
Swans - The beggar
Young God / Mute / Rough TradeVÖ: 23.06.2023
False Swans
"THIS IS NOT A REUNION. It's not some dumb-ass nostalgia act. It is not repeating the past." Michael Gira fand klare Worte, als er 2010 seine Band Swans nach langer Pause wieder ins Leben rief – es war ihm sogar so wichtig, dass er jenes Zitat als Sticker auf der Hülle von "My father will guide me up a rope to the sky" verewigte. Hat Gira sich an diesen Grundsatz gehalten? Hört man das zweistündige 16. Studioalbum "The beggar" mit der restlichen Diskografie im Hinterkopf, schreit es förmlich ein herzhaftes "NEIN!" entgegen. Blickt man auf diesen zweiten, mittlerweile fast genauso langen Lebenszyklus von Swans im Vergleich zum ursprünglichen von 1982 bis 1997, sind die Sound-Revolutionen ohnehin einer behäbigeren Evolution gewichen. Zwischen dem Muskelklotz eines Debüts "Filth", dem folkigen """Sellout"""-Move "The burning world" aus 1988 und dem finalen Höhepunkt in Form des abartig guten Live-Albums "Swans are dead" von den 1995er- und 1997er-Touren liegen Welten. "The seer", "The glowing man" und "Leaving meaning" trennen hingegen nur Feinheiten voneinander. "The beggar" fühlt sich jedoch zum ersten Mal in der Bandgeschichte wie ein bewusster Rückgriff an.
Als ob es Gira selbst wüsste, nennt er ein Stück "Michael is done" und stimmt ironisch in den eigenen Abgesang ein: "Now Michael is done / Stripped bare of pretense / Soaking his sheets / While counting insects." Das nervöse Picking weicht ab der Hälfte einer lieblichen Klingelei und der geneigte Swans-Fan streicht die Phase Anfang der Neunziger um "White light from the mouth of infinity" und "Love of life" von der Bingo-Card. Die schrägen Chöre der formidablen Vorabsingle "Paradise is mine" erinnern mehr an die exzentrischen Gewürze von "To be kind", während die über das ganze Album verstreute akustische Instrumentierung die Linie des Vorgängers "Leaving meaning" fortsetzt. Überall finden sich Schnüre und Gespann in die alten Tage und strenggenommen nichts Neues im Bandkosmos. Es hat einen Hintergrund: Der mittlerweile 69-jährige Gira selbst ist an dieses Album herangegangen, als wäre es sein letztes. Aus diesem Blickwinkel, als Zusammenkunft aller möglichen Swans-Iterationen, ist "The beggar" tatsächlich ein wahnsinnig runder und stimmiger möglicher Abschluss.
Dazu tragen viele großartige Momente bei. Eingeleitet von der unruhigen Meditation "Unforming", zieht der Titeltrack noch einmal alle Register der jüngeren Bandgeschichte. "What if I keep the power I give you?", fragt Gira aus der Sicht des Bettlers und lässt den Worten kurze Zeit später gewaltsame musikalische Taten folgen und einen markerschütternden Schrei. Irre ist auch der knapp gehaltene Ritt "Los Angeles: City of death", der wirkt, als ob man in ein Epos wie "Bring the sun" einfach mittenrein geschaltet hätte, kurz bevor es sich selbst verbrennt. Der Tod war schon immer gegenwärtig in Giras Texten, hier sind die Augen vor allem auf das eigene Ende gerichtet. "Is there really a mind? / Am I ready to die?", will Gira wissen, nachdem schon der außerordentlich unheimliche Opener "The parasite" die Nackenhaare aufgestellt hat: "Am I broken into pieces / To be scattered in the wind? / When the revelation comes / Does it erase the host that lives?" Kaum ein Moment ist so kraftvoll wie die A-cappella-Passage hier, die nur Giras Krächzen übrig lässt.
