The Wohlstandskinder - Dezibelkarate

Motor / Universal
VÖ: 26.01.2004
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Schlagzeilen

Wenn man klein ist, darf man sich nicht prügeln. Das gehört sich einfach nicht und tut dem anderen (und nicht selten einem selbst) ja auch weh. Wenn man dann älter ist, haben Eltern plötzlich gar nichts mehr dagegen, wenn man sich ein- bis zweimal wöchentlich mit anderen kebbelt und dafür auch noch Geld bezahlt. Das nennt sich dann Karate und ist Sport. Und der ist bekanntlich im Verein am schönsten. Ähnlich verhält es sich mit den Wohlstandkindern: Als die Band und man selbst noch jünger waren, waren die rotzigen Punkklänge vielen Eltern ein Dorn im Auge, ein Bohlen im Ohr. Von prügelnden Polizisten und den üblichen Problemen dieser Welt wollen Erziehungsberechtigte nicht hören - auch wenn es mit schepperndem Augenzwinkern vorgetragen wird. Aber jetzt sind die Wohlstandskinder älter, ein "The" vor dem Bandnamen gab es schon auf dem Vorgänger "Baby, blau!", diesmal kommt Musiksenderdauerrotation dazu (passenderweise mit "Kein Radiosong") - und plötzlich finden es auch die Eltern toll.

Daß das den Fans der ersten Stunde gehörig auf die vollgekritzelten Armeerucksäcke gehen würde, war eigentlich zu erwarten. Aber wer mag es den sympathischen Vieren aus dem Bergischen Land schon übel nehmen, schließlich nennt man das konsequente Weiterentwicklung und auch Punkclowns müssen an die Altersversorgung denken. Deshalb singt man lieber über die Menschen hinter all diesen Fenstern als über die Revolution in Stereo. Und obwohl man "Kein Freund von großen Worten, langen Reden und Konsorten / Keinen lyrischen Ergüßen wirst du hier lauschen müssen" als Richtungsangabe mißverstehen könnte, kommt textlich doch so einiges zusammen, was sich auch Hamburger Schüler gerne in ihre Poesiealben schreiben würden.

Eine Hymne wie "Penthouse Bewohner" stünde auch Kettcar gut zu Gesicht: "Und hundert Gebete an die richtige Adresse / Fast tausend Schläge in die falsche Fresse." Und ehe man sich bei "Frag ihn mal dort oben, was richtig ist" fragt, ob die Band jetzt mit Gott hadert oder ob das mit dem "Penthouse Bewohner im Herzen deiner Stadt" doch nur wörtlich gemeint war, möchte man schon mit ausgebreiteten Armen durch die Straßen rennen und Fremde umarmen. "Satellitenbild" darf nicht nur wegen Zeilen wie "Die Pillen helfen mir die Angst zu vergessen / Ich nehm sie täglich, vor und nach jedem Essen" als kleiner Adoptivbruder von Jimmy Eat Worlds "Bleed American"-Titeltrack betrachtet werden: "Es geht mir gut / Danke vielmals, ging nie besser." Und wer bei "Apathisch warten" an Element Of Crime denken muß, hat vielleicht gar nicht mal so unrecht: "Wir warten auf ein gutes Hollywood-Drehbuch und einen Oscar für Lafontaine / Wir warten auf Gerechtigkeit und auf den zwanzigsten Refrain" - es wäre nicht verwunderlich, das Lied irgendwann in einer Werbekampagne der Deutschen Bahn wiederzuentdecken.

Lyrisch nah am Meisterwerk kann man sich über die musikalische Qualität von "Dezibelkarate" jedoch streiten: Ist das nicht mitunter schon zu viel Zuckergußpop? Meinen die das alles ernst? Und sind die jetzt nicht auch bei einem Major-Label? Keine Panik: Die Gefahr eines Ausverkaufs ist bei den Wohlstandskindern (zur Zeit) nicht gegeben. Zwar ist das alles schon wesentlich massenkompatibler als in der guten alten Zeit, aber so ist das nunmal: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Außerdem gibt es mit "Lass alles" oder "Einer von Millionen" immer noch hinreichend rockende Lieder. Und so dürfte sich dieses Album in die inzwischen lange Liste der deutschsprachigen Alben einreihen, die für viele orientierungslose Menschen zwischen 15 und 35 zum treuen Begleiter geworden sind. Wer sich verstanden und in den Arm genommen fühlt, sieht über kritische Streicherteppiche hinweg und freut sich über diesen recht präzisen Schlag auf die Zwölf. Wir sehen uns in Las Vegas!

(Lukas Heinser)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Es gibt keine Balladen mehr
  • Penthouse Bewohner
  • Satellitenbild
  • Apathisch warten

Tracklist

  1. Du, ich und wir zwei
  2. Kein Radiosong
  3. Für mich scheint es
  4. Es gibt keine Balladen mehr
  5. Lass alles
  6. Welten daneben
  7. Penthouse Bewohner
  8. Satellitenbild
  9. Einer von Millionen
  10. Apathisch warten
  11. Deine Zahlen sehn wie immer aus
  12. Jedes bisschen gar nichts
  13. Oasen im Ozean
Gesamtspielzeit: 46:05 min

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