Tinariwen - Amatssou

Wedge / Rough Trade
VÖ: 19.05.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Transatlantischer Handschlag

Eine einsame Figur reitet auf einem Vierbeiner der erbarmungslosen Sonne entgegen. Die Landschaft um sie herum ist karg, aber von einer majestätischen Weite geprägt. Die Person gilt als Outlaw, dabei will sie niemandem etwas Böses und sehnt sich nur nach Frieden und Freiheit. Mit westlicher Kultur großgeworden, assoziieren wir ein solches Szenario am ehesten mit US-amerikanischen Cowboys – dabei passt es genauso gut auf die Nomad*innen der nordafrikanischen Wüste. Vielleicht findet die Tuareg-Band Tinariwen deshalb seit rund 20 Jahren großen internationalen Anklang samt zahlreicher namhafter Fans, weil der Reiz hinter ihrer Musik nicht im Unbekannten liegt, sondern im Entdecken von Gemeinsamkeiten. Einflüsse von Blues und Rock waren nie Anbiederung, sondern natürliche Überbrückungen des nur vermeintlich Fremden. Nachdem "Amadjar" zuletzt die eigenen Traditionen stärker in den Fokus rückte, reicht sein Nachfolger "Amatssou" die Hand wieder bestimmter über den Atlantik. Tinariwen arbeiten auf dem Album mit einem Musiker-Trio um den Grammy-prämierten Produzenten Daniel Lanois zusammen, das Country- und Americana-Akzente in ihre Steppenläufer-Hypnosen einflechtet.

Eigentlich wollten alle gemeinsam die Platte in Nashville unter Aufsicht von Jack White – einem der besagten namhaften Fans – aufnehmen, doch die Pandemie durchkreuzte diesen Plan. Stattdessen errichteten Tinariwen ein provisorisches Studio in einem algerischen Nationalpark, während Lanois und Co. ihre Beiträge digital um die Welt schickten. Das distanzierte Zusammenspiel ist kaum zu spüren, so reibungslos wie sich das Banjo um Abdallah Ag Alhousseynis beschwingte Riffs im Opener "Kek alghalm" schlingt – ähnliches gilt für die krächzende Geige, die wie ein aufgeregtes Tier um die Lagerfeuer-Beschwörungen von "Tenere den" hüpft. Dass die Lyrics von Blut getränkt sind, es um Gewalt und Verbrechen am Tuareg-Volk geht, hört man diesem gutgelaunten Eröffnungsdoppel nicht an. Tinariwens Protest war schon immer ein tanzender, einladender: Die zappligen Polyrhythmen und Saiten animieren vor geschichtsträchtigen Stein-, Staub- und Sand-Landschaften zur Bewegung statt Ehrfurcht, auch wenn den Stimmen der Gründungsmitglieder inzwischen ihr Alter anzumerken ist. Einzig "Jayche atarak" formuliert ein schwerer in den Knochen sitzendes Klagelied, während Lanois' Pedal-Steel-Gitarre vor den Grabsteinen gefallener Freiheitskämpfer kniet.

Die Repetition bleibt ein zentrales Element in der Musik von Tinariwen – wer die Band früher dafür kritisierte, wird sich von "Amatssou" nicht bekehren lassen. Alle anderen können sich zwischen den Dünen fallenlassen und erkennen, wie die Tracks keineswegs in der Gleichförmigkeit versanden. Das kompakte "Imidiwan mahitinam" holt einen sonnenbebrillten Ohrwurm aus der typischen Call-and-response-Struktur heraus, ehe das dringliche Folk-Fingerpicking von "Ezlan" auf wahlweise Kamel- oder Pferderücken entlangshuffelt und seine Melodie Streicher-unterstützt in den Sternenhimmel hebt. Angesichts des motorischen Vorwärtstreibens von "Tidjit" und "Iket adjen" fragt man sich an anderen Stellen, ob es eigentlich ein Tamaschek-Wort für "Kraut-Rock" gibt. Nachdem es im Quasi-Closer "Nak idnizdjam" leider nicht um Enten geht, bestimmt der schon auf dem Vorgänger präsente Frauengesang das Tribal-artige Outro "Tinde". Tinariwen zeigen dem Rest der Welt erneut, wie man Offenheit und Völkerverständigung in gleichsam spezifische wie zugängliche Kunst übersetzt – und ihre trotz konkretem Tuareg-Bezug universellen Botschaften werden nachhallen, solange die Wüste atmet.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Kek alghalm
  • Imidiwan mahitinam
  • Ezlan

