Adam Angst - Twist

Grand Hotel Van Cleef / Indigo
VÖ: 17.11.2023
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Keine Lösung ist auch ein Problem

Ist das schon Punk? Ein paar Wochen vor dem deutschen Schweineherbst 2023 veröffentlichten Adam Angst ihre neue Single "Die Lösung für Deine Probleme". Auf dieser macht die Band das, was sie schon auf ihrer letzten Platte machte. Also auf den einst krawalligen Ruf scheißen, die Hosen runterlassen und eine Taschentuch-Ballade einspielen. Felix Schönfuss, immer noch ohne Frau Potz, bügelte sein Ausgehhemd, gelte sich die Haare aus der Stirn und setzte sich ans Klavier. Dann sang er an. Abstrakt gegen verdächtig einfache Antworten auf komplexe Fragen, was der Songtitel bereits erahnen ließ. Und konkret gegen die AfD. Also jenen politischen Dackelclub, dessen Kerngeschäft es ist, selbst die komplexesten Probleme auf einfachste Lösungen zu verdichten. Auf dem Höhepunkt erhoben sich Bläser- und Streicherarrangements über Schönfuss' Klavier und Stimme hinweg, standen Bandkollegen und Posaunenspieler gleichermaßen Mahnwache. Lauter, immer lauter spielten sie an. Gegen all die Ignoranz. Gegen all das biodeutsche Wutbürger-, Spießer- und Tümeltum. Gegen Sündenbockpolitik, die schon seit hundert Jahren viele schwer zu verfehlende Zielscheiben, aber wenige nachhaltige Ziele kennt. Bloß: Genützt hat es wenig. Die AfD präsentierte wenig später ihren ersten Landrat überhaupt und feierte sich selbst in Hessen als die zweitstärkste politische Kraft. Schweineherbst, wir sagten das schon.

Immerhin bekommt dieser Herbst jetzt mit "Twist" einen Soundtrack-Anwärter. Und eine Abrechnung in elf Songs, die oft politisch sind, selbst wenn sie nicht explizit politisch sind. "Schmerz" ist es natürlich - dort kriegt nämlich ein gewisser CDU-Vorsitzender seine Portion Adam Angst ab, der selbst im Clickbait-Wald des Boulevards bereits als Brandbeschleuniger und Steilvorlagengeber für stramme Rechtsausleger gehandelt wurde. Und Schönfuss ätzt und reimt zu grundharmonisch gestimmten Dengelgitarren: "Mein Herz / Dein Schmerz / War das bei Lanz etwa ein Scherz?" Und keift hinterher: "Nur rein rechtlich sag ich deinen Namen nicht." Tun wir auch nicht. Reine Ehrensache für Ehrenmänner, logo. Alsbald verlagern Adam Angst den Unmut über Zoten in der Berliner Bütt aber ins Kleine, ins Alltägliche. Dahin, wo Leute regelmäßig auf Leute treffen. Wo Solidarität und Miteinander entweder gelebt wird – oder wie manches Politikversprechen am Morgen nach der Wahlsiegfeier implodiert. Ein anderer Song heißt "Mindset" und demaskiert zu Vierviertel-Stampfbeats all die Selbstoptimierer und immer noch Selbstoptimierenden, die auch auch in deutschen Startup-Geschäftsetagen sitzen. Vor allem aber entlarven Adam Angst diejenigen, die gut davon leben, den Selbstoptimierern mit Buchtiteln, Claims und Workshops vorzugaukeln, Erfolg sei wie eine Smartphone-App: alles reine Einstellungssache. Und bei Abo-Abschluss genauso einfach zu haben.