Der Elefant im Raum – pardon, auf der Platte – ist klar "The beggar lover (Three)", mit fast 44 Minuten die längste Studiokomposition der Band. (Doch noch eine Neuerung!) Man könnte nun beschreiben, wie das Stück zunächst von einem Drone zu einem Sprachsample wechselt, in dem ein Mädchen scheinbar ein altes Märchen rezitiert. Wie ein gewittriges Drumsolo das Ganze zu einem Horrortrip umkippt. Wie sich nach 20 Minuten doch noch ein Groove herausschält, nur um von Field Recordings verschluckt zu werden. Und wie am Ende überraschend der Titeltrack von "Leaving meaning" auftaucht, als ob Gira die Idee vom jüngsten Lana-Del-Rey-Album abgeschaut hätte. Letztlich bleibt aber eine simple Zusammenfassung: Es ist die heimliche Fortsetzung zu "Soundtracks for the blind", dem möglicherweise besten Werk der Band, in einem wilden Rausch collagiert. Struktur, Geräusche und Töne fließen ineinander, werden als Einzelnes unwichtig, sondern formen einen Monolithen. (Welcher auf Vinyl nur als Download mitgeliefert wird. Gira muss Plattenkäufer wirklich hassen.)
Nach dieser Vorstellung bleibt "The memorious" nur noch übrig, den Sack mit Nachdruck zuzumachen, indem es stur den eigenen apokalyptischen Groove immer und immer wieder gegen das Trommelfell hämmert. Ein Kind schreit, Gira redet sich in Trance: "I feel the sun penetrate my skin / I feel it melt the marrow in my bones." Denn wenn man nach einer solchen Karriere geht, dann nur mit einem solchen Closer auf einer Platte, die mit ihren unzähligen Verweisen, Anknüpfungspunkten und Reminiszenzen an vergangene Alben wiederum so ist wie doch kein anderes Werk zuvor. "When will time erase this stupid smile from my face?", fragt Gira noch. Es bleibt zu hoffen, dass dies nicht allzu bald passiert. Bis dahin steht "The beggar" als kreischender und kreisschließender Monolith am Schluss. "When Michael is gone / Some other will come." Höchst zweifelhaft.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Paradise is mine
- The beggar
- The beggar lover (Three)
Tracklist
- The parasite
- Paradise is mine
- Los Angeles: City of death
- Michael is done
- Unforming
- The beggar
- No more of this
- Ebbing
- Why can't I have what I want any time that I want?
- The beggar lover (Three)
- The memorious
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Der Untergeher
2023-10-14 14:18:03
Wurde zwar nirgendwo so richtig angekündigt, aber Swans spielen am Montag in Hamburg. Habe auch schon Karten für Berlin. Gehe wohl zwei Mal.
The Beggar hat sich bei mir gut gehalten. Kommt nicht an die Trilogie (Seer/TBK/Glowing Man) ran, aber ist immer noch sehr gut. Ich bin gespannt, wie der schwebendere, folkigere Stil live funktionieren wird.
PKingDuck92
2023-09-21 15:19:06
Blues-Hits *räusper*
Felix H
2023-09-19 20:35:53
Blueshits
Musste das Wort grad mehrmals lesen.
The MACHINA of God
2023-09-19 20:22:32
Schönes Album. Und der 40-Minüter ein geiler Lynch-Trip.
PKingDuck92
2023-08-07 09:59:24
Jup, für Swans Verhältnisse definitiv ein Pop Album, würde mit Blick auf den 45 minüter, der trotz seiner sperrigkeit ja fast ausschließlich aus bekannten Motiven der letzten Alben arbeitet sagen, ein Pop Album mit Ansage und Augenzwinkern... Hab das Album jetzt Mal bisschen sacken lassen, aber ja mir fehlt doch vieles: Blueshits wie "Screen Shot" oder " a little god in my Hands" von To Bei Kind", der Postpunk auf "The Glowing Man" oder einfach die Grimmigkeit von "The Seer"... Gutes Album ist es dennoch!
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