das die Messlatte in die Stratosphäre schießt. Es beinhaltet drei komplette Konzerte aus dem Red Rocks Amphitheatre in Morrison, Colorado, die am 10. und 11. Oktober sowie am 2. November 2022 stattfanden – endlich, nach zweimaliger Verschiebung durch die Corona-Pandemie. Es dauert insgesamt achteinhalb Stunden. Es ist keine Minute zu lang.
Die sage und schreibe 86 Songs stammen von 18 der 21 Studioalben, die zum Zeitpunkt des ersten Konzerts veröffentlicht waren. (In der Zeitspanne zwischen den Konzerten hatten sie zwei weitere Alben herausgebracht. Hier ist die Liste von Leuten, die das überrascht: .) Ehrensache, dass sich kein Song doppelt, die Band ist quasi eine fleischgewordene Jukebox, was ihren eigenen Output anbelangt. Was auch dazu führt, dass sich immer wieder Spuren von Tracks innerhalb anderer Kompositionen finden. Innerhalb der wundervollen 18 Minuten "Her and I (Slow jam II)" weben King Gizzard & The Lizard Wizard beispielsweise Anspielungen auf "Magma", "Slow jam 1", "Cut throat boogie" und das damals noch gar nicht veröffentlichte "Flamethrower" mit ein. Das klingt vermutlich alles wahnsinnig kompliziert, als ob man diese unglaublich wendige Diskografie mit ihren Querverweisen und Spinnereien in- und auswendig kennen müsste, um an "Live at Red Rocks '22" überhaupt Spaß zu haben. Aber nein, muss man nicht! Es dürfte sogar trotz der irren Länge das ideale Einstiegsalbum sein.
Denn King Gizzard & The Lizard Wizard, das belegt dieses Dokument unbestreitbar, sind eine unfassbar gute Liveband. Die es versteht, wie sie ihre eigenen Songs auf der Bühne entwickeln und erweitern kann, ohne dabei in sinnloses Muckertum zu verfallen. Und vor allem: der man den Spaß, den sie am Spielen hat, in jeder Sekunde anhört. Die leben und lieben Musik. Das überträgt sich auch erfreulicherweise auf diese Livemitschnitte, die unter dem tieftrabenden Interpreten-Namen "Bootleg Gizzard" bei Streamingdiensten gelistet sind, obwohl sie besser klingen als so manche Livealben von viel stärker etablierten Acts. Und wenn nach gut einer Minute Ansagengeplänkel "Mars for the rich" vom Publikumsliebling "Infest the rats' nest" sein Killer-Riff loslässt, macht das schon gut Stimmung. Aber allerallerspätestens, wenn sich "Magenta mountain", im Original auf "Omnium gatherum", in seiner zweiten Hälfte in eine psychedelische Fantasie hineinsteigert, ist man völlig gefangen in dieser Welt.
Der Strom reißt nie ab. King Gizzard & The Lizard Wizard verstehen meisterhaft das Spiel mit Dynamik innerhalb der Songs, aber auch zwischen den Stücken und Suiten, die aufeinanderfolgen. "The river" ist knapp doppelt so lang und viermal so lustvoll wie noch auf "Quarters!", auf die Flöten in "Hot water" folgt wie aus einem Guss der Rap-Part von "The grim reaper" kurz vor Ende des ersten Konzerts. Joey Walker, seines Zeichens Auch-Gitarrist und Auch-Sänger, feiert am Tag des zweiten Konzerts seinen Geburtstag, was im ausgiebig eröffnenden "The dripping tap" mit mehreren Einwürfen gebührend zelebriert wird. "Boogieman Sam" dauert nun elfeinhalb statt viereinhalb Minuten und ist dank der multiplen Blues-Anspielungen viel spannender als auf "Fishing for fishies". Überhaupt: So viele Songs stecken ihre Originale locker in die Tasche. Vor allem einige Stücke von "Murder of the universe", bei denen Voract Leah Senior auch live als Erzählerin auftritt, haben auf "Live at Red Rocks '22" so viel mehr Punch. So launig wie von "The lord of lightning" wurde man beispielsweise schon lange nicht mehr aus der Kurve gehauen.
Es gibt Überraschungen wie diese und dann gibt es zudem noch Bestätigungen. "Crumbling castle", der meisterhafte Opener von "Polygondwanaland", ist auffe Bühne so geil wie auffe Platte. Und die quer über alle drei Konzerte verteilten Stücke von "Nonagon infinity" und "I'm in your mind fuzz" sind live einfach jedes Mal der komplette Abriss – selbst die ursprüngliche Verschnaufpause "Mr. Beat" eskaliert standesgemäß und schnappt sich zum Ausklang noch mal das früher gespielte "Iron lung" fürs Finale des zweiten Gigs. "Live at Red Rocks '22" kommt allerdings ohne Pausen aus, sowohl die Konzerte als auch deren jeweilige Hälften gehen nahtlos ineinander über. Das hat einen witzigen Effekt, dass es vor der ersten Pause "See you in fifteen minutes!" heißt und man anstatt des vom Band kommenden "The land before timeland" eine wildgewordene "Rattlesnake" um die Ohren gehauen bekommt. Wie oft an Stellen wie diesen eine freudige Welle Euphorie durch diese so fantastische Musik durch den Körper fegt, ist kaum zu beschreiben. Wenn "Float along – Fill your lungs" einen träumerischen Abschluss dieses Iron Mans hinlegt, hat die folgende Stille eine unwirkliche Qualität. Das muss man erst mal verdauen.
