Viji - So Vanilla
Speedy Wunderground / PIAS / Rough TradeVÖ: 27.10.2023
Post-Post-Grunge
Erste Feststellung: Not macht bekanntermaßen erfinderisch. Und eine klare künstlerische Vision lässt sich hin und wieder auch durch begrenzte Möglichkeiten nicht kleinkriegen. Zum Glück! Denn gerade Kinder der Pandemie haben gelernt, wie sich aus den heimischen vier Wänden ganze Musiker*innenkarrieren starten lassen, die zunächst natürlich rein digital stattfanden, aber anschließend oft den Schritt auf die richtigen Bühnen fanden. Die österreichisch-brasilianische Künstlerin Vanilla Jenner, die unter dem durch ihre Initialen abgekürzten Namen Viji in Erscheinung tritt, ist ein solcher Fall. Die gebürtige Wienerin und nach verschiedenen Zwischenstationen mittlerweile Wahl-Londonerin kommt aus dem Bedroom-Pop, hat seit 2020 so einige Singles und EPs ins Internet gestellt und für ihr quasi-selbstbenanntes Debütalbum "So Vanilla" nun ordentlich aufgelevelt.
Zweite Feststellung: Corona-bedingt viel Zeit und Leerlauf haben weiterhin dafür gesorgt, dass die Generation Z einen eindringlichen Blick zurückgeworfen hat – musikhistorisch betrachtet, versteht sich. Denn "So Vanilla" fühlt sich gewissermaßen so an, als hätte man Billy Corgans unsterblichen Twang-Klassiker "1979" auf 40 Minuten gestreckt und dann durch zwölf geteilt: leichtfüßig und gleichzeitig treibend, dabei mit so anachronistischer Neunziger- beziehungsweise Früh-Zweitausender-Schlagseite versehen, dass es in seiner groben Offensichtlichkeit beinahe verboten gehört. Soll es hier aber nicht, denn was zählt, sind einzig und allein die Songs. Und genau da kann Jenner trotz altbekannter Bausteine mit ungeheurem Talent punkten.
Das Feld ist weiträumig abgesteckt: "Down" schrubbt grungy Laut-Leise-Riffs mit einer solchen Lässigkeit herunter, dass man sich wundert, ob die Künstlerin nicht doch wesentlich älter ist, als es den Anschein hat. "Say hi" und der feierwütige Instant-Hit "Karaoke" kreieren verschroben-tanzbare Indie-Miniaturen, wie sie die ähnlich Neunziger-affinen Kolleg*innen von Sorry ziemlich genauso erschaffen würden – wahrscheinlich stilecht inklusive der hysterischen Schreie im Hintergrund von "Karaoke". "Blanket" bespielt dann die Kategorie Grunge-Downer wie aus dem Lehrbuch: schwere Akustikakkorde und Streicheruntermalung für alle, so als sei Nirvanas "MTV Unplugged" erst gestern gewesen und habe Jenner es dereinst leibhaftig im Fernsehen gesehen. Und "Sharks" meint zwischendrin tatsächlich, giftig-zeternder Punkrock sein zu dürfen, rumpelt allerdings so niedlich umher, dass man unweigerlich eine Avril Lavigne vor sich sieht, die zu Beginn ihrer Karriere ihre Riot-Grrrl-Phase entdeckt hätte.
"I try really hard to leave, but stuck here craving company": Eher balladesken und dabei wunderschönen Indie-Pop gibt Jenner in "Sundress in pink" zum Besten. Ihre Texte zielen ins Innere, drehen sich um flüchtige, nächtliche Bekanntschaften und um den Wunsch nach Nähe. Dabei sind sie mitnichten so abstrakt, wie es das Genre ursprünglich verlangt hat, sondern überzeugen durch ihre (post-)moderne Emo-Kante, die im Soundcloud- und Bedroom-Pop heutiger Tage ohnehin nicht mehr wegzudenken ist. "So Vanilla" ist sehnsüchtig und zuckersüß, schließt dabei vielleicht keine klaffende Lücke in der Musiklandschaft, beschert der Musikerin aber ihre Daseinsberechtigung unter Weggefährtinnen wie Snail Mail oder Beabadoobee. Ganz so, wie sie es in der herausragenden Single "Sedative" selbst zur Sprache bringt: "London's not as cool without you."
Highlights & Tracklist
Highlights
- Down
- Sedative
- Sundress in pink
- Karaoke
Tracklist
- Anything
- Down
- Sedative
- Sundress in pink
- Karaoke
- Blanket
- Sharks
- Slip out quiet
- 1850
- Say hi
- White lighter
- Ambien
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Armin
2023-11-01 20:58:19- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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