Hotel Rimini - Allein unter Möbeln
Hotel Rimini / Listen CollectiveVÖ: 27.10.2023
All inclusive
Hier ein bisschen Staub wischen, dort neue Betten beziehen, am Empfang die Gäste begrüßen und in der Küche die Speisen für die Urlaubenden zubereiten: Die Anzahl der Tätigkeiten, die weit über diese spontan assoziierten Beispiele im täglichen Hotelbetrieb hinausgeht, ist so vielfältig wie die Menschen darin. Dem Gründungsmythos der Band Hotel Rimini zufolge haben sich die sechs Mitglieder kennengelernt, als sie alle gleichzeitig in einer heruntergekommenen touristischen Unterkunft angestellt waren. Formulieren wir es mal mit Vorsicht: Klingt tatsächlich nach einer spannenden Geschichte, lässt einen aber gleichzeitig doch arg an der faktischen Überprüfbarkeit zweifeln. Nur: Das macht ja im Grunde gar keinen Unterschied, wenn man das genauer in Augenschein nimmt, was die Formation auf ihrem Debütalbum "Allein unter Möbeln" eingespielt hat. Denn diese gute Dreiviertelstunde hat es musikalisch, textlich und stilistisch in sich – all inclusive, um im Hoteljargon zu denken.
Zunächst einmal richtet das Sextett eine herzliche Einladung an das Auditorium. In "Prolog (Fernverkehr)" dimmen Hotel Rimini das Licht herunter, lassen alle in Ruhe Platz nehmen und erst einmal warm werden mit dem, was nun bevorsteht. Ein reines Instrumentalstück, ganz und gar reduziert, erdet die Anwesenden und sorgt für das, was diese Musik verdient hat: Konzentration. Und dann geht sie los, die spannende Reise in eine Art buntes Abenteuerland, in das uns Sänger und Schauspieler Julius Forster, Trümmer-Musiker Paul Pötsch, Annegret Enderle, Jakob Dinkelacker, Valentin Link und Paula Schieferecke mitnehmen. Auf diesem Trip verlieren wir nicht den Verstand, sondern dürfen diesen durchaus ein wenig anstrengen, um all das aufzusaugen, was uns hier entgegenkommt. Lakonisch nimmt Forster nach dem Prolog den ersten richtigen Song in Angriff, und früh wird klar, wohin die Reise geht. "Er wollte immer allen gefallen / Und fiel nicht auf dabei", heißt es über den Protagonisten. "Sein Name fiel nur selten / Und den Wenigsten ein." Die schlicht schönen Textkreationen wirken clever erdacht, niemals erzwungen und stets erfrischend.
Der besondere Klang von Hotel Rimini, der durchaus an Element Of Crime denken lässt, das Chansonhafte einschließt und auch mal den Walzer wie im tollen "Schwedische Gardinen" mühelos anschlägt, gründet auf der exquisiten Instrumentierung. Kontrabass, Cello und Violine kommen ebenso zum Einsatz wie Effektgeräte. Das alles vermengt sich exzellent, ohne jemals der Beliebigkeit zu verfallen. Nebenher wird gerne und gelungen zitiert. "Arbeit und Struktur" beispielsweise heißt ein toller Song im ersten Albumdrittel. Genau so lautete auch der Titel der letzten Veröffentlichung des viel zu früh verstorbenen Schriftstellers Wolfgang Herrndorf; passenderweise liegt der Band im Video zu "Granola", in dem überdeutlich wird, dass die Schauspielerei ein Wesensbestandteil bei diesem Projekt ist, im Hintergrund im Bücherregal. Es ist übrigens zwar der Erstling der Band mit Blick auf die Langspielkategorie, schon zuvor allerdings hatten Hotel Rimini auf sich aufmerksam gemacht. Die EP "Die Zeit schlägt mich tot, aber ich schlag zurück" erschien 2022, blieb allerdings trotz einiger positiver Stimmen noch eher unbeachtet. Zu Unrecht, das sei angemerkt, denn schon da schimmerte die große Kunst durch.
