Ray Alder - II

InsideOut / Sony
VÖ: 09.06.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Wie ausgewechselt

Man muss sich wohl langsam der Realität stellen. Ohne je das offizielle Ende der Band verkündet zu haben, scheinen sich die Prog-Metal-Legenden Fates Warning so langsam aus dem Geschäft zurückzuziehen. Zu eindeutig sind die Anspielungen auf dem letzten Album "Long day good night", zu indifferent die bisherigen Aussagen von Gitarrist und Sprachrohr Jim Matheos zu dem Thema. Es wird also für die Fans Zeit, auf Ersatzdrogen zurückzugreifen – sei es nun Matheos selbst mit seinem Soloprojekt Tuesday The Sky, welches eher durch Soundscapes besticht denn durch krachende Riffs, oder aber das Projekt A-Z, für das sich der ehemalige Drummer Mark Zonder und Sänger Ray Alder zusammenfanden und Anfang diesen Jahres ein bärenstarkes Debüt vorlegten. Und auch solo war der Frontmann nicht untätig und kündigt mit dem Album "II" gleich selbstbewusst eine deutliche Weiterentwicklung gegenüber dem Einstand "What the water wants" von 2019 an.

"Dunkler und heavier" als der Vorgänger soll "II" also sein, so der Vokalist, und der Opener "This hollow shell" setzt diese Ankündigung direkt in die Tat um. Sachte, geradezu fragil beginnt der Song, schwebt dadurch natürlich in den atmosphärischen Welten von Fates Warning, doch der Refrain ist großes Drama und wirkt dadurch wie das Licht am Ende des Tunnels. Das folgende "My oblivion" hingegen zeigt dieses Wechselspiel von einer anderen Seite. Wieder ist der Refrain ein dramatischer Seelenwärmer, dieses Mal jedoch wird der Song von satten Riffs von Gitarrist Tony Hernando getragen, der mühelos zwischen filigranen Licks und brutalem Geballer wechseln kann – was im Vergleich zu den filigranen Soundteppichen des Vorgängeralbums zwar vergleichsweise rüde daher kommt, dadurch aber dafür sorgt, dass die Songs deutlich griffiger werden.

Denn "Hands of time" lädt zwar zuerst zum Headbangen ein, entpuppt sich dann aber als wahre Hook-Maschine, und weil es gerade so gut funktioniert, das "Waiting for some sun" sogar mit knackigen Djent-Eruptionen spielen, bevor auch hier wieder so ein wunderbarer Refrain an die Hand nimmt. Gepaart mit ein wenig elektronischem Geplucker ist hier die Platte wohl am weitesten weg von Fates Warning, was an dieser Stelle ganz ausdrücklich kein Nachteil ist. Danach allerdings geizt die Platte ein wenig mit den ganz großen Momenten, als müsste sie ein wenig zu Atem kommen. In der Güteklasse von Ray Alder bedeutet das immer noch gute Songs, die Highlights von "Keep wandering" bleiben jedoch intrinsisch, wollen erforscht und entdeckt werden.

Da allerdings klar sein sollte, dass jemand wie Ray Alder, der mit den größten Songwritern des Genres zusammenarbeiten durfte, immer noch einen Pfeil im Köcher hat, und weil außerdem das Beste sowieso immer zum Schluss kommt, sind es eben die beiden Schlusspunkte "Passengers" und "Changes", die viel mehr als nur bloße Rausschmeißer sind. "Passengers" ist hier möglicherweise die größte Überraschung. Ja, die Vergleiche mit Fates Warning nerven auf Dauer, doch wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, Jim Matheos hätte kurz vorbei geschaut und als kleines Geschenk ein paar Harmonien aus den Aufnahmesessions von "Inside out" mitgebracht. Doch als wollte Alder zeigen, dass er auch von anderen Songwritern gelernt hat, erinnert "Changes" in all seiner Emotionalität, vor allem in diesem unfassbaren Refrain, bisweilen an Redemption, wo der Frontmann bis 2016 tätig war. Und vielleicht ist das die größte Stärke von "II" – zu keiner Zeit wirkt die Platte wie ein Egotrip, sondern als gelungene Symbiose der verschiedenen Einflüsse aus Alders Karriere, durch den in Spanien lebenden gebürtigen Texaner eindrucksvoll zusammengefügt. Wenn sich Ray Alder weiter dermaßen emanzipiert, wird dieses Soloprojekt weit mehr werden als nur eine Ersatzdroge.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Hands of time
  • Waiting for some sun
  • Passengers
  • Changes

Tracklist

  1. This hollow shell
  2. My oblivion
  3. Hands of time
  4. Waiting for some sun
  5. Silence the enemy
  6. Keep wandering
  7. Those words I bled
  8. Passengers
  9. Changes
Gesamtspielzeit: 51:23 min

Im Forum kommentieren

Primordial

2023-06-29 09:33:29

Besser als 99% aller Sachen, die hier rezensiert werden.

Sroffus

2023-06-27 23:09:55

Wenn Ray nochmal ein richtig gutes Album raushauen sollte, böte sich "Alder Falter!" als Überschrift an.

Watchful_Eye

2023-06-27 20:49:01

Der Rezensent hat erneut die Gelegenheit verpasst, "Derbe Respect, Alder" als Überschrift zu wählen. :)

https://www.plattentests.de/rezi.php?show=2154

Bei Gelegenheit höre ich da sicher mal rein.

Armin

2023-06-25 08:58:41- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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