Captain Planet - Come on, Cat

Zeitstrafe / Indigo
VÖ: 08.09.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Lebensschleifen

Anfang und Ende sind zwei Pole, die einem beim Älterwerden immer wieder begegnen. Zumindest gefühlt. So richtig Anfang und Ende gibt es wohl bloß je einmal im Leben: bei der Geburt und wenn man stirbt. "Ein Ende" hieß es 2016 auch bei den Hamburger Herzenspunks Captain Planet. Mit Blick auf die Reihenhaus-Siedlung des Albumcovers wurde es Freund*innen der Band ordentlich bange: Haben die Herren nun kapituliert? Könnte endgültig Schluss sein mit den so herzlich polternden Emopunk-Songs der Nordlichter? Die letzten Konzerte des Fünfers gab es Anfang 2020. Seitdem komplette Stille. Doch Captain Planet vergisst man trotzdem nicht. Zu intensiv begleiten einen die drängenden Songs durch die eigene Gedankenwelt, fangen Momente ein, spiegeln Stimmungen, greifen Fetzen des Empfindens und pinnen sie an die Wand. Entsprechend groß die Hoffnung, dass da noch mal was kommt.

"Come on, Cat" heißt LP Nummer fünf. Wie bitte? Ja, ein wenig nerdig, stammt das Zitat doch aus "Alien". Doch natürlich steckt Metaphorik hinter dem Gesamtpaket aus Texten, Musik und Artwork. So ein wenig vielleicht die Leitfrage: Ist das heute wirklich die Zukunft, wie wir sie uns einst ausgemalt haben? "Das hier ist ein Anfang", kommentierte die Band "Neujahr", den ersten Song seit über sieben Jahren, mit einer augenzwinkernden Referenz zum Vorgänger. Nicht nur fein eingefädelt, sondern schon wieder eine verdammte Hymne, die sogar ein wenig Hoffnung stiftet. "Ab heute alles besser!", brüllt Sänger Jan Arne von Twistern entschlossen in die Nacht. Galgenhumor oder Zynismus? In Zeiten von Missgunst und wachsenden Gräben in der Gesellschaft könnten diejenigen Menschen, die auf andere achten und den Mut nicht verlieren, noch wichtig werden. "Am Wald" ist ebenfalls packend geraten und mit typisch kryptischen Lyrics versehen. Wer sich raus traut, merkt: Es ist düster an der Lichtung, bevor das Dickicht der Natur den Alltag verschlingen darf.

Menschliche Existenz? Gefühlt immer wieder wie die Achterbahnfahrt, an deren vermeintlichem Ende der Bügel zum Ausstieg klemmt. Auch in der Partnerschaft. Gut oder schlecht? Irgendwo dazwischen. Irgendwie vertraut und doch aussichtslos, wie "Nur Verlierer" die Ohnmacht umschreibt. "Der Druck auf deinen Zähnen / Der Tag tief in den Seilen / Oft fehlen Dir die Worte / Oft kommen sie zu spät." Highlights aus "Come on, Cat" herauszufiltern, fällt brutal schwer. Denn die guten Zeilen, die drückenden Gitarren von Benjamin Sturm, die nächste Hook, die in der Ohrmuschel haften bleibt – all das lauert überall. Das Finale von "A kaputt" zum Beispiel: "Genau hier hast Du mich angesprochen / Ich nehme jetzt einen anderen Weg / Ich fahr' jetzt mit dem Bus / Ich halt' die Luft an." Manchmal muss das. Oder das energische "Tuffi" als Kondolenz für einen verstorbenen alten Weggefährten. Erinnerungen helfen, doch ist "das Nest aus dem wir kommen / Kein Ort, an den wir glauben."

Die großartige Midtempo-Hymne "Halley" nimmt die Sehnsucht nach Übersinnlichem und ebenso die Hoffnung mit ins Boot, dass all das einen Sinn haben muss, auch für diejenigen, "die sich auch nicht mehr ertragen". Nein, hier gibt's kein plumpes Wir. Aber alleine bist Du mit Deinen Problemen auch nicht. Die Dramatik des Closers "Halb so schwer" kommt nicht von ungefähr, denn selten waren die Hamburger näher am Post-Punk. "Stehst auf und alles dreht sich / Stopfst ein Handtuch unter die Tür / Immer Rauch in der Luft / Ständig Staub auf Deiner Zunge / Du schaust nie zurück / Denn da ist nichts / Alles unbemerkt verlorengegangen." So richtig Anfang und Ende gibt's nur je einmal? Was bleibt dazwischen? Über Monotonie und Bequemlichkeit, die getüncht in Pastelltönen nur vorgaukeln, etwas Neues zu sein, über all das Schöne und Doofe, das immer wiederkehrt und trotzdem nicht greifbar ist, darüber haben Captain Planet einmal begonnen Songs zu schreiben – und zum Glück noch nicht damit aufgehört.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Neujahr
  • Halley
  • A kaputt
  • Halb so schwer

Tracklist

  1. Neujahr
  2. Am Wald
  3. Drinnen/Draußen
  4. Halley
  5. Tag der offenen Herzen
  6. Tuffi
  7. Alte Gräber
  8. A kaputt
  9. Kadaver
  10. Nur Verlierer
  11. Halb so schwer
Gesamtspielzeit: 35:15 min

Im Forum kommentieren

eric

2023-10-27 08:08:04

Das dachte ich schon, als ich "Neujahr" und dann "Halley" erstmals bei Spotify hörte und von der Promo kannte. Klingt extrem komisch, ja, und deutlich "dünner" als auf Vinyl. Zum Glück liegt der Platte auch ein DL-Code bei. :)

"Halb so schwer" ist mittlerweile in meinen Ohren im CP-Olymp angekommen.

MartinS

2023-10-27 00:07:26

Mal ganz abgesehen von eurer qualitativen Einschätzung (die ich nicht teile, ich mag das Album sehr): Zumindest in meinen Ohren klingt das Album auf Vinyl um Klassen besser als über Spotify. Digital fehlt da irgendwie viel Dynamik und Punch, kreischen die Höhen um die Wette, wohingegen die Platte wirklich gut klingt.

Geht das noch irgendwem so?

Hoschi

2023-09-17 09:53:06

Bei mir wächst das leider auch nichts.
Bin jetzt 4x durch und werde es wohl auch nicht mehr ausgraben. Da war selbst der Vorgänger noch besser.

Autotomate

2023-09-17 01:00:03

...und ich denke, die Platte wird – wie von Captain Planet bekannt – noch mächtig wachsen.

Nee, wohl doch nicht, über 6/10 komme ich damit nicht raus. Irgendwie viele glattgebügelte Versionen alter, viel lieber aufgelegter Geniestreiche

Autotomate

2023-09-09 12:11:04

Ist für mich ein Novum, dass ein CP-Album mit einem Lowlight startet, aber "Neujahr" mag ich nicht. Dieses irgendwie banal wiederholt dahergeträllerte "Stellst deine Uhr ein bisschen vor..." nervt mich irgendwie. Zum Glück sind alle folgenden Songs besser und ich denke, die Platte wird – wie von Captain Planet bekannt – noch mächtig wachsen.

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