Myrkur - Spine

Relapse / Membran
VÖ: 20.10.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Frei zu sein

Es ist ja schon amüsant, was man so über Myrkur seit der selbstbetitelten Debüt-EP aus dem Jahr 2014 lesen darf. Als allererstes trat natürlich die Szenepolizei auf den Plan, die umgehend befand, weiblicher Klargesang und Black Metal passe ja mal so gar nicht zusammen. Als sich die nebulöse Band dann als Ein-Frau-Projekt der Dänin Amalie Bruun herausstellte, ging es erst richtig los. Bruuns "Fehler": Sie war zuvor bei einer Indie-Pop-Band namens Ex Cops tätig und – Schockschwerenot! – hatte die Unverschämtheit besessen, für ein paar Werbeclips zu modeln. Das geht natürlich mal gar nicht, und als die Kopenhagenerin mit ihrem bis dato letzten Album "Folkesange" ihre musikalischen Wurzeln verfolgte und dem skandinavischen Ur-Folk frönte, war für einige komplett der Ofen aus. Bei Männern nennt man so was übrigens "Freigeist, der sich außerhalb der Konventionen bewegt." So viel dazu.

Wenn man aber einmal aus der stilistischen Echokammer ausgebrochen ist, wird der Weg zurück zumeist nicht mehr angestrebt. Es dürfte also klar sein, dass "Spine" nicht mehr allzu viel mit den teilst wüsten Riffs der Alben "M" oder "Mareridt" zu tun haben dürfte, zumal die 38-Jährige angekündigt hatte, mit ihrem vierten Longplayer ihrer Gefühlswelt als junge Mutter Ausdruck zu verleihen. In der Tat ist die einstige Ruppigkeit nur noch in Ansätzen vorhanden, einzig "Valkyriernes sang" reißt mit seinen schroffen Riffs eine tiefe Wunde in die Gesamtatmosphäre des Albums, will an den Nerven zerren und setzt den versteckten Schreien doch wieder vermeintlich lieblichen Klargesang entgegen, lässt Bruun ihre komplette stimmliche Bandbreite ausleben.

Wer nun meint, zuvor hätte süßliche Harmonie die Oberhand behalten, ist prompt in die ausgelegte Falle getappt. Ja, "Like humans" weist einen betörend ohrenschmeichelnden Refrain auf, ist gerade schwelgerisch schön. Doch warum droht da im Hintergrund dieses eine Riff, das gegen Ende in wütenden Blastbeats eskaliert und den unverdrossen darüber schwebenden Gesang ad absurdum führt? Selbst das heftigst poppige "Mothlike" wird gegen Ende durch ein klirrendes Solo förmlich zerfetzt, bis dann "My blood is gold" die Spannung auflöst. Die Arrangements eines gewissen Billy Corgan bescheren dem Album einen seiner fragilsten Momente überhaupt. Zu minimaler Instrumentierung kehrt Bruun ihr Innerstes nach außen. An dieser Stelle sind jegliche Genre-Diskussionen völlig egal, es ist einfach nur noch wunderschön.

Lassen wir doch also wirklich einmal den ganzen konzeptionell-spirituellen Überbau beiseite und versuchen eine Einordnung. Da ist die rätselhafte Düsternis einer Chelsea Wolfe, aber auch die hart am Kitsch kratzende Schmeichelei, die für ganz böse Zungen wegen des mitunter extremen Halls auf den Vocals gar an Enya mit Gitarren erinnern könnte. Da ist das akustische Cocooning des Blackgaze, speziell wie bei den großartigen Alcest, durch dessen Vorhang man immer wieder durchbrechen möchte, um in das Innerste zu sehen – ohne zu erkennen, das es schon längst ausgebreitet vor einem liegt, man muss es nur behutsam auflesen. Dass sie damit die vermeintlichen Traditionen des Black Metal weitestgehend verlässt, dürfte Bruun dabei komplett egal sein, wenn dieser neue Weg so spannend ist wie "Spine".

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Like humans
  • My blood is gold
  • Valkyriernes sang

Tracklist

  1. Bålfærd
  2. Like humans
  3. Mothlike
  4. My blood is gold
  5. Spine
  6. Valkyriernes sang
  7. Blazing sky
  8. Devil in the detail
  9. Menneskebarn
Gesamtspielzeit: 33:43 min

Im Forum kommentieren

Watchful_Eye

2023-10-27 20:53:47

Es ist vermutlich mein Kommentar gemeint. Ich dachte eigentlich, dass spätestens durch die Anführungsstriche klar sei, dass das nicht mein Ernst sei.

Mann 50 Wampe

2023-10-27 17:37:11

Aha und wo hast du jetzt Pseudo Mädchen BM Kommentare herausgelesen ?

tjsifi

2023-10-27 10:07:59

Immer wieder super die "Pseudo Mädchen BM" Kommentare FTW!

TOOL99

2023-10-26 19:29:53

Fand bisher alles von ihr super. Hier ist meine erste Assoziation aber tatsächlich Evanescence. Das hält mich bisher etwas von einem zweiten Durchgang ab.

Mann 50 Wampe

2023-10-26 18:50:45

Folkgesange fand ich damals ganz fürchterlich, völlig gekünstelt und gewollt. Viele der von Charlotte oben erwähnten Künstlerinnen, beherrschen das Genre um Längen besser und sind vor allen deutlich authentischer. Myrkur nehme ich ihre Musik schlicht nicht ab.

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