Animal Collective - Isn't it now?
Domino / GoodToGoVÖ: 29.09.2023
Renaissance jetzt
Wer in den Nullerjahren auch nur einen Funken Interesse für die amerikanische Indie-Szene übrig hatte, kam an der Einflusssphäre von Animal Collective kaum vorbei. Keine Band klang so richtig ähnlich und doch waren viele Elemente des verspulten Folks, den die Jungs aus Baltimore mit allerhand abseitigen Sprengseln aus Sixties-Psychedelik, Ambient und Noise anreicherte, plötzlich in abgemilderter Form überall anzutreffen: von Grizzly Bear und Dirty Projectors bis hin zu MGMT, Fleet Foxes und Deerhunter. Überschwängliche Lust am Experiment verlieh dem Quartett, das den Kollektivgedanken nie nur im Namen trug, den Stempel "Lieblinge der Kritik", zugleich dockte sein Gespür für ungreifbare Stimmungen auch emotional an. Bald wandte sich der Zeitgeist einer cleaneren Ästhetik zu, in der das wimmelnde Chaos der Band an einer Coolness abprallte, deren Sonnenbrillen direkt aus den Achtzigern importiert waren. Animal Collective büßten an Relevanz ein, ihren Veröffentlichungen wurden eine ziellose Exzentrik und exzessive Nabelschau vorgeworfen. Diese Zeiten sollten nun vorbei sein. Schon "Time skiffs" zeigte mit neu gewonnenem Fokus nach oben, mit "Isn't it now?" legen Avey Tare, Panda Bear, Geologist und Deakin endgültig ihr bestes Album seit "Merriweather post pavilion" vor.
Dass es mit über einer Stunde Spielzeit dabei auch das bislang längste geworden ist, hängt maßgeblich mit einem 22-minütigen (!) Koloss in seiner Mitte zusammen, der – wie könnte es im "AnCo"-Kosmos anders sein? – auch gleich zur ersten Single befördert wurde. "Defeat" ist ein so gewaltiges wie introvertiertes Epos in zwei Teilen, eine Meditation über das Aufwachsen und Älterwerden in einer bröckelnden Zivilisation, die zwischen Melancholie und Lebenslust schwankt. "Our games were all grace, we were coming of age / And we were the good news / Now I'm all out but how about you?", zweifelt Avey Tare in der ersten Hälfte, dann dröhnt Geologists Drehleier und Panda Bears einmal mehr herrlich synkopiertes Schlagzeug schiebt das Tempo an – "What have we become?", eine Zäsur in der Mitte, ein angedeuteter Ausbruch. Zittrige Streicher begleiten die Hook des zweiten Teils, der zurück in die evokative Zeitlupe verfällt. Die Schlussklimax wartet mit einem Wechselgesang auf, in dem Panda Bear, ganz der alte Optimist, salopp den Lebensmüden unter die Arme greift: "Isn't it now? / Defeat! / Oh no, not now." "Defeat" kommt so ambitioniert wie einfühlsam daher und demonstriert nachdrücklich: Animal Collective waren nie einfach postmoderne Klangspieler, sondern immer an den tieferliegenden Einsichten interessiert.
Schon der Einstieg in "Isn't it now?" zeichnet Stimmungsbilder mit langen Songs und feinem Pinsel: "Soul capturer" lässt Gitarrenschmetterlinge durch eine Sommerwiese flirren und weiß zugleich leicht verstimmt um das Kitzeln in der Nase. "Genie's open" schippert mit einprägsamen Basslinien und wabernden Soundscapes, in die sich immer wieder kontemplative Harmonien eintragen, durch einen Ozean. Nach fünf Minuten lichtet sich der Nebel, man blick zurück auf eine "Magical mystery tour" anderer Art. Und das famose "Magicians from Baltimore" bewegt sich durch elektronische Sphären, die das Schlagzeug scharf zerschneidet, gerät in gleichen Teilen zur Ode an die geplagte Heimatstadt und Selbstmystifizierung. Der majestätische Refrain bleibt im Ohr und zeugt ähnlich wie das Indie-Pop-Schmuckstück "Broke zodiac" vom Talent für träumerisch schöne, gegen den Strich gebürstete Melodien, die Animal Collective inzwischen lässig verteidigen, ohne sie dekonstruieren zu müssen. "Gem & I" präsentiert dann auch noch einen aus dem Ärmel geschüttelten, zugleich rhythmisch komplexen Hit, der zwischen Polyphonie und Catchiness balanciert.
Gewissen Schrullen wollen Animal Collective weiterhin nicht abschwören: So wirken die Abschlussongs wie ein Postskriptum des Albums – einerseits im Gewand der Dub-Variante eines The-Beach-Boys-Songs ("All the clubs are broken"), andererseits als Fast-Acapella-Nummer, die von Lasersounds und Mittelalter kommentiert wird (das aus Konzerten bereits bekannte "King's walk"). Doch die von Deakins Klavierspiel und Gesang geprägte Ballade "Stride rite" hallt da noch nach, mit teils beinahe souligen Phrasierungen und berückenden Harmonien. Apropos: Virtuos produziert hat "Isnt it now?" Russell Elevado, der bislang D'Angelo, The Roots und Kamasi Washington auf seiner Visitenkarte stehen hat. Er schenkt dem Album eine Fülle und Tiefe, die stets auch Details zu fokussieren erlaubt. Und davon gibt es zahlreiche: Drehleiern, Flöten und Kompositionstechniken der Renaissance binden das Repertoire der Band immer wieder zurück an andere Zeiten, andere Räume. Deakin rahmt diese musikalische Weite zur universellen Weisheit: "Look to teachings you'll find everywhere / From your lover's eyes to the loss that makes you cry."
Highlights & Tracklist
Highlights
- Broke zodiac
- Magicians from Baltimore
- Defeat
- Stride rite
Tracklist
- Soul capturer
- Genie's open
- Broke zodiac
- Magicians from Baltimore
- Defeat
- Gem & I
- Stride rite
- All the clubs are broken
- King's walk
Im Forum kommentieren
SoundMax
2023-10-25 16:41:58
Jup
Lateralis84skleinerBruder
2023-10-25 14:03:11
Tolles Album
Armin
2023-10-04 20:07:13- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
MrMan
2023-09-29 13:18:47
Die ersten Durchgänge gefallen mir bisher sehr! Den Closer sehe ich eher als Opener, aber sonst bin ich ziemlich happy und da gab's jetzt keine Enttäuschung auf die Vorfreude. :)
MrMan
2023-09-25 21:55:42
Prioritäten müssen gesetzt werden. Kann ich verstehen.
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