"Live at Red Rocks '22" erklärt quasi im Alleingang, warum die Band trotz unvorhersehbarer Stilwechsel und unfassbar hohen Outputs eine mittlerweile so große und eingeschworene Fangemeinde hat. Die Vielfalt, die das Sextett auf diesem Mammutwerk an den Tag legt, ist enorm. Und das bei konstant hoher Qualität und – viel wichtiger – hohem Spaßfaktor. Ihre Musik ist oft komplex, aber nie verkopft oder schwer zugänglich. Wer Interesse an Rockmusik hat, die ohne Scheuklappen durch die Musikwelt fegt, kommt an King Gizzard & The Lizard Wizard nicht vorbei. Und festnageln kann man die Australier noch nicht mal auf diesen einen Ziegelstein von Meisterwerk in Form von "Live at Red Rocks '22". Der müsste in seiner Gigantomie nicht nur einzigartig in diesem Œuvre sein, sondern eigentlich in die Geschichte eingehen – bei Rate Your Music ist es zum Zeitpunkt der Rezension als drittbestes Livealbum aller Zeiten (!) gevotet. Vor "The name of this band is Talking Heads", vor Neil Youngs "Live rust", vor Nirvanas "MTV unplugged in New York". Aber dann veröffentlichen die einfach einige Monate später noch "Live in Chicago '23" mit zwei kompletten Konzerten und fünfeinhalb Stunden Spielzeit von ebendort und ebendann, die nicht minder atemberaubend sind wie dieses Gig-Trio hier, und man weiß gar nicht mehr, wohin jetzt mit den Huldigungen. Those flaming fuckers!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Magenta mountain
- Magma
- Rattlesnake
- The lord of lightning
- Gaia
- Oddlife
- I'm in your mind fuzz
- Ambergris
- Mr. Beat
- Crumbling castle
- Head on / Pill
- Am I in heaven?
- Aber
- ist
- das
- nicht
- völlig
- egal?
Tracklist
- Mars for the rich
- Hell
- Magenta mountain
- Inner cell
- Loyalty
- Horology
- O.N.E.
- Nuclear fusion
- All is known
- Straws in the wind
- The garden goblin
- The river
- Magma
- Rattlesnake
- Automation
- Honey
- Sleepdrifter
- Ataraxia
- Evil death roll
- Ice V
- The reticent raconteur
- The lord of lightning
- The balrog
- Trapdoor
- Hot water
- The grim reaper
- Planet B
- The dripping tap
- Gaia
- Predator X
- Organ farmer
- Pleura
- Oddlife
- Doom city
- K.G.L.W.
- Boogieman Sam
- Sleepwalker
- Sea of trees
- The bitter boogie
- Perihelion
- I'm in your mind
- I'm not in your mind
- Cellophane
- I'm in your mind fuzz
- Tezeta
- A new world
- Altered beast I
- Alter me I
- Altered beast II
- Alter me II
- Altered beast III
- Ambergris
- Muddy water
- Iron lung
- Robot stop
- Gamma knife
- People-vultures
- Mr. Beat
- Digital black
- Han-Tyumi, the confused cyborg
- Soy protein munt machine
- Vomit coffin
- Murder of the universe
- Blame it on the weather
- Work this time
- Lava
- Cut throat boogie
- Wah wah
- Road train
- Sadie sorceress
- Self-immolate
- Her and I (Slow jam II)
- Hot wax
- Crumbling castle
- The fourth colour
- Head on / Pill
- Am I in heaven?
- Venusian 1
- Venusian 2
- Billabong valley
- Minimum brain size
- Static electricity
- Let me mend the past
- Alter me III
- Altered beast IV
- Float along – Fill your lungs
Im Forum kommentieren
fuzzmyass
2024-06-05 16:03:56
Ja, ich habe schon Red Rocks auf LP - ist zwar schweinegeil, aber noch so eine Box nimmt halt auch viel Platz weg und diese hier nehme ich jetzt lieber als CD... ist dann auch einfacher zu hören
Glufke
2024-06-05 15:54:07
Ich hab noch nicht rein gehört, aber man merkt schon, dass es ein Boot Leg ist. Sind halt einfach nur 6 CDs in Pappschubern, sonst nix. Das Design ist ok, wirkt aber schon ein bisschen wie ein "Fan-Produkt". LP ist sicher cooler! Aber halt auch schweineteuer...
fuzzmyass
2024-06-05 15:44:40
Oh nice, dann bestell ich die auch mal
Glufke
2024-06-05 14:58:07
Meine CD-Box von "Live in Chicago" ist heute nach unzähligen Verschiebungen endlich angekommen! Eigentlich war sie sogar nochmal auf Ende Juni verschoben worden...
fuzzmyass
2024-04-05 19:50:45
Ah damn.... aber dann etwas mehr zeit die Diskographie gut durchzusuchten bis zum Hamburg Gig
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