Ben Howard - Is it?

Island / Universal
VÖ: 16.06.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Gesund und munter

Irgendwann muss man sich locker machen. Für Ben Howard war der einschneidende Moment sehr unfreiwillig im Jahr 2022, nachdem er zwei Mal circa eine Stunde lang im Garten saß und keinen klaren Gedanken fassen oder sprechen konnte. Tatsächlich kamen die Symptome durch Mini-Schlaganfälle zustande. Richtig abgeschlossen ist die medizinische Geschichte nicht, dementsprechend Einfluss hatte das Nachwirken auf Howards fünftes Album "Is it?". Jedoch nicht in Form einer resignierenden oder gar ängstlichen Stimmung – es ist stattdessen seine am unbeschwertesten klingende Platte geworden. Dazu noch hat Grafikdesigner Bráulio Amado ein grelles Artwork voll großer Formen, Köpfe und Buchstaben entworfen, das der bisherigen Ästhetik des Londoners diametral entgegensteht. Die anstrengende Verkopftheit von "Collections from the whiteout"? Passé.

Das heißt nicht, dass die zehn Songs völlig auf Linie sind. Überall blitzen Gedanken auf, die mehr als nur um eine Ecke gegangen sind. Das Interlude "Total eclipse" reiht sogar lediglich Stimmen auf psychedelische Weise aneinander, über die Howard ähmt und öhmt, als würde er die Ratlosigkeit über seine körperliche Kondition vertonen. Auch "Interim of sense" traut sich recht schräge, abgehackte Töne, bevor es überraschend die Kurve zum zugänglichen Refrain bekommt. Doch es sind Ausreißer auf einem Album, das wieder voll und ganz an die großen Werke der Diskografie anknüpfen kann. Denn auch wenn der Opener und erste Vorbote "Couldn't make it up" sommerliche Lieblichkeit vorschiebt, steckt die Kunst im Detail. Wenn auch nicht im etwas eiligen Fadeout, das die beiden Anfangssongs plagt.

Das ist aber wirklich das einzige Problem des wunderbaren "Walking backwards". Eine gepitchte und gewarpte Linda Thompson bildet das Fundament für diesen hypnotisierenden Strudel aus herrlicher Instrumentierung und gelöster Stimmung. "Somedays I'm walking backwards / Back to the beginning of time." Zumindest zum Beginn seiner eigenen Zeit blickt Howard im nicht minder schönen "Richmond Avenue" zurück, welches in Erinnerungen mit seinem Vater schwelgt: "He head a leather coat on in the rising heat / By sticky gardens I fatigue." Dass "Moonraker" über das Bergsteigen in der spanischen Sierra de Guadarrama erzählt, braucht man gar nicht zu wissen, um sich von dem nervös flackernden Beat hoch hinaus tragen zu lassen. Howard formt auf "Is it?" wieder Klänge, die schön sind und trotzdem originelle Tiefe besitzen.

"What's mine anyway? / My feelings seem to be arranged / What's mine anyway? / Spirit? Is it?" Der Quasi-Titeltrack "Spirit" baut sich langsam über sägenden Synths auf und ist eines dieser Stücke, die keine Klimax erreichen müssen, um völlig zufriedenzustellen. Sich selbst genug zu sein, strahlen so viele Lieder Howards aus. Und doch greift der 36-Jährige am Ende tief ins Herz. "Little plant" schwenkt in der Mitte von gefälligem Akustikpop zu einer Melodie, die den schönsten Moment auf "Is it?" bereitet. "Never watching sunsets / You were straining for a vision / Muddy is the water in the ground / Muddy is the water anyhow", tröstet Howard die besungene zarte Pflanze. Nach einer Vision strecken muss er sich nicht, er hat genügend davon, so klar wie sein Stil auf diesen tollen Songs durchscheint. Zum Arzt gehen sollte er aber nur aus anderen Gründen.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Walking backwards
  • Days of Lantana
  • Richmond Avenue
  • Little plant

Tracklist

  1. Couldn't make it up
  2. Walking backwards
  3. Days of Lantana
  4. Life in the time
  5. Moonraker
  6. Richmond Avenue
  7. Interim of sense
  8. Total eclipse
  9. Spirit
  10. Little plant
Gesamtspielzeit: 42:18 min

Im Forum kommentieren

Chehalis

2023-08-14 10:10:03

Für mich bislang auch mein Album des Jahres. Hat aber seine Zeit gebraucht. Vor allem die beiden Konzerte in Berlin und London haben ihren Teil dazu beigetragen.

"Days of Lantana" ist mein Highlight.

Curly's a baker's boy
Living for the harvest nights
Turns to me, says something like, "The world only turns twice"
Once for the laughter
Once for the memories after
All the rest is just kicking through the weather and fines


Bei der Stelle könnte ich jedes Mal dahinschmelzen. :)

Unangemeldeter

2023-08-13 23:10:13

Für mich fällt das Album in der zweiten Hälfte (ab Richmond Avenue) leider stark ab. Da holt mich kein einziger Song mehr wirklich ab. Die erste ist super, insgesamt aber leider nur ein okayes Album für mich. Aufwärtstrend nach der Whiteout, aber noch viiiiiel Luft zu seinen besten Alben. 6,5/10.

Kai

2023-08-13 02:51:17

Diese Scheibe braucht so viel Aufmerksamkeit. Bis jetzt Album des Jahres!
2,3,6,9 und 10 sind allesamt 10er Songs und der Rest ebenso ganz vorn.

vincent92

2023-06-21 19:47:08

Eliminator Jr. hat es bestens beschrieben. Genau so ist es. Die pure Schönheit im Sinne der Musik :-) Kann man einfach nicht besser machen. Lay down and enjoy!

steveschnirch9

2023-06-18 10:38:06

Mit den letzten beiden Alben hatte er mich etwas verloren. Doch das hier nimmt mich sofort wieder mit. Landet bei mir auf Anhieb auf dem zweiten Platz nach I Forget Where We Were.
Toller Monat. Nach Salt von Half Moon Run die zweite Sommerplatte.
Die Fade Outs stören mich nicht. Es ist bestimmt nicht die kreativste Art einen Song zu beenden. Aber sie zerstören auch nicht den Song für mich.
So nebenbei: 19€ für ne CD ist schon ne Ansage.

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