Dota - In der fernsten der Fernen – Mascha Kaléko 2

Kleingeldprinzessin / Broken Silence
VÖ: 30.06.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Trotzig optimistisch

Acht Lyrikbände hat Mascha Kaléko zeitlebens veröffentlicht, in einer Spanne von ziemlich genau vier Dekaden. "Das lyrische Stenogrammheft" erschien 1933 – fünf Jahre, bevor Kaléko auf der Flucht vor den Nazis in die Vereinigten Staaten emigrierte. 1973, also zwei Jahre vor ihrem Tod, brachte die Dichterin die Sammlung "Hat alles seine zwei Schattenseiten" heraus. Rein quantitativ ist die Sache also klar: Genug Material für eine Fortsetzung von "Kaléko" ist allemal vorhanden. Vor allem sind Kalékos Gedichte dank ihrem feinsinnigen Humor und der zarten Melancholie aber auch heute noch überaus lesenswert. Beziehungsweise hörenswert. Für "In der fernsten der Fernen – Mascha Kaléko 2" hat Dota Kehr erneut zahlreiche Gäste hinzugebeten, herausgekommen ist gleich ein Doppelalbum mit 23 Songs und einer Spielzeit von knapp über einer Stunde. Auch das: objektiv besehen jede Menge Material. Es lohnt sich. Das liegt auch, aber nicht ausschließlich an der bereits erwähnten Gästeschar. Lyrik-Vertonungen haftet nicht selten etwas Ungelenkes und Bemühtes an. Gute Gedichte sind eben nicht automatisch auch gute Songtexte (und umgekehrt), und es genügt nicht, den Buchstaben einfach ein paar Töne unterzurühren. Der ausgestellte Gestus bürgerlicher Hochkultur tut sein Übriges. Auf "In der fernsten der Fernen" trifft all das zum Glück nicht zu.

Kehr schafft es ein ums andere Mal, Kalékos Vorlagen in stimmige, unaufgeregte Popsongs zu verwandeln. Popsongs, in denen die Musik weit mehr ist als bloße Untermalung, den Texten aber meist in bescheidener Zurückhaltung ihren Raum zur Entfaltung lässt. Motive, die sich dabei durchs Album ziehen und hier und da auftauchen, sind das Abschiednehmen und die Einsamkeit, sind die Vergänglichkeit von Glück und die Trauer darüber, dass was war, nicht mehr ist. Nicht immer führt das in so fatalistische Abgründe wie im abschließenden "Sonett in Moll", wo die lichten Momente der Vergangenheit nur noch vor dem inneren Auge aufscheinen, während rundherum alles in Finsternis versinkt: "Im Traume nur siehst du es glühen und funkeln / Ich spür' es wohl, wie unsre Tage dunkeln." Oder im Duett mit Dirk von Lowtzow bei "In dieser Zeit", wo es heißt: "Wir wurden alt, bevor wir jung gewesen / Und unser Leben ist еin Noch-nicht-Sterben." Dazu schwankt der Rhythmus am Abgrund entlang und eine schrille Gitarre zersägt den wolkigen Wohlklang. Doch schon in "Großstadtliebe", einem Gedicht aus den frühen 30er-Jahren, das Kehr zusammen mit Funny van Dannen als luftige Folkpop-Nummer mit säuselndem Refrain intoniert, ist die gegenseitige Zuneigung flüchtig und eher oberflächlicher Natur.

Ein weiterer Höhepunkt: "Die frühen Jahre" mit der Schweizer Gruppe Black Sea Dahu treibt zunächst orientierungslos im Ozean der Zeit, bevor aus der Verlorenheit dann schließlich doch noch eine ideelle Heimat auftaucht – die Liebe. "Auf nichts war Verlass / Nur auf Wunder", heißt es beinahe beiläufig, während rundherum die Bläser schwelgen. Auch hier schimmern hintern den Metaphern die Erfahrungen der Exilantin durch, wird ein persönliches Schicksal greifbar, das zugleich das Schicksal einer Epoche war. Ohnehin verweisen Kalékos Verse bei aller Intimität und dem Fokus auf die kleinen Szenerien im Alltag häufig auch auf größere Zusammenhänge und die historischen Umstände ihrer Entstehung, etwa wenn von einem "vom Sturm verwüsteten Jahrhundert" die Rede ist. Oder wenn "Zeitgemäße Ansprache" die Frage stellt, wie es sich noch lachen oder überhaupt ruhig schlafen lässt angesichts des Unglücks und der Katastrophen: "Klopft nicht der Schrecken an das Fenster / Rast nicht der Wahnsinn durch die Welt / Siehst du nicht stündlich die Gespenster / Vom blutigroten Trümmerfeld?" Aktualität muss hier auch so verstanden werden, dass sich seither eben doch gar nicht mal so viel zum Besseren gewendet hat – auch wenn heute nicht mehr die "Reichspost" die Briefe zustellt.

