
Die Selektion - Zeuge aus Licht
Der KatalogVÖ: 29.09.2023
Am Ende bleibt Dir nichts
Sektchen gefällig? Keine Sorge: Das Bier im Backstageraum ist nicht lauwarm, und Silvester hat auch niemand verpasst. Beim dritten Longplayer von Die Selektion empfiehlt sich ein langstieliges Glas in der Hand nämlich darum, weil die Stuttgarter ihre Musik als Prosecco Wave bezeichnen – dass sie ihr Genre in geschmeidiger Abwechslung auch Techno Goth oder Arena EBM nennen, zeigt außerdem, dass Luca Gillian, Hannes Rief und Samuel Savenberg humorbegabte Zeitgenossen sind, die nicht allzu viel auf althergebrache Schubladen geben. Dennoch spritzen ihre Fans auf Konzerten gerne mit selbst mitgebrachtem Schaumwein herum – ob das dieses "Erfolgreiche Life" ist, von dem man so viel hört? Würde passen, denn inzwischen gehört erstmals seit 2013 Gründungsmitglied Max Rieger wieder zum Line-Up und sitzt sogar am Mischpult.
Was macht der Produzenten-Bär des deutschen Indie, außerdem Die-Nerven-Frontmann und Mastermind von All Diese Gewalt, also mit Die Selektion? Vor allem verpasst er seiner Band einen deutlich voluminöseren Sound als den teilweise etwas plan in Szene gesetzten Vorgängern. Da wird die gleißende Auftakt-Sequenz des plattwalzenden Openers "Der Grundstein" zum stählernen Statement, eine tieffrequenzige Gitarre schabt das Gefühlszentrum aus, dazu verkündet Gillian mit ähnlich pathetischer Geste wie Tüsn-Sänger Snöt: "Was tot ist, kann nicht mehr sterben." Gänzlich unromantisch, versteht sich. Techno Goth? Mitnichten – nicht nur in diesem Song geht es um zerschossene Beziehungen und pure Selbstverleugnung, die sich auch in Zeilen wie "Warum ich, wenn Du alle haben kannst?" widerspiegelt. Merke: Am Ende bleibt Dir nichts.
Auch auf "Zeuge aus Licht" immer mit von der Partie: Riefs Trompete. Nach wie vor ein in Electronic Body Music, Cold Wave und maschinellem Post-Punk maximal unwahrscheinliches Element, bei Die Selektion jedoch ein hinreißend selbstverständliches. Zum Beispiel, wenn das Blasinstrument im Titelstück gewandt das pointierte Gitarrenriff wieder aufgreift, während der weit ausholende Refrain für den wohl hymnischsten Pop-Moment dieses Albums sorgt. Eine perfide Eingängigkeit, die den Untergang in Seidenpapier wickelt und in dieser vollmundigen Form ebenso in der ersten Single "Ascheregen" auftaucht. Nicht etwa ein bemühtes Casper-Surrogat, sondern eine resignierte Chronik missglückter Kommunikation im emotionalen Fallout, ehe der sphärische Abgesang "Instrument" endgültig die Waffen streckt. Gruppenkuscheln im Sand oder nicht.
Aber auch desillusioniertes Rumhängen am Rande entvölkerter Tanzflächen sei Die Selektion gegönnt, zumal "Zeuge aus Licht" bis dahin aus sämtlichen Körpermusik-Rohren feuert. Besonders hervor tun sich die mörderische Bass-Walze des zunächst mehrfach kodierten und dann am offenen Herzen operierenden "Der Katalog" oder das ungerührt rotierende "Drei Gesichter", das am eindeutigsten illustiert, warum die Schwaben DAF als prägenden Einfluss angeben. Das allerdings plus groß inszenierte Verzweiflung in der Stimme und Stichflammen aus dem Gebläse. Wer auf den Begriff Goth pocht, bekommt im Closer "Mein Fundament (Uns gehört die Welt)" noch eine ins industrielle Extrem vorangetriebene Reminiszenz an die Synth-Linie von Clan Of Xymox' Klassiker "Stranger" mitgegeben – nicht das Einzige, das es hier zu feiern gibt. Sektchen gefällig?
Highlights & Tracklist
Highlights
- Der Grundstein
- Der Katalog
- Ascheregen
Tracklist
- Der Grundstein
- Zeuge aus Licht
- Der Katalog
- Drei Gesichter
- Was übrig bleibt
- Der rote Faden
- Ascheregen
- Instrument
- Mein Fundament (Uns gehört die Welt)
Im Forum kommentieren
MM13
2023-11-04 15:22:10
cooler ebm sound dazu die trompete, hat was.stimme lässt mich an falco denken,warum auch immer,sound stellenweise an daf.
Sloppy-Ray Hasselhoff
2023-11-01 23:41:35
heißer anwärter für das album-cover des jahres.
Armin
2023-11-01 20:57:14- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Die Selektion - Zeuge aus Licht (3 Beiträge / Letzter am 04.11.2023 - 15:22 Uhr)