Bob Dylan - Shadow kingdom

Sony
VÖ: 02.06.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Der Formwandler

Der Virus, der die Welt zum Stillstand brachte, zwang auch Bob Dylan seine seit 1988 quasi durchgehende Never Ending Tour zu unterbrechen. Und während das Streaming-Konzert als Pandemieformat für beschäftigungslose Musikschaffende mal mehr, mal weniger überzeugend daherkam, war es dem Altmeister vorbehalten, den wohl wunderbar seltsamsten Beitrag zum Genre zu liefern: Im Juli 2021 konnten Fans für stolze 25 Dollar Zugang zu einem Streaming-Event erhalten, das jedoch weder live übertragen, noch auch nur ein abgefilmter Live-Auftritt war. Stattdessen zeigte "Shadow kingdom" ein kunstvolles, fast expressionistisches Film-Noir-Musikvideo, das Dylan und eine junge, maskierte Band umgeben von Rauch- und Nebelschwaden in einem aus der Zeit gefallenen, artifiziellen Jazz-Club-Setting zeigte. Es ist der Soundtrack zu diesem großartigen Film von Regisseurin Alma Har'el, der jetzt als Dylans 40. Studioalbum erscheint und auch ohne Bild ganz hervorragend funktioniert.

Der Opener des Vorgängers "Rough and rowdy ways" hieß "I contain multitudes" und noch mehr als für die Person Bob Dylan gilt dies für seine Songs. Nicht nur, dass diese durch zahllose Coverversionen immer wieder Neugestaltungen erfahren, sondern auch Dylan selbst ist bekannt und zum Teil auch berüchtigt für veränderte und verfremdete Neuausformungen seiner alten Hits. Die Filmversion von "Shadow kingdom" trug noch den Untertitel "The early songs of Bob Dylan". Die frühen Protestsongs der ersten vier Alben bleiben hier jedoch zugunsten eines Schwerpunktes auf des Meisters Œuvre zwischen 1965 und 1971 außen vor. Eingespielt wurde die Musik nicht etwa von der Band aus dem Film, vielmehr begleiten Dylan hier so versierte und bekannte Veteranen wie T-Bone Burnett an der Gitarre und Don Was am Bass. Zu diesen Instrumenten gesellen sich Mundharmonika und Akkordeon, Schlagzeug und Percussion sind hingegen nie zu hören. Die dadurch sehr luftigen Arrangements sowie die sehr klare und nuschelfreie Artikulation des Literaturnobelpreisträgers sorgen dafür, dass hier die in jeder Silbe verständlichen Texte eine zentrale Rolle einnehmen und zur Wiederentdeckung der Poesie all dieser Verse einladen. Zudem bleibt Dylan stimmlich in virtuoser Hochform und changiert quasi nach Bedarf und Belieben zwischen zartem Crooning und rauerem Timbre.

"When I paint my masterpiece", dessen überarbeiteter Text ein Date mit Botticellis Nichte durch das Waschen von Kleidung ersetzt (ist das ein Tribut ans fortgeschrittene Alter?), eröffnet stimmungsvoll den Reigen der meist instrumental ineinander fließenden Stücke. Dank des schmissigen Akkordeons hat "Most likely you'll go your way (and I'll go mine)" so viel Groove wie zuletzt auf dem Live-Klassiker "Before the flood" anno 1974. Im verlangsamten "Queen Jane, approximately" weicht der zynische Blick auf die Titelfigur einer ergreifenden, flehenden Sehnsucht, die später beim ähnlich verschleppten "It's all over now, baby blue" der Resignation weicht. Mit furios-fiebriger Spiel- und Sangesfreude wird der einstige Country-Schunkler "I'll be your baby tonight" zunächst zum zackigen Rockabilly-Hit umgedeutet, implodiert dann jedoch zur Hälfte der Spielzeit und mündet in einem süffigen Blues. "What was it you wanted" aus dem Jahr 1989 wird ohne die Produktion von Daniel Lanois zum kargen, düsteren Herzstück des Albums und geht ebenso genial wie kathartisch direkt in eine majestätische, wohl ultimative Fassung von "Forever young" über. Unbedingt erwähnenswert ist auch noch der instrumentale Rausschmeißer "Sierra's theme", der nach "All along the watchtower" im Wilden Westen klingt und zu dem man sich gut vorstellen kann, wie der magische Formwandler Bob Dylan im weißen Anzug gemächlich in den Sonnenuntergang reitet, den nächsten Auftritten der Never Ending Tour entgegen.

(Michael Albl)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • I'll be your baby tonight
  • What was it you wanted
  • Forever young

Tracklist

  1. When I paint my masterpiece
  2. Most likely you'll go your way (and I'll go mine)
  3. Queen Jane approximately
  4. I'll be your baby tonight
  5. Just like Tom Thumb's blues
  6. Tombstone blues
  7. To be alone with you
  8. What was it you wanted
  9. Forever young
  10. Pledging my time
  11. The wicked messenger
  12. Watching the river flow
  13. It's all over now, Baby Blue
  14. Sierra's theme
Gesamtspielzeit: 54:13 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2023-06-17 20:45:45

Oh, ich bin gespannt!

Peacetrail

2023-06-16 21:07:25

8/10 passt. Dolle Neuauflagen.

Armin

2023-06-16 21:06:03- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum