André 3000 - New blue sun

Epic / Sony
VÖ: 17.11.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Der Flötentrumpf

Ob er nicht etwas verrückt geworden sei, spekulierte ein Plattentests.de-User angesichts des Covers und der Tracklist von André 3000s "New blue sun". Dabei ist das Solo-Debüt des legendären Rappers gar nicht so überraschend, wie es auf den ersten Blick anmutet. Bereits seine Hälfte des Outkast-Doppelwerks "Speakerboxxx / The love below" dokumentierte in ihrem exzessivem Genre-Hopping, dass André Benjamin die Sache mit der Bodenhaftung am liebsten gleich abschaffen würde. In den Jahren nach dem OutKast-Split steuerte der Mann aus Atlanta zwar den einen oder anderen Gast-Rap für Frank Ocean oder Anderson Paak bei, machte aber auch auf sich aufmerksam, indem er auf öffentlichen Plätzen in Los Angeles Wartezeiten mit seiner Flöte überbrückte. Andrés neue musikalische Leidenschaft sowie sein Verkehren in Esoterik-Wellness-Kreisen machten ihn zum Meme – doch freilich meint er alles todernst. Er wurde Teil einer experimentellen Musikszene zwischen Spiritual- und Free-Jazz, Ambient und New Age, lose zusammengehalten vom Percussionisten Carlos Niño, der auch "New blue sun" produziert hat. Die "No bars"-Warnung der Platte ließe sich auch um "No beats" und generell "No voice" erweitern, schließlich handelt es sich um ein freiförmiges, 87-minütiges Instrumentalalbum, auf dem Andrè und seine diversen Flöten im Strom der Mit-Musiker*innen schwimmen. Das wirklich Erstaunliche daran: Es ist unironisch wunderwunderschön geworden.

Zu Beginn des Openers döst André noch im Gras und betrachtet einen Himmel aus Synth-Wolken und perkussiven Brisen, die der Rest der Band für ihn zaubert. Dann richtet er sich auf und bläst eine reduzierte, nackte und doch ungemein ausdrucksstarke Melodie, die trotz nur geringer Variation über die volle Laufzeit ihren Griff nicht lockert. "I swear, I really wanted to make a 'rap' album but this is literally the way the wind blew me this time", beschwichtigt der Songtitel, doch für diese so seltsam faszinierende Atmosphäre muss sich niemand entschuldigen. Die Songtitel sind ohnehin ein Thema für sich. "The slang word p(*)ssy rolls off the tongue with far better ease than the proper word vagina. Do you agree?" Worüber man eben so nachdenkt, wenn man eine Viertelstunde lang strukturlos im Ozean treibt. Fast wirken die Titel wie ein Schutzschild, als würde André dem inneren Kompass nicht ganz trauen und wolle er doch suggerieren, dass alles nur ein großer Scherz ist.

Er kann allerdings niemanden täuschen, dafür stecken bei allem Minimalismus zu viel Virtuosität und Hingabe hinter dieser Musik. "That night in Hawaii when I turned into a panther and started making these low register purring tones that I couldn't control … sh¥t was wild" dunkelt per gedämpftem Drum-Puls die Szenerie ab, während Andrés tiefer gestimmtes Instrument mit den Ahnen kommuniziert und am Ende einen Afrobeat-angelehnten Groove findet. "BuyPoloDisorder's daughter wears a 3000® shirt embroidered" zeigt Niños beste Produktionsleistung, indem es seine scheinbar nebeneinanderlaufenden Klänge zu einer wunderbar räumlichen Einheit samt Fake-Fanfaren formt. In "Ghandi, Dalai Lama, your Lord and saviour J.C. / Bundy, Jeffrey Dahmer, and John Wayne Gacy" – ja, Gandhi ist falsch geschrieben – prägen wortlose Frauenstimmen und teils Gospel-nahe Piano-Anschläge den kosmischen Strudel – ein weiteres Zeugnis davon, dass jeder Track eine distinktive Textur aufweist.

