
Tina Turner - Queen of rock'n'roll
Parlophone / WarnerVÖ: 24.11.2023
Am Ende Königin
Als ich sieben Jahre alt war, bekam ich einen ausrangierten Plattenspieler ins Zimmer gestellt und dazu ein halbes Dutzend LPs. In dem Plattenstapel befand sich auch die Scheibe von Ike & Tina Turner mit dem Song "River deep, mountain high". Das Stück hat mich so sehr gefesselt, dass ich es fünf Mal auf der A-Seite einer 60-Minuten-Musikkassette aufgenommen habe, um es hintereinander abspielen zu können. Heute, über vier Jahrzehnte später, liebe ich den Song immer noch. Aber in erster Linie ist es Tina Turners Gesang, den ich liebe: Mit der Stimmgewalt einer Löwin vertont sie übersprudelnde Emotion, ungebändigt und zugleich verletzlich. Aber ihre Vocals allein haben Sie nicht zur "Queen of rock'n'roll" gemacht – hinzu kamen die Bühnenenergie eines Waldbrandes, das Glück, auf Schlüsselfiguren zu treffen, eine brutal geprüfte Leidensfähigkeit und zähe immerwährende Mühe.
Tina Turner, bürgerlich Anna Mae Bullock, wuchs ungeliebt auf und tröstete sich im Kirchenchor. Die Begegnung mit Ike Turner in St. Louis schleuderte sie in ein anderes Leben: Erst sang sie in dessen Band im Background, dann sprang sie 1960 als Frontsängerin ein – und glänzte. Ike Turner sah und hörte ihr Talent, bildete mit ihr ein Duo, heiratete sie, band sie an seine eigene Karriere. Gemeinsam schossen beide in den Starhimmel wie eine Silvesterrakete. Sie erduldete seine Alkohol- und Kokainexzessen, er verprügelte sie. Nach der rettenden Scheidung musste sie zum Geldverdienen putzen gehen, floppte zunächst mit ihrer eigenen Karriere, aber blieb hartnäckig dran. Sie schaffte im Alter von 44 Jahren mit der Single "What's love got to do with it" und dem Album "Private dancer" schließlich allein den Durchbruch, verkaufte die LP 20 Millionen Mal und stieg zur "Queen of rock'n'roll" auf.
Die gleichnamige Anthologie umfasst sämtliche 55 Singles, die jemals von ihr erschienen sind, was knapp vier Stunden Spielzeit ergibt. Die Compilation startet mit "Whole lotta love" aus dem Jahr 1975, endet mit der 2023er-Version von "Something beautiful remains" und erhellt sehr abwechslungsreich das musikalisches Fortkommen: von Rock, R&B und Soul über einen Ausflug zum Discosound zum hitparadentauglichen Pop. Was auf der Sammlung dennoch fehlt: Von dem Solo-Debüt-Longplayer "Tina turns the country on!" (1974) ist kein Lied enthalten, weil keine Auskopplung erfolgt ist. Ebenso hat die zusammen mit Ike Turner aufgenommene Musik keinen Eingang gefunden. Allerdings sind drei Stücke aus der gemeinsamen Zeit des Paares von der Künstlerin auf eigenen Singles neu eingespielt worden und daher auch auf der Zusammenstellung gelandet, nämlich "River deep, mountain high" (in Live-Form), "Nutbush city limits" als "The 90's version" sowie "Proud Mary". Sich an den Solo-Singles zu orientieren, ist ein passendes objektives Kriterium, um das Gesamtwerk der Künstlerin zusammenzufassen, ohne einzeln begründen zu müssen, warum der eine Song dabei oder der andere es nicht ist. Die 55 Tracks machen deutlich, dass wir einer Ausnahmekünstlerin zuhören, da sie mit ihrer Löwenstimme jedes Lied – egal, welches Genre – in gefälliger Weise wiedererkennbar macht: Immer weiß man, wer singt, auch ohne den Track zu kennen.
Die absoluten Highlights des Sammelalbums: Natürlich "River deep, mountain high" mit dem Refrain, der wie eine Sturmflut in das Gehör bricht. Dann "Nutbush city limits" – die Originalversion trieb mit einem für 1973 revolutionären funkigen Discosound (E-Gitarre, Drums, Keyboard, Blechbläser, Synthesizer) auch den letzten müden Hintern vom Stuhl, und die modernisierte Neunziger-Version hat ebenfalls diesen unwiderstehlichen Drive. Außerdem gehört "What's love got to do with it" zum Kreis der Favoriten, weil die Nummer einen perfekten Popsong abgibt und die Wende zum Besseren in Tina Turners Leben markiert. "Private dancer", der Song über gekaufte Zuwendung, steckt mit seiner Melancholie und dem verzweifelten Gesang den Finger in jedes Herz. Nicht zu vergessen: der Klassiker "I can't stand the rain". Es gelingt der Künstlerin, ihn zur vollen Blüte zu bringen – ihre Stimme schallt so intensiv und facettenreich, dass der hörenswerte elektronische Regentropfenbeat zum unwichtigen Beiwerk wird. So viele weitere großartige Lieder möchte man noch nennen. Diese fast vierstündige Kollektion ist eine Verbeugung vor der Grande Dame der modernen Unterhaltungsmusik.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Whole lotta love
- Let's stay together
- What's love got to do with it
- Private dancer
- I can't stand the rain
- River deep, mountain high (Live in Europe)
- The best (Edit)
- Nutbush city limits (The 90's version)
- Proud Mary
Tracklist
- Whole lotta love
- Acid queen
- Root, toot undisputable rock'n'roller
- Viva la money
- Sometimes when we touch
- Music keeps me dancin'
- Let's stay together
- Help
- What's love got to do with it
- Better be good to me
- Private dancer
- I can't stand the rain
- Show some respect
- We don't need another hero (Thunderdome)
- One of the living
- It's only love (with Bryan Adams)
- Typical male
- Two people
- What you get is what you see
- Girls
- Break every rule
- Paradise is here
- Afterglow
- Tearing us apart (with Eric Clapton)
- Addicted to love (Live in Europe)
- A change is gonna come (Live in Europe)
- Tonight (with David Bowie) (Live in Europe)
- River deep, mountain high (Live in Europe)
- The best (Edit)
- Steamy windows
- I don't wanna lose you
- Look me in the heart
- Foreign affair
- Be tender with me baby
- It takes two (with Rod Stewart)
- Nutbush city limits (The 90's version)
- Love thing
- Way of the world
- I want you near me
- I don't wanna fight
- Disco inferno
- Why must we wait until tonight?
- Proud Mary
- Goldeneye
- Whatever you want
- On silent wings
- Missing you
- In your wildest dreams (with Barry White)
- Cose della vita (with Eros Ramazzotti)
- When the heartache is over
- Whatever you need
- Open arms
- Teach me again (with Elisa)
- What's love got to do with it (Kygo remix)
- Something beautiful (2023 version)
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andygoestohollywood
2023-12-02 06:03:32
Die Rezi passt schon. Viele Radiohits halt, das tolle Foreign Attair geht mir immer ein bisschen unter. Wie bei Westernhagen gleich mal das komplette Schaffen bei heutigen Compilations, aber da ja immer weniger Scheibchen gekauft werden verständlich..
Armin
2023-11-30 22:39:17- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Im Rahmen von "Weihnachtsspecial, Teil 1: Best Ofs und Weihnachtsalben".
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