Zugegeben: Musikalisch kriegt hier niemand einen Herzinfarkt. Wer es nicht schafft, das Stück biederdeutsch von Start bis Stopp auf die Zwei und Vier der Takte durchzuklatschen, bekommt von uns den halben Kaufpreis dieser Platte zurück. Inhaltlich direkter als ein Werbeslogan von Coca Cola ist das obendrein, wenn Schönfuss ansetzt: "Springt, hüpft / Hände in die Luft / La ola, La ola / Wir hampeln uns ins Glück." Aber subtil oder gar kryptisch wollten sich Adam Angst schon auf ihrem selbstbetitelten Debüt nie missverstanden wissen. Wer sich das heute einredet, macht sich genauso etwas vor wie all die geschröpften Opfer der Tschakka-Industrie, denen Adam Angst hier den Spiegel vorhalten wollen. Mit "Angst" liefert die Band zugleich das Hintergrundgeräusch für alle Doomscroller und Schlechte-Nachrichten-Konsumenten, die sich ohne Panikmodus-Dauerbeschallung nicht mehr für ihre verheerenden Kreuzchen auf dem Wahlzettel rechtfertigen könnten. Indes: Die Probleme der anderen kennen Adam Angst in der Tat. Die Lösung für ihre eigenen Probleme hingegen finden sie selten. Denn die brave Musik hinter all diesen Zeilen bleibt auf "Twist" erschreckend häufig sehr viel näher an Joachim Deutschland gebaut als an etwa Thees Uhlmann. Potenziell tümelnder Deutschrock verträgt sich auch 2023 mit Haltung so gut wie Anarchopunk mit den Wahlkampf-Slogans der AfD. Schweineherbst hin, Schweineherbst her.

(Sven Cadario)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Die Lösung für Deine Probleme
  • Angst

Tracklist

  1. Die Lösung für Deine Probleme
  2. Unangenehm (feat. Wutgruppe 0)
  3. Unter meinem Fenster
  4. Mindset
  5. Angst
  6. Wir sind zusammen
  7. Mord
  8. Eau de Toilette
  9. Schmerz
  10. Range Rover
  11. Dass Du bleibst
Gesamtspielzeit: 35:52 min

Im Forum kommentieren

Robert G. Blume

2023-11-27 12:57:34

Irgendwie hat’s mir beim zweiten Song die Formatierung zerhauen, obwohl eigentlich alles stimmt. Ich versuch’s nochmal getrennt:

Wird noch witziger mit dem dazugehörigen Video, dem Textbooklet und den Kommentaren von Onkelz-Fans, die sich zuverlässig triggern lassen wie Pawlowsche Hunde.
Als Parodie voll gelungen, das Genre Deutschrock in 1:49 Minuten stilsicher eingesargt. Kann aber auch obige Kommentare sehr nachvollziehen: Will man das immer hören, wenn man ein Album auflegt? Und das an zweiter Stelle. Der Hörgenuss hält sich dann doch in Grenzen. 5/10

Video

Kommentare von Onkelz-Fans

Robert G. Blume

2023-11-27 12:50:56

Hier nochmal meine genaue Betrachtung mit etwas zeitlichem Abstand.

Vinyl: Hab die Splatter, die ist super schön geworden und die Pressung ist auch tadellos. Von der Aufmachung her nichts zu meckern. Drinnen ein Textbooklet. Hm, weiß nicht, natürlich muss jeder jetzt mit KI-generierten Bildern rumspielen, so auch Adam Angst. Mich langweilt das nur noch und ich finds auch nicht schön.

Songs in der Einzelbewertung:

01. Die Lösung für deine Probleme

Bleibt ein Spitzensong mit Spitzentext. Habs in mein Lagerfeuer-Repertoire übernommen. 8/10

02. Unangenehm (feat. Wutgruppe0)

Wird noch witziger mit dem dazugehörigen Kommentaren von Onkelz-Fans, die sich zuverlässig triggern lassen wie Pawlowsche Hunde.
Als Parodie voll gelungen, das Genre Deutschrock in 1:49 Minuten stilsicher eingesargt. Kann aber auch obige Kommentare sehr nachvollziehen: Will man das immer hören, wenn man ein Album auflegt? Und das an zweiter Stelle. Der Hörgenuss hält sich dann doch in Grenzen. 5/10

03. Unter meinem Fenster

Schon schmissig, aber nicht das, wofür ich Adam Angst liebe. Der Text ist mir auch zu sehr First World Problems. 6/10

04. Mindset

Klingt wie die Vertonung der entsprechenden ZDF Magazin Royale Folge. Ich wage zu prophezeien, dass das ironisch gemeinte "Springt! Hüpft!" live ziemlich gut funktionieren wird, was ja auch schon wieder ironisch ist. 7/10