In der zweiten Hälfte bleibt die Platte sogar zweimal unter der Zehn-Minuten-Marke. Trägt "Ninety three 'til infinity and Beyoncé" ohne besondere Vorkommnisse die Stimmung weiter, erreicht "Ants to you, gods to who?" neue psychedelische Höhen. Zumindest bis der abschließende 17-Minüter "Dreams once buried beneath the dungeon floor slowly sprout into undying gardens" in Sachen atemberaubender abstrakter Schönheit nochmal einen draufsetzt. "New blue sun" bleibt trotz aller Klasse ein Kuriosum: ein radikaler Nischenausflug eines auch im Mainstream erfolgreichen HipHop-Stars, der sich dabei nie wie ein gelangweilter Multimillionär anhört, sondern so viel Herzblut demonstriert, als wäre der vorhergegangene Rest seiner Karriere in Wahrheit nur Beiwerk gewesen. Der Wind hat André 3000 dorthin getragen, wo er sowieso schon immer hingehört hat.

(Marvin Tyczkowski)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • I swear, I really wanted to make a "rap" album but this is literally the way the wind blew me this time
  • Dreams once buried beneath the dungeon floor slowly sprout into undying gardens

Tracklist

  1. I swear, I really wanted to make a "rap" album but this is literally the way the wind blew me this time
  2. The slang word p(*)ssy rolls off the tongue with far better ease than the proper word vagina. Do you agree?
  3. That night in Hawaii when I turned into a panther and started making these low register purring tones that I couldn't control ... sh¥t was wild
  4. BuyPoloDisorder's daughter wears a 3000® shirt embroidered
  5. Ninety three 'til infinity and Beyoncé
  6. Ghandi, Dalai Lama, your Lord and saviour J.C. / Bundy, Jeffrey Dahmer, and John Wayne Gacy
  7. Ants to you, gods to who?
  8. Dreams once buried beneath the dungeon floor slowly sprout into undying gardens
Gesamtspielzeit: 87:42 min

Im Forum kommentieren

DerPostmann

2023-12-01 09:17:49

Ich muss die ganze Zeit an Being John Malkovich denken. Ok, welcher verdammte Flötist hat den Tunnel zu André´s Bewusstsein gefunden!? :-D

Armin

2023-11-30 22:41:56- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Mr Oh so

2023-11-14 19:15:21

Hab ich jetzt erstmal für einen arg verfrühten Aprilscherz gehalten, scheint aber wahr zu sein. Also, ich find die Songtitel klasse. Und ja, I agree.

The Libertine

2023-11-14 16:14:38

Album kommt diese Woche. Ist ein von Flöten getriebenes Instrumentalwerk. Cover und Tracklist deuten darauf hin, dass der Herr möglicherweise etwas verrückt geworden ist. Aber irgendwie auch ein lustiger Move, die Tracks einen Instrumentalalbums derart ausufernd zu betiteln.

Aber lest selbst:

01 I Swear, I Really Wanted to Make a “Rap” Album but This Is Literally the Way the Wind Blew Me This Time
02 The Slang Word P(*)ssy Rolls Off the Tongue With Far Better Ease Than the Proper Word Vagina . Do You Agree?
03 That Night in Hawaii When I Turned Into a Panther and Started Making These Low Register Purring Tones That I Couldn’t Control ... Sh¥t Was Wild
04 BuyPoloDisorder’s Daughter Wears a 3000® Button Down Embroidered
05 Ninety Three ’Til Infinity And Beyoncé
06 Ghandi, Dalai Lama, Your Lord & Savior J.C. / Bundy, Jeffrey Dahmer, and John Wayne Gacy
07 Ants to You, Gods to Who ?
08 Dreams Once Buried Beneath the Dungeon Floor Slowly Sprout Into Undying Gardens

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum