Die Türen - Kapitalismus Blues Band
Staatsakt / BertusVÖ: 06.10.2023
Menschen, Häuser, Explosionen
"Du hast Angst vorm Hermannplatz." So stand es vor Jahren auf den Stoffbeuteln von Berliner Hipster*innen. Der Herr mit dem pinkfarbenen Anorak aus der neuesten Musikvideo-Fortsetzungsgeschichte von Die Türen kann nicht gemeint gewesen sein: Der stapft die ungut beleumundete Neuköllner Örtlichkeit nämlich so übellaunig entlang, dass man ihn nicht dumm von der Seite anquatschen sollte. Aber "Alles nicht so schlimm", wie es einst auf "ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ" hieß: Beim vermeintlich bösen Mann handelt es sich um den renommierten Theaterregisseur Patrick Wengenroth, der 2017 zusammen mit Maurice Summen bereits das Fussical "Der Spielmacher" inszenierte. Und nun durch sein Mitwirken indirekt zum 20-jährigen Bestehen des bandeigenen Labels Staatsakt gratuliert. Oder zumindest zum neuen Album von Die Türen.
Glaubt man der Band, hat Ersteres jedoch nichts mit Letzterem zu tun und wird vielmehr mit Gala-Abend und prominent besetzter Ochsentour gefeiert. Betrachten wir Longplayer Nummer sechs also separat – und konstatieren, dass man im Grunde nur die ersten beiden Stücke dieses stilistisch planvoll aufgefächerten Brockens hören muss, um über die gröbsten gesellschaftspolitischen Entwicklungen im Bilde zu sein und sich dabei gut unterhalten zu fühlen. Musikstreaming-Debatte, NFT-Hype, Einführung des Bürgergeldes, Hass im Netz: alles drin im Opener "Gut für mich, schlecht für die Welt", der zu Sägezahn-Gitarren einen imposant plärrenden Krawall-Groove vor sich herkickt. "Grunewald is burning" rollt danach im Stile angestochener LCD Soundsystem die Explosionen auf dem Sprengplatz des Villenviertels auf – macht Spaß, macht Punk. Revolution demnächst.
Schon früh ist also klar, dass sich Die Türen auf "Kapitalismus Blues Band" weitaus knackiger geben als auf der eher missglückten Dröhnland-Sinfonie "Exoterik" – das Schönste an einem Joint ist schließlich, dass man nicht knapp zwei Stunden braucht, um ihn zu rauchen. Stattdessen feiert der pointierte Stampfer "Party Game" Rave-Rock kurz vor dem Verfallsdatum, fragt sich bang "Wo sind nur die ganzen Partypeople, die mich kannten?" und wiegt sich im coolen Wissen darum, dass ein Leben ohne Talking Heads' "Remain in light" möglich, aber sinnlos ist. Guter Punkt – genauso wie "Subtext", ein spitzer Dance-Singalong über die Infragestellung des Eigentlichen im Unausgesprochenen. Klingt bescheuert? Ist es auch. Kommt aber gerade recht nach dem pseudo-meditativen Mantra "Im Wohnzimmer meines Opas" – nicht gerade der gemütlichste Ort hier.
Und der Kapitalismus? Spielt trotz des protzigen Titels eine untergeordnete Rolle auf einem ziemlich aufgeräumten Album, das nur gelegentlich aus der Rolle fällt. Etwa in der perkussiv angezerrten Dub-Schlaufe "Lost in invest", zu der Summen nicht mehr als "Hätte, hätte, Blockchain-Kette" einfällt – da waren Die Goldenen Zitronen schon einmal weiter. Dafür bricht das schiebende "Die Angst des weißen Mannes" umso effektiver zum popkulturellen Geocaching per choral entstelltem "Hair"-Zitat auf und zündet "Alte Sorte" mit ausgesucht knorrigem Basslauf und "Euer Mangel an Traurigkeit deprimiert mich"-Gemaule das schärfste Post-Punk-Bömbchen auf "Kapitalismus Blues Band". Am Ende fast rührend: "Tiny House", ein Loblied auf die winzige Wohneinheit im klampfigen Indie-Folk-Stil – Blockhütte war gestern. Es sei denn, sie steht auf dem Hermannplatz.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Gut für mich, schlecht für die Welt
- Party Game
- Alte Sorte
Tracklist
- Gut für mich, schlecht für die Welt
- Grunewald is burning
- Zu viel los hier gerade
- Party Game
- Im Wohnzimmer meines Opas
- Subtext
- Lost in invest
- Die Angst des weißen Mannes
- Alte Sorte
- Tiny House
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Kontermutter
2023-10-18 20:58:34
Für die Zeitmanager und DIE ZEIT-Abonennten!
Mit ein paar Jahren Abstand habe ich echt Lust, mal wieder reinzuhören bei denen.
Z4
2023-10-18 20:55:56
Rentner und Studenten!
Armin
2023-10-18 20:39:51- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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