Emma Anderson - Pearlies

Sonic Cathedral / Cargo
VÖ: 20.10.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Aus dem Schatten

Slowdive, My Bloody Valentine, Ride: In den 2010er-Jahren feierten so manche Shoegaze-Größen ihr Comeback und warfen dabei durchweg sehr gute bis überwältigend grandiose Alben ab. Lush hätten sich hier einreihen können. Die 1997 aufgelöste Band um Miki Berenyi und Emma Anderson, die immer ein wenig zu Unrecht im Schatten ihrer genannten Kollegen stand, fand sich 2016 wieder zusammen. Die eigentlich langfristig geplante Reunion hielt allerdings nur eine EP und ein paar Live-Shows lang, ehe der erneute Split folgte. Nun wurde die Welt zwar einer möglicherweise famosen vierten Lush-Platte beraubt, doch hätte es ohne diese Entwicklung nie "Pearlies" gegeben: Andersons Solo-Debüt, auf dem sie einige der für die Ex-Band liegengebliebenen Songs formvollendet. Stilistisch greift sie dabei am ehesten nach "Spooky"-Zeiten, als Lush noch klar dem Shoegaze und weniger dem aufkeimenden Britpop verschrieben waren, webt aber ihr ganz eigenes Garn. Unterstützt von James Chapman alias Maps, zeigt das vielschichtig elektro-akustisch texturierte Album nicht nur all den Epigon*innen, wer weiterhin die Dreampop-Hosen anhat – es stellt auch zum ersten Mal Andersons Stimme in den Vordergrund, die sich früher gerne hinter Berenyi respektive Liza O'Neill im nach der ersten Lush-Trennung gegründeten Duo Sing-Sing versteckte.

Wie harmonisch die üppige Flora von "Pearlies" zusammenwächst, zeigt gleich der Opener. "I was miles away" schwebt auf einer Orgel herein, ehe Andersons distinktive Melodieführung ein in alle Richtungen schießendes Geflecht aus Tasten und Saiten zusammenhält, zu dem im Übrigen auch Suede-Gitarrist Richard Oakes beigetragen hat. Das als Single ausgekoppelte "Bend the round" kommt geradliniger auf den Punkt, erinnert mit seinem ätherischen, dezent Bossa-Nova-artigen Groove ein wenig an die eigenen Vordenker*innen Cocteau Twins – ebenso wie "Taste the air", das zärtliches Glockenspiel mit fatalistischen "It's over"-Deklarationen kontert. Dazwischen warnt das erste große Highlight "Inter light" vor dem Verschwinden des Frühlings, während es seinen Sixties-Pop-Singsang im psychedelischen Meer ertränkt. Trotz allen Wohlklangs wohnt "Pearlies" eine tiefe Unheimlichkeit inne, die cineastisch inspirierten Tracks könnten auch alte europäische Arthouse-Horrorfilme begleiten. "Xanthe" singt seinen wortlosen Chanson, als würde ein Geist durch die herbstlichen Gassen Venedigs oder Wiens streifen.

Bei "Willow and mallow" erwähnt Anderson selbst den Einfluss von "The wicker man", evoziert in diesem verhuschten Folk-Stück tatsächlich bukolische Traumlandschaften, hinter denen sich Sinistres verbirgt. Die Britin reduziert hier ihren Sound fast aufs Songwriting-Skelett, ohne Magieverlust – auch wenn die größtmögliche Faszination freilich immer noch ein Song wie "Tonight is mine" ausstrahlt, der gerade wegen seiner zahlreichen instrumentalen Kometenschweife den Nachthimmel erhellt. Ebenfalls extrovertierter ist der mitreißend shufflnende Gitarren-Synth-Pop-Hit "The presence", der in einer besseren Welt mindestens das 100-Fache seiner – zum Zeitpunkt der Rezension – nur rund 17000 Spotify-Plays erreichen würde. Am Ende leitet der drumlose Indie-Rocker "For a moment" in "Clusters" über: den fulminanten Closer, der in seinem endlosen Strudel ein letztes Mal unterstreicht, warum sich seine Erschafferin auch ohne den Namen der ehemaligen Band in die Reihe der großen Shoegaze-Comebacks stellen darf. "And now the summer's over / The nights are drawing in / The tide is turning over us / The drama will begin" – für Emma Anderson ist der neue Tag gerade erst angebrochen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Inter light
  • Tonight is mine
  • Clusters

Tracklist

  1. I was miles away
  2. Bend the round
  3. Inter light
  4. Taste the air
  5. Xanthe
  6. The presence
  7. Willow and mallow
  8. Tonight is mine
  9. For a moment
  10. Clusters
Gesamtspielzeit: 38:26 min

Im Forum kommentieren

MickHead

2024-09-05 20:10:46

Neues Album "Spiral​é​e: Pearlies Rearranged" wird am 18.10. veröffentlicht.

"Spiral​é​e: Pearlies Rearranged" bei Bandcamp (4 Songs geteilt):

https://emmaanderson.bandcamp.com/album/spiral-e-pearlies-rearranged

MickHead

2024-07-17 11:50:13

Taste The Air (Julia Holter Mix)

https://www.youtube.com/watch?v=bnD3QWr-F_8

MickHead

2024-05-30 11:25:00

Astreiner Dub Mix von "For A Moment"

https://www.youtube.com/watch?v=93IpAcKeIP4&t=60s

VelvetCell

2023-11-17 09:51:01

Gestern auch reingehört: Ja, gefällt. Muss ich aber wohl noch ein-, zweimal hören.

bender

2023-11-17 08:55:12

Schönes Dreampop-Album mit ziemlich abwechslungsreichen Songs.

Highlights: I Was Miles Away, Bend The Bound, Tonight Is Mine

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