
Harp - Albion
Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 01.12.2023
Goldene Zeiten
Es ist eine Geschichte, wie nur das Leben sie schreiben kann: In den 2000er-Jahren war die Folkband Midlake prägend in ihrem Genre, sogar im Begriff, ähnlich populär und relevant zu werden, wie noch immer Fleet Foxes oder Bon Iver es sind. Doch 2012 erfolgte der Bruch mit Frontmann und Songwriter Tim Smith – seines Zeichens nie wirklich zufrieden mit der Soundwelt von Midlake. Die Band fand zwar einen neuen Sänger, dennoch ist das Interesse an Smith und seinem neuen Musikprojekt Harp gefühlt größer als das an Midlake.
Das Projekt und dessen Name wurden schon kurz nach Smiths Ausstieg aus der Band öffentlich angepriesen. Umso erstaunlicher, dass mit "Albion" erst 2023 ein Debütalbum erscheint. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Offenbar einfach das Leben. Tim habe sich nach eigenen Angaben scheiden lassen, eine Zeit lang wieder bei seinen Eltern gelebt und "einfach gearbeitet". Damit ist er der beste Beweis für Künstler, die nicht für immer von ein paar erfolgreichen Phasen leben können. Privat scheint es bei Smith mittlerweile wieder besser zu laufen. Zumindest ist seine jetzige Ehefrau Kathi Zung neben ihm an dem Musikprojekt Harp beteiligt.
Weniger erstaunlich dürfte allerdings sein, dass Harps Sound nur bedingt an die Ideen von Midlake anknüpft. Und doch klingt vieles vertraut, was auch an dem Gastauftritt des ehemaligen Midlake-Bassisten Paul Alexander in "Silver wings" liegen könnte. Im Kern erschaffen Smith und Zung immer noch atmosphärischen Folk. Allein sein Gesang lässt Erinnerungen an die goldenen Zeiten von Midlake aufleben. Smith klingt, wie Chris Martin sich im legendären Musikvideo zu Coldplays "Yellow" bewegt: in nicht enden wollender Zeitlupe. Die Töne werden von ihm noch immer in die Länge gezogen und Lyrics beinahe sakral heraufbeschworen. Vor allem "Shining spires", das eigentlich nur knapp vier Minuten dauert, fühlt sich dadurch an wie ein anderthalbstündiger Gottesdienst in der Provinz. Wesentlich länger sind auch die anderen elf Stücke des Albums nicht. "Albion" benötigt trotzdem ein gewisses Maß an Grundstimmung und Zeitmanagement, um es vollends zu genießen.
Neu ist vor allem der Einfluss der 80er-Jahre in Smiths Musik. Er hat in den vergangen zehn Jahren Drumcomputer für sich entdeckt, nennt selbst The Cure, aber auch Depeche Mode und Tears For Fears als Inspiration. Harp schaffen es aber kaum über die atmosphärische Verträumtheit von den Cocteau Twins hinaus. Im Grunde lässt "Albion" sich aber überhaupt nur schwer vergleichen. Harp erzeugen insgesamt filmische Stimmung und siedeln irgendwo zwischen Limahls "Never ending story" oder Mark Knopflers beinahe epochalem Soundtrack für "Die Braut des Prinzen" an, brechen beide Ansätze aber nochmal wesentlich minimalistischer herunter. "I am the seed" und "Daughters of Albion" wären beispielsweise ein hervorragender Soundtrack, wäre etwa "Der Herr der Ringe" bereits in den 80er-Jahren verfilmt worden.
In der zweiten Hälfte des Albums kehren mehr Tempo und Eingängigkeit ein. "Throne of Amber" hat im Gegensatz zu anderen Songs auf "Albion" sogar einen deutlich erkennbaren Rhythmus. Das Schlusslicht "Herstmonceux", übrigens ein Dorf in East Sussex, England, lässt die Drumcomputer nochmal richtig aufbrummen. Der Sound von Midlake ist hier langsam aber sicher ganz verschwunden. Harp erinnern zwar stellenweise an die Folkband, finden aber mühelos ihre eigene Nische.
Highlights & Tracklist
Highlights
- I am the seed
- Silver wings
- Herstmonceux
Tracklist
- The pleasant grey
- I am the seed
- A fountain
- Daughters of Albion
- Chrystals
- Country cathedral drive
- Shining spires
- Silver wings
- Seven long suns
- Moon
- Throne of Amber
- Herstmonceux
Im Forum kommentieren
TOOL99
2023-12-04 19:17:37
Wahrlich ein Kleinod. Erinnert mich von der Stimmung her sehr an "Ghosts Of The Great Highway".
Armin
2023-12-02 13:03:49
Schließe mich den gesammelten Reaktionen hier an: Superschön, die Stimme mal wieder zu hören. Die ganz große Begeisterung hat sich leider noch nicht eingestellt.
cargo
2023-12-02 11:11:33
Finde das Songwriting leider ziemlich einfallslos, erst recht im Vergleich zu den Midlake Großtaten. Ist sicherlich nicht schlecht geworden, habe mir da aber wesentlich mehr versprochen.
Gordon Fraser
2023-12-02 10:28:44
Großartig. Und ja, die Stimme! Tut gut, Tim Smith wieder zu hören.
Obrac
2023-12-01 08:25:59
Klingt vielversprechend. Schön, die Stimme nach Ewigkeiten mal wieder zu hören. Da kommen direkt alte Van-Occupanther-Vibes hoch.
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