Gänzlich unbeschwert geht es folglich nur selten zu. "Sozusagen grundlos vergnügt" bildet die Ausnahme, appelliert ans Herz statt an den Verstand und gewinnt in seiner ausgestellten Naivität durchaus an Charme. "Die vielgerühmte Einsamkeit" weist hingegen schon wieder ihre Tücken auf: "Wie schön ist es, allein zu sein / Vorausgesetzt natürlich, man hat einen dem man sagen kann: Wie schön ist es, allein zu sein." Und dennoch – und das ist das Schöne – strahlt "In der fernsten der Fernen" zu jedem Zeitpunkt eine einnehmende, herzliche Wärme aus. Am Ende ist es immer wieder der subtile Witz, in den Versen wie in den musikalischen Arrangements, der für die gewisse Leichtigkeit sorgt. Und manchmal ist da eben auch ein launiger Trotz, der sich der grauen Realität entgegenstellt – und in dem sich die Liedermacherin Dota Kehr und die Dichterin Mascha Kaléko vielleicht besonders nahe sind. Alles aussichtslos? Und wenn schon. Der wunderbar beschwingte "Chanson für Drehorgel" formuliert seine kleine Utopie so: "Ich träume oft vom Leben, wie's sein könnte / Wenn's nicht so wäre, wie's nun mal ist." Und träumen wird man ja noch dürfen.

(Markus Huber)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • In dieser Zeit (mit Dirk von Lowtzow)
  • Die frühen Jahre (mit Black Sea Dahu)
  • Großstadtliebe (mit Funny van Dannen)
  • Zeitgemäße Ansprache (mit Sarah Lesch)
  • Chanson für Drehorgel

Tracklist

  • CD 1
    1. Das Mögliche (mit Anna Mateur)
    2. In dieser Zeit (mit Dirk von Lowtzow)
    3. Wenn einer fortgeht (mit Gisbert zu Knyphausen)
    4. Sozusagen grundlos vergnügt
    5. Sonett in Dur (mit Clueso)
    6. Die frühen Jahre (mit Black Sea Dahu)
    7. Großstadtliebe (mit Funny van Dannen)
    8. Der Fremde (mit Malonda)
    9. Blatt im Wind
    10. Finale
    11. Der Gummiball
    12. Kurzer Epilog (mit Rainald Grebe)
  • CD 2
    1. Das letze Mal
    2. Mit auf der Reise
    3. Zeitgemäße Ansprache (mit Sarah Lesch)
    4. Der Eremit
    5. Chanson für Drehorgel
    6. Herbstliches Lied
    7. Ich und Du (mit Fama M'Boup)
    8. Furchtlos trinken (mit Götz Widmann)
    9. Jugendliebe a.D. (mit Nicola Rost von Laing)
    10. Die vielgerühmte Einsamkeit
    11. Sonett in Moll
Gesamtspielzeit: 61:31 min

Im Forum kommentieren

Mawi09

2024-01-24 16:56:35

Ich bin wirklich froh, dass es dieses Album gibt.
Ich kannte Mascha Kaleko vorher nicht und finde die Texte hier fantastisch. Irgendwo melancholisch aber mit einem gewissen Witz oder Ironie.
Bei der Musik bin ich etwas zwiegespalten. Gerade auf der zweiten CD ist mir das häufig zu sentimental, was den Texten meines Empfinden nach nicht gerecht wird. Ansonsten ist die Musik recht reduziert, was den Texten Raum zur Entfaltung gibt.
Manchmal gehen Musik und Text dann auch wirklich fantastisch Hand in Hand, wie bei das Mögliche, wenn einer fortgeht, Großstadtliebe, der Fremde oder Chanson für Drehorgel.
Jedenfalls bin ich froh, dass ich dadurch einen einfachen Zugang zu Kalekos Gedichten bekomme. Einen Gedichtband würde ich wohl nicht so oft aufschlagen. Werde bei Gelegenheit auch mal in das erste Album rein hören.

Kleine Anmerkung:
Die zweite CD kann man anscheinend nicht als Download sondern nur CD oder LP kaufen, dafür gibt es dann zwei Hidden Tracks aber leider kein Booklet mit Texten (schätze mal irgendwelche rechtliche Gründe mit dem Verlag).

Armin

2023-07-13 16:58:55- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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