05. Angst

Bester Song der Platte, weil er einfach ballert. 8,5/10

06. Wir sind zusammen

Werde nicht so richtig warm damit, und auch im Albumkontext wird der Song nicht besser. 6/10

07. Mord

Ja, we get it, du bist Misanthrop. Beschwingte Musik, schöne Farin-Urlaub-mäßige Text-/Musik-Schere wie etwa bei "Tristesse". 6,5/10

08. Eau de Toilette

Geht schön nach vorne, und endet etwas überraschend im wohl ersten Hardcore-Breakdown, der die Wörter "Rosenkohl" und "Brokkoli" enthält. Gute Betrachtung über die Dating-Kultur und die Ansprüche, die die Leute haben. 7,5/10

09. Schmerz

Klingt fast Country-mäßig. Das ist der einzige Song, der mir einfach nicht eingeht, weil er so dahinplätschert. Aber der Text ist gut. Egal was man von einem Song mit dem Titel "Schmerz" erwartet, der hier wird überraschen. 5/10

10. Range Rover

Der Protagonist des vorigen Songs ist nicht der einzige, der befreit von Schmerz ist. Die Refrainzeile "Mein Range Rover is driving straight into se Tiefgara – je fais tout ca juste pour toi et moi" ist schon arg grenzwertig. Und doch singe ich sie oft vor mich hin, weil der Song treibt und eingängig ist wie Sau. Auch hier gibt es wieder ein witzig-böses Video als Begleitmaterial. 7,5/10


11. Dass du bleibst

Eine ganz ordentliche Klavierballade zum Abschluss. Nach so viel Kraut und Rüben empfinde ich es direkt als Erleichterung, dass es weder textlich noch musikalisch einen Bruch gibt. 7/10

Fazit

Das Album ist eher eine Songsammlung, in sich komplett zerfahren, jeder Song steht für sich, kein Song klingt nach einem von den vorigen Alben. Gutwillig kann man es "kurzweilig" nennen, weniger gutwillig aber auch "durcheinander". An manchen Stellen frag ich mich, ob das Format "Band" bzw. "Platte" überhaupt das richtige ist für die vielen Schönfussschen Ideen. "Unangenehm" etwa könnte so auch vom Browser Ballett oder von Böhmermann kommen. Als Fan des Debüts hab ich immer noch große Sympathien für die Band, aber Begeisterung löst "Twist" nicht richtig aus, und auch der Langzeiteffekt der Platte wird wahrscheinlich eher gering sein.

All Crips are Bloods

2023-11-23 17:14:39

Also ich finde es jedenfalls besser als den Vorgänger. Irgendwie ne Mischung aus dem Debüt und ner Farin Urlaub Platte. Durchaus für ein paar Lacher gut, aber mehr auch nicht.

Glufke

2023-11-17 19:46:41

Vielleicht höre ich mir die dann nochmal einzeln an. "Unangenehm" ist ganz witzig, aber das ist so ein Song, den hört man einmal und denkt sich "schöne Verarsche", aber warum soll man ihn dann nochmal hören? Ein Witz wird ja auch nicht besser, wenn man ihn zwei mal erzählt. Das hat die Band früher einfach viel cleverer gelöst bei "Ja, ja, ich weiß" oder dem Song über das Pärchen-Dinner. Das ist nicht gerade subtiler Humor, aber Z.B. ersterer ist ein Song mit coolem Aufbau und der Eskalation am Ende. Auch "Professoren" finde ich eigentlich ziemlich gut, gerade auch mit der textlich positiven Bridge. Live hat das echt Spaß gemacht. Mal schauen, vielleicht macht Schönfuß demnächst mal noch ein anderes Projekt, wobei ich mir das bei dem Erfolg von Adam Angst nicht so richtig vorstellen kann.

Milo

2023-11-17 19:09:49

Nochmal kurz zum neuen Album: Angst, Mindset und Eau de Toilette gehen klar. Unangenehm sehr schön kurze Onkelz-Verarsche. Der Rest leider langweilig und irgendwie "egal".

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