Tracklist

  1. Kek alghalm
  2. Tenere den
  3. Arajghiyine
  4. Imzad (Interlude)
  5. Tidjit
  6. Jayche atarak
  7. Imidiwan mahitinam
  8. Ezlan
  9. Anemouhagh
  10. Iket adjen
  11. Nak idnizdjam
  12. Tinde (Outro)
Gesamtspielzeit: 47:14 min

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2024-04-07 08:53:39

Läuft gerade, sehr schöner groove.

Armin

2023-05-17 21:19:35- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?



Armin

2023-03-14 17:15:34- Newsbeitrag

Tinariwen kündigen heute ihr neues Album Amatssou mit der ersten Single und dem Musikvideo zu "Tenere Den" an, bei dem Alexis Jamet Regie führte. HIER ansehen!



Der Song ist eine Hommage an die Tuareg-Revolution in der Region Kel Adagh in Mali, und das Video zeigt Animationen, die den ergreifenden Text zum Ausdruck bringen.

Amatssou wird am 19. Mai über Wedge auf weißem Vinyl in limitierter Auflage sowie auf schwarzem Vinyl, CD und digital veröffentlicht. Es ist ihr erstes neues Studioalbum seit Amadjar von 2019.

Single streamen/ Album Pre Order: https://wedge.ffm.to/amatssou



Foto Credit: Marie Planeille Download HI-RES | WEB-RES

Auf Amatssou, dem neunten Studioalbum des legendären Kollektivs, erkunden Tinariwen die Gemeinsamkeiten zwischen ihrem Markenzeichen, dem Wüstenblues, und der lebendigen Country-Musik des ländlichen Amerikas. Amatssou ist Tamashek für "Beyond The Fear", und das passt. Tinariwen zeichnen sich seit jeher durch ihre Furchtlosigkeit aus und haben im Alleingang einen Gitarrenstil erfunden, der die ganze Welt in seinen Bann gezogen hat. Sie nennen ihn ishumar oder assouf ("Nostalgie" in Tamashek). Der Rest der Welt kennt ihn als Tuareg-Blues. Es ist eine Musik, die von Trauer und Sehnsucht durchdrungen ist, aber auch eine Musik zum Tanzen, um unsere Sorgen zu vergessen.



Mit einer zusätzlichen Produktion von Daniel Lanois (Brian Eno, U2, Bob Dylan, Emmylou Harris, Peter Gabriel, Willie Nelson) finden sich auf Amatssou die für die Band typischen verschlungenen Gitarrenlinien und hypnotischen Grooves nahtlos neben Banjos, Fiddles und Pedal Steel. Tuareg-Nomaden und Cowboy-Treiber, Kamelzüge und Mustang-Pferde. Der zeitlose Horizont der endlosen Sahara und die wilde Grenze des Alten Westens - mehrere tausend Meilen Ozean mögen den Wüstenblues von Tinariwen und die authentische Country-Musik des ländlichen Amerikas trennen, aber die Verbindungen sind ebenso greifbar wie romantisch.



Die Geschichte von Amatssou begann 2021, als Jack White, ein langjähriger Fan der Gruppe, Tinariwen zu Aufnahmen in sein privates Tonstudio in Nashville einlud. Ursprünglich hatte die Band geplant, mit Lanois und einer Gruppe lokaler Country-Musiker aufzunehmen, darunter Wes Corbett und Fats Kaplin, ein regelmäßiger Mitarbeiter von White. Nach einer Reihe von COVID- und reisebedingten Verzögerungen waren Tinariwen jedoch nicht in der Lage, die Reise von Mali in die USA anzutreten. In aller Eile wurden neue Pläne für eine Reise von Lanois nach Afrika geschmiedet, aber nach weiteren Verzögerungen durch die Pandemie waren Tinariwen, Lanois, Corbett und Kaplin schließlich gezwungen, aus der Ferne zu arbeiten.



