Troye Sivan - Something to give each other
EMI / UniversalVÖ: 13.10.2023
Steifer Nacken
Vergesst erst mal die Wertung, die hier drüber steht. Wenn Ihr euch noch nie durch einen Club voller halbnackter, verschwitzter Männer geschoben habt (oder schieben möchtet), in einer Wolke aus Testosteron, Alkohol und Geilheit, dann zieht ruhig ein oder zwei Punkte ab und klickt vielleicht zum nächsten King-Gizzard-Album, das bestimmt gerade veröffentlicht wurde. Wenn doch, dann rechnet eben das einfach drauf. Der Lackmustest ist ganz sicher Troye Sivans Video zu "Rush", eine fulminant choreografierte Parade des schwulen Tanz- und Nachtlebens, gedreht in – wie könnte es anders sein – Berlin. Das löst bei meiner Prägung viele nostalgische Gefühle in Richtung eines Alters aus, in dem all das vollkommen neu war, in dem ich mich jedes Wochenende auf einer Party in irgendeiner Stadt rumtreiben konnte. Wie das körperlich und finanziell ging? Aus der Post-35-Perspektive heute völlig irre. Was mehr kann ein schnödes Musikvideo leisten?
Na, zum Beispiel ein Album namens "Something to give each other" ankündigen, das beim Titel und Cover gleich weitermacht. Der Grund, warum Sivan einem auf dem Artwork seiner dritten Platte so freudestrahlend wie ein junger Scott Walker entgegenprangt, liegt sicher daran, dass er nunmehr eine perfekt eingerenkte Nackenmuskulatur besitzt. Schade, dass originelle Physiotherapie in einigen Ländern noch nicht so verbreitet ist und daher dort ein schnöder Sivan-Closeup vom Single-Cover als "Modest"-Variante herhalten musste. Wer zudem beim fetzigen "Rush" nicht an eine bekannte Poppers-Marke denkt ... nun gut, die Zielgruppe haben wir ja bereits im ersten Absatz geklärt. Sivan selbst hatte für den Videodreh sogar ein wenig an einer kleinen Flasche geschnüffelt, um in die richtige Stimmung zu kommen. Kein Wunder, dass da alle so schwitzen.
"Something to give each other" ist natürlich, wie vieles in Berliner Gay-Clubs, eine kleine Mogelpackung. Am Anfang verspricht die Platte genau den beschriebenen hedonistischen Rausch, wenn der Opener in das aufgeregte "What's the time where you are?" hineinstolpert. Dass The Guardian kürzlich feststellte, dass Australien dank Kylies "Padam padam" und diesem Werk hier in seiner "gay era" sei, kommt nicht von ungefähr. Sivan ist schamlos horny, möchte die Kerle nicht nur metaphorisch im Kopf haben. "International straight shot to my heart / I'm right on top of this groove / But God, I wish it was you" ist nicht viel weniger eindeutig als "Every stimulation / Promise I can take what you wanna give." Parentales Advisorum: explizite Lyrik. "One of your girls" spaziert mit prägnantem Bass über den Dancefloor zum Fuckboi der Wahl. "Give me a call if you ever get desperate / I'll be like one of your girls." Sagt man heutzutage noch "Heten kneten"?
Die fulminante Disco-Attacke der ersten Songs weicht zur Mitte hin allerdings konsequent dem verträumten Schlafzimmerblick. Wenn Sivan sich zum verrauschten Saxofon an eine verflossene Liebschaft erinnert, tritt die Libido erst einmal in den Hintergrund. "Can't go back, baby" wagt zum Sample von Natalie Pratts "Back, baby" sogar einen Anflug von Bitterkeit: "I wish you weren't dead to me / So much to miss in you / And it breaks my heart to say / I can't wait to live without you." Natürlich dennoch zu so warmherzigen Synths präsentiert, dass die Herzen trotzdem auf Schmelztemperatur kommen.
Von jenen "hard feelings" zurück zu anderen "hard feelings" – "We should experiment even to the detriment of whoever's on the couch" – wechselt der angenehm oldschoolige 2-Step-Beat von "Got me started". Hier nimmt "Something to give each other" wieder mehr Fahrt auf, auch wenn das Eröffnungstrio in seinem Rausch unerreicht bleibt. "Honey" dürfte dafür der größte Pop-Hit sein, wirkt fast schon etwas zu direkt auf die Gehörgänge. "My body's working in overdrive / Don't care how late, let's go overtime." Von Overtime hält das Album selbst allerdings nichts. Nach knapp 33 Minuten beendet "How to stay with you" die Sache gemächlich und etwas nachdenklicher. "Baby, turn around, give me one more kiss / I'm a little bit lost on how to stay with you." Passt ja auch zu diesem kurzen, aber intensiven Flirt von einer Platte: Es ist schwer, jemandem Treue zu schwören neben all den schönen Souvenirs.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Rush
- What's the time where you are?
- One of your girls
- Got me started
Tracklist
- Rush
- What's the time where you are?
- One of your girls
- In my room
- Still got it
- Can't go back, baby
- Got me started
- Silly
- Honey
- How to stay with you
Im Forum kommentieren
octoberswimmer
2023-11-06 15:19:14
Ich mag das Selbstverständnis und das queere Empowerment leider deutlich mehr als die doch oft eher egale Musik.
Deutliches Highlight: "One of your girls"
Absolutes Highlight jedoch: Die wunderbar geschriebene Rezi!
Konsul
2023-11-04 20:46:01
Er ist jung und lebt seine Sexualität offen aus. Bei Frauen sind solche Cover doch auch okay.
Sick
2023-11-04 19:25:45
Verstörendes Cover.
Konsul
2023-11-02 23:33:24
Ein eher schwaches Album mit billigen austauschbaren Sounds. 2-3 Songs wissen zu gefallen, aber insgesamt zu wenig. Das Vorgängeralbum war wesentlich stärker. 4/10
Armin
2023-11-01 20:57:25- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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