
Empty Country - Empty Country II
Tough Love / CargoVÖ: 03.11.2023
Im Nebel
Außenseiter ohne Applaus: Den US-Amerikaner Joseph D'Agostino sieht man nicht als Stern am Indie-Himmel leuchten. Seine Ex-Formation, Cymbals Eat Guitars, bewertete eine Pitchfork-Review zwar als "great band", der Rezensent schrieb jedoch auch, dass sich deren Lieder zu sauer und ängstlich und wie Panikattacken anhören würden. Jedenfalls fand sie keinen Anklang mehr, und die Besucherzahlen auf den Livekonzerten gingen wohl stetig zurück. 2017 löste die Gruppe sich auf. Empty Country ist das neue Vorhaben von Joseph D'Agostino zusammen mit weiteren Musikern; doch ein Klick auf Spotify eröffnet, dass der Erfolg (wieder) ausbleibt – im November 2023 mickrige 4.920 monatliche Hörer. Warum geht auch das nächste Projekt des Künstlers im Nebel der Nichtbeachtung verloren? Die Antwort: Trotz ihrer Qualität befriedigt die Musik von Empty Country nicht die Hörgewohnheiten der Mehrheit, der Songaufbau ist eigenwillig und komplex, die Instrumentierung ebenso, der Zugang zu den Lyrics eine Mühsal. Dass das Schaffen des Künstlers inzwischen nicht mehr nach Angst und Katastrophe klingt, reicht allein nicht aus, um einen Output zu produzieren, der auf Gegenliebe stößt.
Mit ihrem Zweitwerk haben Empty Country ein Konzeptalbum über die desolaten Zustände in Amerika in Form von vertonten Kurzgeschichten herausgebracht. In den Stücken kommen illustre Charaktere zu Wort, unter anderem Goethes Erlkönig. Was die Skurrilität noch erhöht: Neben den klassischen Instrumenten einer Rockband setzen Empty Country unerwartete Gerätschaften wie buddhistische Tempelglocken, Kuhglocken, Spielzeugklavier und Ähnliches ein. Die Produktion unterhält durch Heterogenität, weil jeder Song sich von den vorherigen unterscheidet und sich einem anderen Genre zuordnen lässt. Verallgemeinernd würde man die Platte in der Flip-Through-Box unter Alternative-Rock einsortiert finden. Wer sich auf sie einlässt, wird etliche akustische Schätze heraushören.
Nach einem Geisterbahn-Intro entwickelt sich der Opener "Pearl" zu einer Rocknummer im Mercury Rev-Stil, bei der D'Agostinos Gesang zwischen hoher und tiefer Tonlage schwingt, die Mundharmonika dazwischen dudelt und die Fuzzgitarre das Stück beendet. Mit dem zweiten Track "Erlking" tritt das Album das Gaspedal durch, das Schlagzeug hämmert, die verzerrten Gitarrenriffs verdunkeln die Stimmung, und ab und an kreischt D'Agostino hell auf wie bei einem Tritt in eine Glasscherbe. Im Titel "Dustine" wird eine Kollektion von Sounds verwurstet: Country zum Start, später Klavier und Neunziger-Noise-Gitarre – D'Agostinos kreativer eklektizistischer Spieltrieb kombiniert hemmungslos. Der Longplayer "Empty country II" bietet auch noch eine schnelle Punk-Brüllnummer nach Idles-Art ("Syd") und melodische Americana-Vibes ("Bootsie"). Das Klavierstück "Fla", in der D'Agostinos Zerbrechlichkeit in seiner Stimme wundervoll zur Geltung kommt, entstand, als der Künstler – in der Covid-Pandemie schwer depressiv – Bruce Springsteens "Thunder road" auf dem Klavier lernen wollte. Den Abschluss bildet der 12:48-Minuten-Glamrock-Gitarren-Epos "Cool S".
Empty Countrys Musik wird durch die fehlende öffentliche Aufmerksamkeit nicht entwertet. Der große Violinist Joshua Bell hat 2007 in einer New Yorker Subway-Station demonstriert, wie achtlos die Masse musikalische Qualität ignoriert. Er spielte dort mit aufgeklapptem Bettel-Geigenkoffer. Die Mehrheit der Pendler hastete an ihm vorbei, nur einer erkannte ihn, Tageseinnahmen: 51 $. Mitunter bleibt Kunst schwer sichtbar im Nebel verborgen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Bootsie
- Fla
Tracklist
- Pearl
- Erlking
- David
- Dustine
- Syd
- Bootsie
- Fla
- Lamb
- Cool S
Im Forum kommentieren
saihttam
2024-01-05 18:03:47
Oha, echt? Ich finds eigentlich größtenteils wieder recht gelungen, auch wenn ich den Vorgänger als Empty Country noch mehr mochte und es sicher nicht ganz an die CEG-Sachen rankommt.
NeoMath
2024-01-05 16:18:23
Ende '23 entdeckt. Mir war nicht bewusst, dass D'Agostino gleich nach Cymbals Eat Guitars weiter gemacht hat.
Allerdings ist diese Entdeckung sehr sehr ernüchternd.
Der Opener ist schwach, das zweite Stück regelrecht grauenhaft und auch die folgenden werden nicht besser.
Keine Spur von Energie der Vorgänger-Band. Das Songwriting ist harmlos und stellenweise fast schon langweilig. Und was ich mit am schlimsten finde ist, dass seine Stimme über weite Strecken extrem quietschig, nervig und schief klingt.
Sorry, aber das hier ist ein Griff ins Klo.
Enntäuschendste Entdeckung des Jahres!
manfredson
2023-11-24 11:55:01
Wunderbares Album! Mit Cymbals Eat Guitars habe ich mich nie beschäftigt, aber das hier klingt fantastisch. Wehmütig, atmosphärisch, abwechslungsreich. Wird hier noch oft laufen.
Armin
2023-11-22 21:59:27- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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