Hotel Rimini punkten in mindestens zwei Kategorien, die einem spätestens am Ende des Musikjahres durch den Kopf geistern: Sie legen nicht nur eines der aufregendsten Debüts des Jahrgangs 2023 vor, sondern auch eines der besten deutschsprachigen Alben dieses Zeitraums. Und was ganz nebenbei auch für die Formation spricht, ist der erfreuliche Umstand, dass der Genuss der Songs keinesfalls abebbt, sondern ganz im Gegenteil mit fortlaufender Hörzeit eher noch Stück für Stück vortrefflicher wird. Das gilt nicht nur für die Umsetzung ihrer Klangkunst, die neben vielen stillen Momenten auch entschlossene Temponummern wie "Jubel Trubel Eitelkeit" zutage fördert, sondern eben ausdrücklich auch für die fein ersonnenen Texte, die sich mit Freude von Plattitüden fernhalten. Auch Wortkünstler Wolfgang Herrndorf hätte gewiss seine Freude daran. Die Rückkehr ins Hotel dürfen sich die Musiker*innen derweil gerne fortan sparen, denn an den Instrumenten und am Mikrofon haben sie den richtigen Ort gefunden. Außerdem achtet auf den Konzertbühnen auch keiner so penibel auf ein bisschen Schmutz. Der Liftboy im Musikgeschäft kennt bei dieser Band nur eine Richtung: ab nach oben!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Gefallen
- Arbeit und Struktur
- Jubel Trubel Eitelkeit
Tracklist
- Prolog (Fernverkehr)
- Gefallen
- Schwedische Gardinen
- Arbeit und Struktur
- Allein unter Möbeln
- Jubel Trubel Eitelkeit
- Interlude I (Trabant)
- Novemberflucht
- Granola
- Gespenster
- Interlude II (Nachtbus)
- Kalter Kaffee
- Hilde
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saihttam
2024-04-08 23:22:45
Also mich hat das Album mit der Zeit immer mehr mitgerissen, viel mehr als ich ursprüglich dachte. Die Arrangements sind einfach richtig schön. Die Texte gefallen mir mittlerweile auch größtenteils ziemlich gut, auch wenn ich durchaus gerne auf ein paar angestrengte Reime verzichtet hätte. Verstehe generell nicht, warum sich in deutschen Texten so oft immer so verbissen jeder Vers aufeinander reimen muss. Aber die Qualität der Songs und die Instrumentierung rettet es hier für mich.
Das Konzert letzte Woche in Heidelberg war sogar richtig toll. Die Band super sympathisch und die Stimmung im Publikum fast schon euphorisch. Musikalisch war es dann auch noch astrein und rundum gelungen. Einige Songs wurden auch live noch etwas anders interpretiert und ausgeschmückt. Dazu gabs zum Einstieg ein paar Trümmer-Songs von Paul Pötsch solo. Wusste vorher gar nicht, dass er bei Hotel Rimini mitspielt. Daher war das eine ziemlich freudige Überraschung. Im Herbst gerne wieder.
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2023-11-20 09:25:01
Ok, ich gebe zu, dass ich bei AMK auch nicht auf dem Laufenden bin und nur das erste und ein Livealbum kenne. Und daran erinnert mich das schon oft. Aber ja, Element of Crime und eben besagte Garish höre ich auch.
Ich find es auch nicht schlecht, stellenweise richtig gut, aber an einigen Stellen sind die Texte halt schon belanglos. Ich kann darüber oft hinwegsehen, aber für mich taugt das nicht als Qualitätsmerkmal gegenüber AMK. Beispiel Granola: Text ist (absichtlich) banal, den Gesang und die find aber tatsächlich nicht schlecht.
Mit Klavier statt Trompete passt das aber wiederum zu AMK ;)
Wwwam
2023-11-19 15:52:35
Oben soll nicht natürlich noch heißen. Schade dass es hier keine Editierfunktion gibt.
Wwwam
2023-11-19 15:51:12
Und Arbeit und Struktur. Dieser Bass. Ich liebe es.
Dabei ist deutschsprachige Musik gar nicht so sehr mein Ding.
Wwwam
2023-11-19 15:42:51
@Hier stand Ihre Werbung:
Ich finde dass vor allem die wunderbare Instrumentierung einen großen großen Unterschied zu AMK ausmacht. Und neben der von dir zitierten Textzeile gibt es ja doch auch nicht sehr viele textlich anspruchsvollere Passagen, während AMK nur noch so krass schlechte Texte haben (am schlimmsten finde ich: Ich halt dich nicht fest und lass dich nicht los, du gibst mir den Rest, die Tasche ist groß). Zudem fand ich auch AMKs allererstes Album ziemlich gut, erst danach ging es abwärts.
So oder so finde ich aber dass Hotel Rimini wie gesagt ganz anders klingen. Für mich eine Mischung aus Element of crime, höchster Eisenbahn und Tocotronic. Teilweise auch Gisbert.
Ich finde das Album weiterhin eine ganz besonders wunderbare und überraschende Neuentdeckung und freue mich sehr aufs Konzert. Allein der zweite Teil von Schwedische Gardinen - damit hatten sie mich sofort.
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