Juse Ju - Das Problem, dass immer irgendwas passiert
Juse JuVÖ: 13.10.2023
Belag wurst
Arbeit? Scheiße. Schlafmangel? Scheiße. Das Internet? Ja, eh. Und die Musikindustrie selbstverständlich genauso. Muss man jetzt auch nicht schönreden. Aber die Frage ist, welche Konsequenzen man daraus für sich zieht. Oder an dieser Stelle passender: Was ein deutscher Rapper Anfang 40 damit anfängt. Gleich im ersten Track seines neuen Albums "Das Problem, dass immer irgendwas passiert" erklärt Justus Hütter, er habe "aufgegeben wie Al Bundy". Aber das stimmt eigentlich gar nicht. In glatten zehn Tracks mimt er unter seinem Pseudonym Juse Ju jemanden, der richtig Bock auf Auf-die-Fresse hat.
Im bereits erwähnten Opener "Zuckerbrot und Peitsche" bekommen zu treibenden Drums und beschleunigenden Streichern zunächst whack MCs aufs Maul. In "Weird" erst mal Juse Ju selber. Deswegen folgt ein songgewordendes "#maennerlol" als Gegenangriff auf einstige und aktuelle Peiniger – inklusive dickem Gitarrenriff, damit sie es auch verstehen. "Das bleibt alles so wies hier ist" featured zu tröpfelndem Piano-Beat den "HALT STOPP!!!"-Andreas von Frauentausch in Titel und Hook. Dabei geht es um Wandelverweigerung im Show Business. Zu "Deutscher Humor" gibt es wenig zu sagen, außer dass jeder Track, der Chris Tall als unlustig herausstellt, äußerst ehrenwert ist.
"Nine to five ist der reinste Scheiß" singt ein Kind in der Hook des fast gleichnamigen Tracks und sorgt damit für einen Ohrwurm mit klickernder Percussion, schwäbischen Dialekteinlagen und Koljah-Sample: "Lohnarbeit ist ein Ausbeutungsverhältnis." Noch so einen Ohrenkriecher gibt's in "Ich lösche das Internet". Eine Frauenstimme – bist Du es, Siri? – erklärt: "Hey hi / ... / finde die Lösung mit AI." Und steht damit semantisch den aggressiven Lines des Rappers entgehen. Ein Highlight, auch wegen der ausgezeichneten Produktion. "Krieg im Schnee", das von Juse-Ju-Kumpel und Song-Poet Nikita Gorbunov gesanglich begleitet wird, schiebt sich ebenso angenehm in den Gehörgang.
Dagegen fällt "Die Eule", ein Motz-Track über die Folgen hartnäckiger Insomnie, deutlich ab. Chorus: "Ich bin ne Eule / Ne motherfucking Eule" ... und dann so ein imitiertes Greifvogelgeräusch – joa. Seltsam, dass der titelgebende Vogel sogar das Motiv des LP-Sleeves ziert, ist der Song doch das einzige echte Lowlight der Platte. Zumindest textlich wirkt "Musik is over" auch nicht so ultimativ gangsicher, zumal wir uns insbesondere in diesem Medium entschieden gegen die Darstellung, mit der Musik sei's bald vorbei, wehren müssen – allem ";-)" zum Trotz. Abschließend wagt Juse Ju mit "Ach wird das schön" noch einen sarkastischen Ausblick und sieht nur Bitterkeit. Tragisch, aber kann man ja mitfühlen.
"Kämpfen, immer kämpfen" – so lautet das Lebensmotto, das dem chronisch körpersteifen Rezensenten unlängst von einer witzelnden Thai-Masseurin angeheftet wurde. Also ist hier durchaus Wellenlänge mit diesem Album vorhanden. Jetzt ist es aber so, dass Juse Jus Output sich bisher doch recht anders gestaltete. Schwelgerische Anekdoten aus Japan oder herzberührende Nachrufe auf coole Onkels sucht man auf der neuesten Veröffentlichung des Kirchheimers vergeblich. Und auch, wenn der Rapper hier und da seine Krawalllust schon mal durchblicken ließ, dann doch nie so konzentriert wie hier. Das könnte natürlich dazu verleiten, direkt ins Gegenmeckern einzusteigen. Aber Juse Ju soll ja keine Pizza liefern, die dann bitte schön auch so belegt ist, wie bestellt, sondern Songs kreieren, die er sich selbst ausdenkt. Und das ist auch völlig okay so, denn – um in der Analogie zu bleiben – Pizza geht eh immer: Belag wurst. Oder eben was ganz anderes.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Nine to five
- Krieg im Schnee (feat. Nikita Gorbunov)
- Ich lösche das Internet
Tracklist
- Zuckerbrot und Peitsche
- Weird
- Das bleibt alles so wies hier ist
- Deutscher Humor
- Nine to five
- Krieg im Schnee (feat. Nikita Gorbunov)
- Ich lösche das Internet
- Die Eule
- Musik is over
- Ach wird das schön
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Armin
2023-10-11 22:05:06- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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