Jeff Rosenstock - Hellmode

Polyvinyl / Specialist Subject
VÖ: 01.09.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Triumphal am Abgrund

Jeff Rosenstock hätte vermutlich ein gewaltiges Problem damit, als Auteur des Punk bezeichnet zu werden. Viel zu sehr verwurzelt ist er seit jeher in der DIY-Szene, viel zu sehr angetrieben vom Idealismus einer alternativen Musikkultur, um sich solch bourgeoisen Begriffen der Anerkennung unterordnen zu wollen. Man denke nur an den Namen seiner vielleicht bekanntesten Band vor der Solokarriere: Bomb the Music Industry! Und doch hat der inzwischen 40-Jährige sich mit diversen Alben und Projekten in den vergangenen Dekaden derart profiliert, dass eine eigene Handschrift und Einflusssphäre klar erkennbar sind. Labelgründer, Multiinstrumentalist, Songwriter – Rosenstock hält die Fäden in der Hand, jedoch stets im Sinne der Unterwanderung traditioneller Autoritäten. Die Gescheiterten und Versehrten stehen auch auf seinem fünften Album "Hellmode" Pate, tauchen gleich in der ersten Frage auf: "Will you still love me after I fucked up?" Scheitern gilt bei Rosenstock eher als Kunstfertigkeit, als ehrlicher Ausweg aus einer korrupten Gesellschaft.

Was die kommenden vier Minuten des Openers "Will U still U" abreißen, gerät hingegen zum Parforceritt: Beinahe surf-rockige Akkordfolgen läuten das Album ein, rasch abgelöst von Akustik-Punk mit angezerrten Vocals, der wiederum in einem treibenden Riff mit Stakkato-Drums explodiert. Als sich der Staub legt, schunkelt melodieseliger Indie, zu dem sich Pete Doherty und Carl Barat erneut in den Armen liegen könnten, dem hymnischen Finale entgegen: "Will you still love me once I've given up?" In der Selbstaufgabe schlummert der Triumph. Eine beachtliche Bandbreite decken auch die drei Singles ab. "Like U better" gibt sich als songförmige Euphorieinfusion, in der das Schlagzeug zu der Zeile "My heart is racing fast and beating out of time" mimetisch synkopiert. Bierseliger Refrain, Gitarrensolo zum Fäuste-In-Die-Luft-Recken und "Oi! Oi! Oi!“-Rufe dürfen freilich nicht fehlen. "Doubt" hingegen emuliert mit etwas mehr Hintersinn Midwest-Emo, spinnt cleane Gitarrenfäden und Identitätskrisenlyrics, die das Ich nicht überhöhen, sondern überwinden wollen: "The redundancy of your POV / Infinite serotonin starving fever dream." Auch hier erweist sich Rosenstock als Meister fulminanter, wuchtiger Outros.

Der Fast-Titeltrack "Healmode" schließlich präsentiert sich als akustische Ballade voller kluger Beobachtungen, die den Alltag subtil ins allgegenwärtige (Klima-)Krisenbewusstsein spiegeln: "The street outside is flashing / Underneath infrequent bursts of glaring headlights / Moving like a glacier / Or careening like a drunkard towards the trees." Angesichts der gewohnt sozialkritischen Slogans und Schärfe seiner Texte verblüfft es da fast etwas, wenn der Song in der zweiten Hälfte zum lieblichen Duett mit Langzeitkollaborateurin Laura Stevenson mutiert und sich in intimer Zweisamkeit einrichtet. Neben knackigen Ausflügen in den Hardcore zu Elektrobeat ("Head") versammelt Rosenstock einmal mehr melodieselig verschnörkelten, nach vorne preschenden Pop-Punk ("I wanna be wrong") und das Tempo drosselnden Power-Pop, der angenehm an alte Weezer erinnert ("Soft living", "Life admin"). Dabei fällt mit der Zeit ein Muster ins Auge: Akustisch geprägte Strophen, von einer gewissen Spannung geprägt, entladen sich in Refrains, die den Verzerrer ordentlich aufreißen. Bei aller Kurzweiligkeit des Albums eine Grundstruktur, die vielleicht etwas häufiger variiert werden könnte.

Zum Ende brilliert Rosenstock aber noch einmal mit zwei der besten Songs des Albums. "Graveyard song" verweilt etwas länger im akustischen Modus, während ein vertracktes Schlagzeug den beinahe schwermütigen Gesang vor sich her treibt. Und der siebenminütige Closer "3 Summers" entwickelt eine echte Sogwirkung, wenn er die vergangenen Jahre einer globalen Perspektive unterzieht und dazu grungige Vocals und melodische Basslinien einsetzt. Niemanden möchte Rosenstock zurücklassen, das implizieren seine Texte immer wieder, gekoppelt an den Appell, die Grenzen der eigenen Perspektive wahrzunehmen. "So what if you realize that we ran out of time / And the world doesn’t owe you / A thing?", fragt er in "Future is dumb". Es klingt aus seinem Mund fast wie ein Hoffnungsschimmer.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Will U still U
  • Doubt
  • Graveyard love
  • 3 Summers

Tracklist

  1. Will U still U
  2. Head
  3. Liked U better
  4. Doubt
  5. Future is dumb
  6. Soft living
  7. Healmode
  8. Life admin
  9. I wanna be wrong
  10. Graveyard song
  11. 3 summers
Gesamtspielzeit: 40:58 min

Im Forum kommentieren

Urbsi

2024-06-03 23:36:43

Danke! :)

maxlivno

2024-06-03 23:34:15

ja definitiv! Komm gut heim :)

Urbsi

2024-06-03 23:30:56

Ich gondel jetzt bis Wannsee und dann schauen wir mal.

Aber Jeff war es wert. Immer wieder. Das ist eine irre gute Band!

maxlivno

2024-06-03 23:28:12

musste eigentlich nur bis jannowitzbrücke (und dann umsteigen) aber hatte das selbe (unangekündigte) bahn-problem. die ringbahn hat dann auch noch probleme gemacht ^^

Urbsi

2024-06-03 23:25:22

Ich war auch da. Beim letzten Mal im Cassiopeia vielleicht 60% von den heute 100% da. Ich hätte mir nur ne S7 gewünscht, die nach Potsdam fährt. Ohne Ersatzverkehr oder so eine Scheiße. Ist das so schwer, Montag Abend, mal alle gediegen nach Hause zu bringen?! Jeff natürlich eine Institution. Irre!

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