Sparks - The girl is crying in her latte

Island / Universal
VÖ: 26.05.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Im Maelstrom

"boomer ass title". Ein User von albumoftheyear.org ist nicht begeistert über den Titel des neuen Sparks-Albums. Wer "The girl is crying in her latte" liest und das dazugehörige Cover mit Mascara-überströmter junger Frau und ernst im Hintergrund lungernden Senioren betrachtet, könnte aber auch meinen, dass eine allzu plumpe, paternalistische Generationenkritik dahintersteckt. Zumindest, sofern man die Mael-Brüder nicht kennt. Wenn Ron und Russell mit ihren bisherigen 25 Alben samt wahrscheinlich genauso vielen mitbeeinflussten (Sub-)Genres eines bewiesen haben, dann, dass von oben herab gepredigter Zynismus woanders zu finden ist. Die einzigartige Karriere der 1966 gegründeten Band hat sicher auch deshalb bis heute Bestand, weil die zwei Männer verstanden haben, dass Popmusik in ihrer Essenz vor allem Spaß bereiten muss. Und sich menschliche wie gesellschaftliche Absurditäten am besten darin einweben lassen, indem man Theater draus macht.

Schlanke 151 Jahre sind die Maels zusammen alt, doch der Ruhestand wirkt in der sechsten Dekade ihres Schaffens so fern wie nie. Edgar Wright filmt ihr Leben ab, Marion Cotillard und Adam Driver singen ihre Lieder, Cate Blanchett tanzt im Video zum Titeltrack. "Every day is the same / Tried to figure their game / They all ordered the same / Guess the world is to blame", resümiert Russell seine Beobachtungen in ihre Kaffeebecher heulender Menschen, während Ron puren Starkstrom aus seinen Synths zu schleifen scheint und den Hyperpop-Kids damit kurzerhand die Lutscher klaut. "Veronica Lake" formuliert seine Ode an die Haare der titelgebenden Schauspielerin ähnlich kühl und hibbelig zu schockgefrosteten Tasten und Breakbeats. Gerade in der ersten Hälfte von Album Nr. 26 klingen Sparks merklich elektronischer als auf dem Vorgänger "A steady drip, drip, drip", was ihrer wiedergewonnenen Inspiration und Zugänglichkeit jedoch keinen Abbruch tut.

Den Chrom-Schleier durchbricht einzig der altersgerechte Pop-Punk von "Nothing is as good as they say it is" – gesungen aus der Sicht eines Babys, das keine 24 Stunden nach der Geburt am liebsten in den Mutterbauch zurückkriechen würde. Auch die Mona Lisa hat die Schnauze voll, packt eifrig ihre Sachen und lässt sich im ihr gewidmeten Song weder von Tribal-Trommeln noch Spielzeug-Bläsern aufhalten. Dass Sparks inzwischen breitere Strahlen ihrer schon immer verdienten Anerkennung abbekommen, führt freilich nicht dazu, dass weniger kulturelle Prominenz durch ihre Musical-Szenen wuselt – oder dass sie auch nur ein Fitzelchen ihres Humors einbüßen, den Kollege Ginter in seiner "Hippopotamus"-Besprechung treffenderweise mit Mel Brooks verglich. "We go dancing" malt sich zu bedrohlichem Streicher-Stakkato und groovigen Piano-Konterpunkten den Nummer-eins-Hit Nordkoreas aus. Für die Vorstellung, wie Kim Jong-un Marsch-Choreografien zu Skrillex aufführt, hat sich die Platte schon gelohnt.

Nicht, dass danach nichts mehr kommen würde. Über dramatischem Orchester-Rock fordert "Take me for a ride" eine Laura zum Aufbruch auf, "It doesn't have to be that way" formt sich zur beinah absurd geschmackvollen Akustik-Pop-Perle, als hätte man sich das Kuriositätenkabinett zuvor im Fiebertraum eingebildet. Dazwischen drängelt Ron in "A love story" wieder in den Techno-Club, auch wenn Russell beim Drogenholen für seine Freundin eine etwas ungelenke Figur abgibt: "Ain't my thing / It's her thing." Am Ende, also auch im balladesken Closer "Gee, that was fun", landet eben alles im Zwischenmenschlichen: "You were a bit too good for me / Didn't take long 'til you agreed." In Zeiten, in denen herzerwärmende Gaga-Feuerwerke wie "Everything everywhere all at once" Oscars gewinnen, ist es eigentlich komplett unverständlich, dass Sparks nicht die größte Band der Welt sind. Zumindest kann man sich beim nächsten Tränenanfall im Starbucks sicher sein, dass die Maels nicht wegschauen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The girl is crying in her latte
  • The Mona Lisa's packing, leaving late tonight
  • Take me for a ride
  • It doesn't have to be that way

Tracklist

  1. The girl is crying in her latte
  2. Veronica Lake
  3. Nothing is as good as they say it is
  4. Escalator
  5. The Mona Lisa's packing, leaving late tonight
  6. You were meant for me
  7. Not that well-defined
  8. We go dancing
  9. When you leave
  10. Take me for a ride
  11. It's sunny today
  12. A love story
  13. It doesn't have to be that way
  14. Gee, that was fun
Gesamtspielzeit: 45:47 min

Im Forum kommentieren

Ehrenfelder

2023-06-19 18:13:24

Ein fabelhaftes Album mit einer Menge Songs, die auch länger im Ohr bleiben. Mona Lisa und Take Me For a Ride sind derzeit meine Favoriten. Auch sehr stark: die drei Vorabsingles. Soviel Spielfreude, Texte voller Ironie und Spaß im zweiundfünfzigsten Jahr der Bandgeschichte ist schon ziemlich einmalig und sehr faszinierend. Nochmal eine schöne Schippe zugänglicher als noch auf den letzten beiden Alben. Auch wenn ein Überhit wie Edith Piaf leider diesmal fehlt. Ich bin gespannt was die Pet Shop Boys dieses Jahr als Antwort abliefern. Bin ein großer Fan beider Bands.

Konsul

2023-05-27 18:16:38

Hat starke Momente, aber kann das Niveau nicht durchgehend halten 6.5/10. Aber allein für Veronica und den Titeltrack lohnt sich das Album

Saschek

2023-05-27 15:25:04

Irre gut! Gefällt mir noch besser als das letzte Album, das ich auch schon großartig fand. Diese Kreativität und die Spielfreude. Hammer.

Armin

2023-05-24 21:04:28- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2023-05-17 11:35:46- Newsbeitrag



Sparks haben die neue Single "Nothing Is As Good As They Say It Is" aus ihrem kommenden Album "The Girl Is Crying In Their Latte" veröffentlicht.

Der Song wird aus der Perspektive eines 22 Stunden alten Babys gesungen, das von der Welt angewidert ist und in den Mutterleib zurückkehren möchte. Der Text ist relativ einfach, mit Zeilen wie "Can I just go back where I used to be", "All of your standards must be so very low / This is not a place that I'd want to go / How can you exist in a place like this", aber das Musikvideo fügt ein bisschen mehr Kontext hinzu, denn während der erste Teil des Videos aus Neugeborenen und weinenden Babys besteht, sind In der zweiten Hälfte des Videos Szenen von Schornsteinen zu sehen, die Rauch in den Himmel spucken, Soldaten, die mit Gewehren in der Hand über ein Feld rennen, ein Mann, der in einem scheinbar verbrannten Wald steht, und ein Haufen Müll, der auf einem Strand treibt - eine kleine Erklärung dafür, warum die Welt nicht “as good as they say it is.”

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