Blink-182 - One more time
Columbia / SonyVÖ: 20.10.2023
Noch einmal mit Nostalgie
Tom DeLonge ist ein Wichser. Die Standout-Single "Dance with me" seiner jetzt wieder Ex-Ex-Band Blink-182 hat noch nicht mal richtig in die Tonspur gefunden, da würgt er bereits seinen Lurch: "When I teach masturbation, I'm always like: Have fun with it!" Was auf das klebrige Vorspiel folgt, sind zackige Akkordfolgen, die auf ihrem Höhepunkt so frühzeitig wie erste Teenager-Fummeleien explodieren. Im Videoclip dazu kleiden sich Blink-182 wie die Ramones und imitieren den frühen MTV-Klassiker "I wanna be sedated". Keine Minute später biegt "Dance with me" in den knalligsten Blink-182-Refrain seit Pop-Punk-Gedenken ein. Schafft es, fragt uns bitte nicht wie, "Olé, olé, olé, olé!" zu skandieren, ohne dabei Schlager-Assoziationen zu wecken – und in der eingeschobenen Hookline die ganz großen Gefühle zu beschwören: "Yeah, we're doing it all night long!". Schon klar, Tom. Der Mann kann nicht anders. Der will auch jetzt nur spielen.
Dabei sah zwischen DeLonge und dem Rest von Blink-182 alles nach Trennung aus, bis dass der Tod sie fast geschieden hätte. Schon die Aussöhnung nach seinem erstem Band-Ausstieg lief 2009 so mittel: DeLonge war mit der Musik fertig, und die ehemaligen Freunde Mark Hoppus und Travis Barker hatten ihn anschließend längst aus ihren WhatsApp-Kontakten gestrichen. Doch dann war er da, der Tom. Genau dann, als er am meisten gebraucht wurde: Hoppus bekam 2021 die Diagnose Lymphdrüsenkrebs, DeLonge versöhnte sich mit ihm und gab ihm mehr Halt, als er Blink-182 zuletzt hatte geben können. Den Krebs besiegten sie gemeinsam. Und jetzt ziehen die Partners in Punk das wieder zusammen durch. Diesmal bis zum Ende. Versprochen.
Das ist weiter erwähnenswert. Denn "One more time" wirkt ein bisschen so, wie die Versöhnung zwischen Hoppus und DeLonge gelaufen ist: in Teilen ein wenig zögerlich – es ist eben viel passiert, bevor sich wieder alles zum Guten wendete. In den intimsten Momenten kommt dieses Album sogar aus dem Herzen statt aus dem Hosenstall. Das frühzeitig veröffentlichte Titelstück gab als Akustik-, Streicher-, und Klavierballade bereits einen Vorgeschmack darauf: "Do I have to die to hear you miss me?", tragen Blink-182 dort auch lyrisch etwas arg dick auf und brauchen keine Bedienungsanleitung mehr zu liefern, um zu erklärbären, was und wen sie meinen. Vor allem aber gibt sich "One more time": ziemlich wort-, Pardon, trackgewaltig. Nach Jahren der Punkstille purzeln die Songs und Zeilen nur so aus Blink-182 heraus. 17 Nummern sind es am Ende geworden. Auf dem Platz, den alleine die Trackliste einnimmt, hätte man das komplette Telefonverzeichnis von München-Giesing drucken können.
Gerade der Beginn weckt große Erwartungen. Noch bevor DeLonge für das eingangs bereits gefeierte "Dance with me" seine noch freie Hand ans Mikrofon legt, vollenden Blink-182 ihre "Anthem"-Trilogie. Folgerichtig mit einer Nummer, die sie "Anthem part 3" genannt haben. Hier schließen sich mehrere Kreise: Barker bearbeitet seine Snares im Hasenrammler-Tempo, wie nur er sie bearbeiten kann, ganz wie in alten Zeiten. Die Bratzgitarren braten so harmonisch auf einen weltumspannenden Refrain zu, als hätten diejenigen, die sie bedienen, nie Zoff gehabt. Und spätestens die letzten 30 Sekunden entschleunigen Blink-182 diesen Oldschool-Song in Richtung Selbstreflexion und Neubeginn: "The dreams I gave up and wasted / A new high, a new ride and I'm on fire / My old shit ends here tonight." Punksongs for Future. Und Ohren-Euphorie.
Ausgerechnet "Fell in love", die Liebeserklärung an The Cures "Close to me", gibt allerdings einen frühen Spielverderber. Die Beats hüpfen genauso durch die Achtel-Takte wie das Original, die Hände klatschen im Rhythmus, als hätten sie den großen Robert Smith persönlich vor sich. Indes: Mehr als ein netter Popsong voller Beziehungsende-Plattitüden gelingt Blink-182 mit dieser Fingerübung nicht. Auch das ist erwähnenswert. Denn Fehlschläge werden sich bis zum Ende von "One more time" noch wiederholen. "Edging", DeLonges Wiedereinstieg von letztem Jahr, bleibt trotz Selbstabrechnung mit seiner Bandvergangenheit musikalisch weiter ein harmloser Schunkler, "Fuck face" ist nicht viel mehr als ein Hardcore-Zwischenspiel mit Barker als Songwriter und Brüllwürfel, "Turn this off!" kann wenig mehr als eine mittelbissige Absage an Cancel Culture. Doch spätestens, wenn ein Pop-Punk-Wunder wie "Other side" wieder für gute Laune sorgt, ist das fast alles Zoff von vorgestern. Und wenn Ihr die zwischen all die Introspektiven eingestreuten Peniswitze 2023 noch immer so wenig mögt wie 2003: Uns doch Latte! Comeback also geglückt, trotz, pardon, Hängern. Und jetzt weitermachen, Tom DeLonge.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Anthem part 3
- Dance with me
- Other side
Tracklist
- Anthem part 3
- Dance with me
- Fell in love
- Terrified
- One more time
- More than you know
- Turn this off!
- When we were young
- Edging
- You don't know what you've got
- Blink waves
- Bad news
- Hurt (interlude)
- Turpentine
- Fuck face
- Other side
- Childhood
Im Forum kommentieren
Vivat Virtute
2023-11-14 23:10:24
Davon ab: Wie fällt dein Fazit aus, nachdem du die restlichen 14 Songs gehört hast?
Obrac
2023-11-14 23:05:14
Ok :)
Vivat Virtute
2023-11-14 22:53:02
Punkt für dich, da habe ich mich richtig schlecht ausgedrückt. Meinte vielmehr, die Lyrics sind hier bei weitem nicht das größte Problem. Macht aber natürlich das Thema nicht unangebracht.
Obrac
2023-11-14 22:32:03
Aha, warum genau soll es denn unangebracht sein, die Lyrics des Albums zu kritisieren? Ich erwarte von der Band keine poetischen Glanzleistungen, aber nerviger Chartsmüll wie "Ole, Ole, Ole, I wanna dance all night long" muss es auch nicht sein.
Vivat Virtute
2023-11-14 22:07:37
Die Lyric-Diskussion ist hier wirklich unangebracht.
Aber das Album bleibt trotzdem total zerfahren und irgendwie bemüht jugendlich. Und vor allem unfassbar beschissen produziert.
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