Joy Denalane - Willpower
Four / SonyVÖ: 06.10.2023
Richtiges im Falschen
Jeder Verlust ist auch ein Gewinn, Grimm-Zitat und Binsenweisheit. In schwierigen Momenten sicherlich ein schwacher Trost, als Leitgedanke für ein Album aber mindestens interessant. Das sechste Studioalbum von Joy Denalane klingt zu keinem Zeitpunkt wie ein Postkartenspruch, sondern lässt eine knisternde Happysad-Stimmung mit viel Liebe zum melodischen Detail aufleben. Während der Produktionsarbeit verstarb der Vater von Joy Denalane, darum ist es seinem Andenken gewidmet. "Willpower" erscheint wie eine angenommene Herausforderung, lyrisch wie musikalisch geht der Blick — trotz spürbarer Trauer — selbstbewusst nach vorn. Denalane ist nach mehr als zwei Jahrzehnten im deutschen Soul/R'n'B eine Erhabenheit anzuhören, die selten so bestimmt klang, es passt einfach so vieles wie von selbst. Übrigens, dies ist erst ihr drittes Album auf Englisch, nach "Born & raised" (2006) und "Let yourself be loved" (2020). Letzteres wurde über das legendäre Motown-Label veröffentlicht, womit sie als erster deutscher Act überhaupt nun in einer Reihe mit Namen wie Stevie Wonder oder Diana Ross steht. Und diese Ehre gebührt Joy Denalane fraglos, auch diese Platte — zurück "daheim" bei Four Music — zeigt, warum.
Das angesprochene Prinzip, durch Willenskraft seelischen Schmerz zu überwinden, drücken der gleichnamige Titelsong des Albums oder Tracks wie "Revolution" sehr schön aus. Denalanes einzigartige Stimme kommt hier durch langsame Drums, etwas Klavier und Bass exzellent zur Geltung, während fesselnde Lyrics und das gekonnte Zusammenspiel mit dem Hintergrundchor einen starken Mutmach-Song vollenden. Bei dem insgesamt größten Highlight, "Fly by", geht es darum, dem Glück zu vertrauen, selbst wenn man allzu oft einen Schritt vor und zwei zurück macht. Stimmungsmäßig bleibt es dabei heiter bis sonnig, während die prägnante Hook beflügelnd wirkt und Gesang wie Instrumentals uns das überzeugende Gefühl geben, dass am Ende doch alles gut wird. "Hideaway", eine der beiden vorab veröffentlichten Singles, klingt sogar noch sonniger, ist ja schließlich ein Liebeslied für Ehemann Max Herre. Dieser war, neben Roberto di Gioia, an der Produktion beteiligt, welche durch gelungene Funk-/Soul-Beats und verspielte, aber zart platzierte Loop-Effekte glänzt.
In der Tracklist findet sich aber auch ein klassisches Feature, und dieses hat es in sich. So gibt es von der Lead-Single "Happy" eine Solo-Version, gleichzeitig der Closer, sowie eine mit Ghostface Killah (!) als Gast-Rapper. Schon die ersten Drum-Schläge lösen Gänsehaut aus, der Song ist Denalanes verstorbenem Vater gewidmet, ihr inbrünstiges "I'm happy for the loss, the loss, the loss" ist Kern des Textes und die Verlustverarbeitung dabei spürbar. Im Musikvideo, das in Soweto bei Johannesburg gedreht wurde, zeigt sie sich an der Seite von Familienmitgliedern vor Ort. Im Song zu "Soweto" begegnen uns einige Elemente erneut, wie die Sonne als Symbol des neuen Tages, allerdings kommen ebenso düstere Momente auf. Auf der gesamten Platte ist Joy Denalane nie wirklich ausgelassen traurig, doch die instrumentale Beklommenheit und Zeilen wie "I get no sleep / Start to weep" sprechen für sich. Hingebungsvolle Songs wie "All of me", mit wärmeren Samples und Texten voller Liebe, bieten dazu ein sehr angenehmes Gegenwicht. Gerne hätten es auch ein paar Tracks mehr sein können, gerade wenn einer quasi doppelt vorkommt, die konstant hohe Qualität macht das aber allemal wett. Joy Denalane ist hier eine wundervolle Platte im Zeichen der Trauerverarbeitung gelungen, ohne jede Schwermut, dafür voller Hoffnung und Akzeptanz.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Fly by
- Happy (feat. Ghostface Killah)
- Hideaway
- Revolution
Tracklist
- Can't we smile
- Fly by
- Happy (feat. Ghostface Killah)
- Hideaway
- Revolution
- Far cry
- Good times better
- All of me
- By heart
- Willpower
- Soweto
- Happy
Im Forum kommentieren
Armin
2023-10-04 20:07:43- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Joy Denalane - Willpower (1 Beiträge / Letzter am 04.10.2023 - 20:07 Uhr)
- Joy Denalane - Let Yourself Be Loved (1 Beiträge / Letzter am 12.01.2022 - 00:38 Uhr)
- Joy Denalane - Gleisdreieck (3 Beiträge / Letzter am 09.03.2017 - 10:01 Uhr)
- Joy Denalane (12 Beiträge / Letzter am 10.08.2006 - 16:49 Uhr)