Vince Clarke - Songs of silence

Mute / PIAS / Rough Trade
VÖ: 17.11.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

More than a little respect

Ein monochromes Bild des Künstlers auf dem Cover. Ohne große Bearbeitung. Einfach ein nachdenklicher, in sich gekehrter Mann, der nun schon über 63 Jahre auf diesem Planeten weilt – und in mehr als zwei Dritteln dieser Zeitspanne viele Menschen mit seiner Musik glücklich gemacht hat. Aber so ein schlichtes Foto vorne drauf, das hätte man bei Vince Clarke, der sich sonst eher gern im Hintergrund hält, kaum erwartet. Und dann sieht man im Video zur Single "The lamentations of Jeremiah" auch nur: ihn. Auf einem Stuhl in einem kargen Zimmer. Das sind zwei von einigen Überraschungen, die "Songs of silence" bereithält. Dabei ist das Genre Ambient nicht unbedingt für Überraschungen bekannt. Manch einer wird sogar – ganz im Sinne Brian Enos – behaupten, der Kern dieser Art Musik sei gerade die möglichst spannungsarme Hintergrundberieselung. Für Flughäfen und Kunstinstallationen vielleicht. Doch hört man die vorliegende Platte intensiver, kann man das so nicht wirklich bestätigen.

Ein Solo-Debüt nach so einer Karriere – Depeche Mode, Yazoo, The Assembly, Erasure, um nur die großen Eckdaten zu nennen? Darauf muss man erst einmal kommen. Aber ursprünglich hatte Clarke gar nicht daran gedacht, diese Musik zu veröffentlichen. Er bastelte zunächst ganz für sich allein daran, um sich von der Schwere des Lebens abzulenken – seine Frau erkrankte schwer, und dann waren da ja noch die Lockdowns der Pandemie. Martin Gore, mit dem er durch das gemeinsame Projekt VCMG wieder mehr Kontakt hatte, half beim Start ins Abenteuer Eurorack. Denn eine Regel für diese Tracks lautete: Alles wird auf dem Eurorack komponiert, einem nahezu bis ins Unendliche erweiterbaren Modularsystem. Die andere Regel? Pro Track als Grundlage nur ein Sound und eine Tonart.

Erstaunlich, dass diese zehn vom Ansatz her monoton erscheinenden Drones dann doch so abwechslungsreich geworden sind. Einige ragen klanglich sofort heraus: das bereits erwähnte "The lamentations of Jeremiah" mit seinem intensiven Cello-Einsatz über bedrohlichem Brummen im Untergrund. Das großartig um ein Sample eines nordenglischen Traditionals aus dem 19. Jahrhundert über Gewalt gegen Streikbrecher gebaute "Blackleg", bei dem Clarke Alan Wilder, seinem Nachfolger bei Depeche Mode, und dessen Soloprojekt Recoil überraschend nahekommt. Oder das zunächst flott und entspannt auf seinen Sounds dahinhoppelnde "White rabbit", das in der zweiten Hälfte plötzlich in Donnerhall ausbricht – und zu dem Clarke ein recht drastisch mit unserer modernen Telekommunikationswelt ins Gericht gehendes Animationsvideo drehen ließ.

Doch es gibt noch mehr bemerkenswerte Tracks: "Passage" mit seinem Operngesang über Science-fiction-artigen Klängen. "Red planet", das noch weiter in Richtung Soundtrack im Weltraum schwebt, ebenso das Gitarren-Samples addierende "Scarper". Da kann man die zwei, drei doch eher im Hintergrundbeschallungsmodus verharrenden Stücke problemlos verschmerzen. Ein gelungenes Debüt, diesen talentierten Künstler sollte man im Auge behalten.

(Thomas Bästlein)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • White rabbit
  • The lamentations of Jeremiah
  • Blackleg

Tracklist

  1. Cathedral
  2. White rabbit
  3. Passage
  4. Imminent
  5. Red planet
  6. The lamentations of Jeremiah
  7. Mitosis
  8. Blackleg
  9. Scarper
  10. Last transmission
Gesamtspielzeit: 42:45 min

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Armin

2023-11-15 20:54:39- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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