Als die endgültigen Pläne feststanden, beschloss Tinariwen, den Grundstein für Amatssou in Djanet zu legen, einer Oase in der Wüste Südalgeriens im Tassili N'Ajjer National Park, einem UNESCO-Weltkulturerbe, das für seine prähistorische Höhlenkunst bekannt ist. Inmitten der zerklüfteten Felsen und dramatischen Sandsteinausblicke richtete Tinariwen ein provisorisches Studio in einem Zelt ein, wobei er sich die Ausrüstung von der befreundeten Tuareg-Band Imarhan lieh.



Zum Glück für Tinariwen blieb die Integrität von Amatssou bei den Aufnahmen aus der Ferne vollständig erhalten: Lanois fügte von seinem Studio in Los Angeles aus Akzente hinzu, Corbett und Kaplin nahmen ihre Parts von Nashville aus auf, und der kabylische Perkussionist Amar Chaoui nahm seine Parts in Paris auf. Lanois' eindringliche Pedal Steel und die Produktion verleihen dem tranceartigen Wüstenblues von Tinariwen eine schwebende Atmosphäre, während Kalpin bei sechs der zehn Tracks Pedal Steel, Geige und Banjo beisteuert.



Seit Jahrzehnten sind die Tinariwen Botschafter ihres Volkes, einer Lebensweise, die im Einklang mit der Natur steht und die wie nie zuvor bedroht ist. Obwohl die Tuareg-Kultur so alt ist wie die des antiken Griechenlands oder Roms, sprechen die Lieder von Amatssou die aktuelle und oft harte Realität des heutigen Lebens der Tuareg an. Es überrascht nicht, dass es leidenschaftliche Verweise auf die anhaltenden politischen und sozialen Unruhen in Mali gibt. Die Texte sind voller poetischer Allegorien und rufen zu Einheit und Freiheit auf. Es sind Lieder des Kampfes und des Widerstands mit schrägen Anspielungen auf die jüngsten verzweifelten politischen Umwälzungen in Mali und die zunehmende Macht der Salafisten. Tinariwens Botschaft klang noch nie so eindringlich und überzeugend wie auf Amatssou.



Album Tracklist

Kek Algham
Tenere Den
Arajghiyine
Imzad (Interlude)
Tidjit
Jayche Atarak
Imidiwan Mahitinam
Ezlan
Anemouhagh
Iket Adjen
Nak Idnizdjam
Tinde (Outro)

2023 Tourdaten



May

27 - Old Town, Chicago, US

30 - Wonder Ballroom, Portland, US

31 - ShowBox Sodo, Seattle, US



June

2 - UC Theater, Berkeley, US

3 - The Fonda, Los Angeles, US

5 - Webster Hall , NYC, US

6 - The Sinclair, Boston, US

7 - Lincoln Theater, Washington, US

10 - Best Kept Secret, Hilvanbreek, NL

12 - Muhle Hunziken, Rubigen, CH

14 - Ultravox, Florence, IT

15 - Triennale Garden, Milan, IT

16 - Hiroshima Mon Amour, Turin, IT

18 - Body & Soul Festival, Co. Westmeath, IRE

22 - Festsaal Kreuzberg, Berlin, GE

24 - Glastonbury Festival, Glastonbury, UK

26 - Splendid, Lille, FR

28 - Salle Pleyel, Paris, FR

29 - Ancienne Belgique, Brussels, BE



July

1 - Roskilde Festival, Roskilde, DK

2 - Slaktkyrkan, Stockholm, SW

4 - Rockefeller, Oslo, NO

7 - BBK, Bilbao, ES

11 - Les Suds Arles, Arles, FR

15 - SWX, Bristol, UK

17 - St Lukes, Glasgow , UK

19 - Institute 2, Birmingham, UK

21 - Latitude Festival, UK

22 - Bluedot Festival, UK

25 - Terraceo Festival, Vigo, ES

29 - Musicalarue, Luxey, FR

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