Skating Polly - Chaos county line

El Camino
VÖ: 23.06.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Infinite madness

Das Sprichwort, jemandem sei etwas in die Wiege gelegt worden, ist hin und wieder durchaus wörtlich zu nehmen: Die Stiefschwestern Kelli Mayo und Peyton Bighorse aus Oklahoma haben ihre Band Skating Polly im Alter von neun respektive vierzehn Jahren aus der Taufe gehoben. Genau so klingen die allerersten Alben auch, bei denen beide noch fröhlich die Instrumente durchgewechselt haben: nach Topfschlagen und Katzenmusik, allerdings bereits mit einem ob des Alters der Musikerinnen beinahe gruseligen Gespür für (Pop-)Harmonien und Hits. Auch in Amerika nennt man solche Kids "Wunderkind".

Heutzutage steht die längst den Kinderschuhen entwachsene Band für meist schrägen, knallbunten und dabei extremst modebewussten 90s-Revival-Rumpelrock. Durch die Decke gegangen ist das durch Addition von Bruder Kurtis Mayo zum Trio angewachsene Patchwork-Projekt trotz prominenter Fans wie Nina Gordon von Veruca Salt nie, was es aber nicht aufhält, das nächste Großprojekt in Angriff zu nehmen: das Doppelalbum. Wie soll man schließlich auch richtig 90s sein, ohne sein eigenes "Mellon collie and the infinite sadness" aufgenommen zu haben? "Chaos county line", das sechste Werk der Band, löst dieses große Rock'n'Roll-Versprechen ein.

Argumentiert wird ja nun immer gern, dass sich praktisch jedes Doppelalbum der Musikgeschichte auf mindestens die Hälfte eindampfen ließe und dabei nichts an Wirkungskraft verlöre. Für Skating Polly aber bedeutet die astronomische Spielzeit vor allem, dass sie allerhand Quatsch ausprobieren können und auf einer riesigen Spielwiese ihrem kompakten Bubble-Grunge so interessante Facetten abgewinnen, die sonst nicht unbedingt zu Tage treten würden. Schon im Opener "Baby on my birthday" dreht Vokalistin Mayo jegliche Konzepte von Schönklang und Eleganz ignorierend komplett durch und spuckt, rülpst und quiekt, bis die Nachbar*innen die Polizei rufen. In "Booster seat" gibt es zunächst Abzählreime vor Harmoniegesang, bevor auch hinterher jede Menge Merkwürdiges passiert, aber einfach kein konventioneller Rocksong zustande kommen will. So viel Platz, so wenig Regeln!

Generell ist die Bandbreite der Band enorm: Da wird nirvanaesken Grunge-Kloppern wie "Hickey king" und scharf gerifften Singalongs wie, ähm, "Singalong" gern mal zuckriger Piano-Pop entgegengestellt (weshalb Skating Polly zwischenzeitlich von Kate Nash als Tour-Support adoptiert wurden). "Tiger at the drugstore" schmückt jenen mit euphorischen Bläsern aus, beide Schwestern teilen sich den Gesang, fertig ist das Highlight. In eine ähnliche Kerbe schlägt "Someone like a friend": "I wont't write a song about someone, unless I'm actively obsessed", stellt Mayo klar, kommt am Ende aber dennoch zu ihrem Happy End. Das will etwas heißen, denn textlich steht vor allem das altehrwürdige Riot Grrrl Patin, und zwar aus adoleszentem Blickwinkel: "Usually there's no boys allowed", heißt es in "Masquerade", "Girls night" erzählt von ersten lesbischen Erfahrungen beim Flaschendrehen. Für ihren Drummer Kurtis machen die beiden Schwestern eine Ausnahme. Dieser revanchiert sich zum Schluss mit stimmlicher Unterstützung im großartigen Hippie-Lagerfeuer-Schunkler "Party house".

"Ugly pop" nennen Skating Polly ihr Genre, und es passt wie die Faust auf die grell geschminkten Augen. Zwar brechen die drei Stiefgeschwister selten aus ihrem eng zwischen Punk, Krach und bonbonbunten Spaß abgesteckten Soundgewand aus, nutzen dieses aber bis zum Maximum. Die dicke Stunde Krawall glänzt aber vor allem durch Unberechenbarkeit und ihren entsprechenden Überraschungseffekt. Ist das nicht auch eines der zahlreichen Trademarks des eingangs erwähnten Meilensteins? All der Fleiß zahlt sich jedenfalls aus: Kate Nash hat das Musikvideo zu "Tiger at the drugstore" inszeniert, produziert wurde "Chaos county line" zudem von Brad Wood, der mit Liz Phairs "Exile in guyville" damals eines der ersten wegweisenden Statements zementierte in dem, was dann Riot Grrrl gelabelt wurde. "Boom! Crack! Kapow! Don't cha love the sounds of disaster?", dichtet Mayo begeistert im wüsten "Send a priest". Dem absoluten Geheimtipp-Status von Skating Polly kann nun selbst ein Exorzismus nicht mehr im Wege stehen.

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Baby on my birthday
  • Tiger at the drugstore
  • Someone like a friend
  • Party house

Tracklist

  1. Baby on my birthday
  2. Masquerade
  3. Hickey king
  4. Girls night
  5. All the choices
  6. Booster seat
  7. Hush now
  8. Rabbit food
  9. Tiger at the drugstore
  10. Singalong
  11. Someone like a friend
  12. Double decker
  13. Charlie's brother
  14. Send a priest
  15. I'm sorry for always apologizing
  16. Not going back again
  17. Man out there (feat. David Yow)
  18. Party house
Gesamtspielzeit: 67:00 min

Im Forum kommentieren

Ralph mit F

2023-09-27 23:00:24

Deutschlandshows 2024, ihr Lieben! Oh yes!

04.02. Köln, MTC
06.02. Karlsruhe, Kohi
07.02. München, Milla
09.02. Berlin, Reset Club
11.02. Hamburg, Stellwerk
13.02. Oberhausen, Druckluft
14.02. Stuttgart, Cafe Galao
15.02. Dresden, Scheune

perl clutcher

2023-07-16 22:48:23

Best album ever. Höre nichts anderes seit drei drei Wochen.

Armin

2023-07-13 17:00:40- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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